Als die Revolution auch nach Erfurt kam
Vor 100 Jahren löste die Weimarer Republik das Kaiserreich ab. Am 8. November 1918 begann in Ilversgehofen der Streik
Erfurt. Am 9. November 1918 endete die Monarchie in Deutschland, ein Rat der Volksbeauftragten unter dem SPDVorsitzenden Friedrich Ebert übernahm die Macht. Geboren aus dem verlorenen Ersten Weltkrieg 1914/18, trat an die Stelle des Kaiserreiches die Weimarer Republik. Der ersten deutschen Demokratie war in jenem „Zeitalter der Extreme“freilich kein langes Leben beschieden, schon 1933 ging sie in der NS-Diktatur Adolf Hitlers unter.
Jene turbulenten Zeiten nahmen auch in Erfurt mit dem „Novemberumsturz“ihren Anfang. Die Stadt wurde rasch von der revolutionären Welle erfasst, die in den Marinehäfen Kiel und Wilhelmshaven ihren Ausgangpunkt hatte. Am 8. November 1918 begannen die Arbeiter der Maschinenfabrik Hagans in Ilversgehofen und der Gewehrfabrik im Brühl den Streik. Von Arbeitern weiterer Betriebe begleitet, zogen sie durch die Stadt und sammelten sich am Abend im SPD-Kulturzentrum „Tivoli“in der Magdeburger Allee. In der Nacht wurde dort ein Arbeiterrat gebildet.
Die Erhebung riss auch die Garnison mit. Die Soldaten des Artillerie-Regimentes Nr. 19 in der Rudolfstraße bildeten einen Soldatenrat, das Infanterie-Regiment Nr. 71 auf dem Petersberg und das Jäger-Regiment Nr. 6 in Daberstedt schlossen sich an. Am Morgen des 9. November besetzte man die Kommandantur am Anger, entwaffnete alle Offiziere und nahm Kontakt zum Arbeiterrat auf. Um 10 Uhr versammelte sich auf dem Domplatz laut Presseberichten eine „nach mehreren Tausenden zählende Menschenmenge“. Vor dieser imposanten Kulisse verkündete der vereinte Arbeiter- und Soldatenrat die Ziele der Revolution. Vor Ort wollte er umgehend „die Kontrolle über den gesamten Verwaltungsapparat übernehmen“.
Viele Arbeiter sahen die Revolution auf einem guten Wege, da auch alte Forderungen wie der Achtstundentag und die Anerkennung der Gewerkschaften umgesetzt wurden. Sie vertrauten ihrem Rat, an dessen Spitze mit Paul Reißhaus die Vaterfigur der Erfurter SPD stand. Er verpflichtete Oberbürgermeister Hermann Schmidt und Regierungspräsident August Graf von Pückler, alle wichtigen Entscheidungen dem Rat vorzulegen. So gelang es, die Revolution in relativ ruhige Bahnen zu lenken.
Doch die Entwicklung spitzte sich auch in Erfurt in der Folgezeit weiter zu. In der Industriegroßstadt wurden die Spannungen zwischen Bürgertum und linker Arbeiterschaft immer größer. Sie entluden sich im KappPutsch vom März 1920, der über Tage zu faktischem Kriegszustand führte. Am Ende belief sich die Opferbilanz auf acht Tote und 79 schwer Verletzte.
In den letzten Jahren der Republik lebte die Gewalt wieder auf, jetzt vor allem als Schlägereien zwischen Nazis und Kommunisten. Jene tiefen gesellschaftlichen Verwerfungen beförderten maßgeblich die Entstehung der NS-Diktatur.
Tausende auf dem Domplatz versammelt
Dr. Steffen Raßloff ist Historiker und Mitautor der jüngst im Dorling Kindersley Verlag erschienenen „Deutschen Geschichte“.