„Es gab Fehler auf allen Ebenen“
BAMF-Chefin Jutta Cordt über Lehren aus dem Fall Franco A., die Qualität der Asylprüfungen und die Lage im Mittelmeer
Nürnberg. Seit der Flüchtlingskrise lastet auf kaum einer anderen Behörde so viel Druck wie auf dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg. Immer wieder wird Kritik laut: Unter der Masse der Asylentscheidungen leide die Qualität. Schließlich geht es um ein Grundrecht und um Sicherheit. Die Präsidentin Jutta Cordt sagt: „Es gibt keine Hinweise auf einen zweiten Fall Franco A.“
Der Bundeswehr-Soldat Franco A. gab sich als Syrer aus, hat in seiner Anhörung Deutsch gesprochen. Und er bekam Asyl. Der Verdacht: Er hatte einen Anschlag geplant – getarnt als Flüchtling. Kommt, mit etwas Geschick, jeder durch Ihre Prüfung?
Jutta Cordt: Nein. Wir haben uns den Fall sofort angeschaut. Klar ist, hier sind Fehler auf allen Ebenen passiert: schon bei der Annahme des Antrags, als der Dolmetscher Unregelmäßigkeiten bei der Sprache des angeblichen Syrers erkannt hatte, aber nicht dem zuständigen BAMF-Mitarbeiter gemeldet hat. Der Asylanhörer hat Franco A. 80 Minuten lang interviewt und selbst solche Nachfragen unterlassen, die sich nun wirklich aufgedrängt hatten. Bedauerlicherweise hat danach auch der Entscheider keine Auffälligkeiten bemerkt und ihm subsidiären Schutz gewährt. So etwas darf nicht passieren, und wir haben etliche Vorkehrungen getroffen, damit so etwas sich nicht wiederholt.
Was haben Sie damals gedacht? Eine Farce?
Ich wollte erst einmal alle Details wissen. Auf einmal stand im Sprache gesprochen worden. Es gab also keinen weiteren Fall wie Franco A., der in der Anhörung kein Arabisch, sondern Deutsch und Französisch gesprochen hätte. Zudem testen wir unter anderem gerade eine Software, die Dialekte erkennt und einem Herkunftsland zuordnet. Das hilft unseren Entscheidern. Es gibt keine Hinweise auf einen zweiten Fall Franco A.
Werden auch Fälle von abgelehnten Asylbewerbern von Ihrem Amt noch einmal kontrolliert? Die leiden ja auch unter einer schlechten Qualität der Prüfung.
Vielleicht waren unsere Entscheidungen nicht immer ausreichend dokumentiert, aber generell haben wir keinen Anlass zu sagen, sie sind in der Konsequenz falsch. Wer vom BAMF abgelehnt wird, kann vor einem Gericht gegen den negativen Bescheid klagen, sogar in mehreren Instanzen.
Das BAMF war und ist in der Fluchtkrise einem großen Druck ausgesetzt – von Politik und auch Medien. Wie sehr beeinflusst das Ihre Arbeit?
Als 2015 täglich Tausende Menschen nach Deutschland kamen, ging es darum, die Geflüchteten schnell zu registrieren. Es gab eine hohe Aufmerksamkeit auf unser Amt. Wir haben zeitgleich massiv neu eingestellt, sind von rund 2000 auf 10 000 Mitarbeiter gewachsen. Aber die Qualität ist für uns von sehr großer Bedeutung, und wir arbeiten kontinuierlich daran.
Ihr Amt ist auch mitverantwortlich für die Integration. Sagen Sie wie die Kanzlerin auch: Wir schaffen das? Ja, aber das gelingt nicht bis übermorgen. Wir brauchen einen langen Atem. Wichtig ist aber auch ein guter Start. Und aus meiner Sicht beginnt Integration mit Sprache, einem Arbeitsplatz und der Ausbildung. Wir haben 2016 im Vergleich zu 2015 zudem sowohl die Anzahl der bundesweit begonnenen Integrationskurse, in denen deutsche Sprache und Kultur vermittelt wird, als auch die Zahl der neuen Kursteilnehmer beinahe verdoppelt.
In Italien kamen in diesem Jahr bereits fast 100 000 Schutzsuchende und Migranten über das Mittelmeer an. Laufen wir auf eine neue Flüchtlingskrise zu?
Wir schauen uns die Fluchtbewegungen nach Deutschland genau an. Wir hatten im ersten Halbjahr 2017 etwas über 101 000 neue Asylanträge. Das ist eine relativ überschaubare Zahl. Und auch die Situation in Italien macht mir, in Bezug auf unsere Kapazitäten, derzeit keine Sorgen. Unser Konzept ist die „atmende Behörde“. So wollen wir flexibel sein und können in Phasen mit hohen Zugangszahlen sowohl intern schnell umsteuern als auch im Bedarfsfall die bereits erfahrenen Mitarbeiter aus anderen Behörden wieder zu uns ins BAMF holen. Viele Mitarbeiter aus Verwaltungen, der Bundesagentur für Arbeit, Finanzämtern oder anderen Behörden waren in der Hochzeit der Krise 2015 zu uns gekommen und haben uns geholfen. Es wäre gut, wenn diese weiterhin regelmäßig geschult würden, sodass sie im Notfall einsatzbereit sind und wir nicht jedes Mal neu mit dem Training von Entscheidern anfangen müssen.