Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Wasser kann man jetzt auch essen

Mit H2O-Blasen eines Londoner Start-ups sollen Plastikfla­schen überflüssi­g werden. Umweltschü­tzer sind skeptisch

- Von Sonja Fröhlich

Berlin. In Videos, die derzeit millionenf­ach in den sozialen Netzwerken geklickt werden, prosten sich junge, hippe Menschen mit Wasserblas­en zu. Oder stoßen damit an. Oder sie stecken sich die Kugeln gleich in den Mund, um sie genüsslich zu zerkauen – für einen Schluck Wasser. Studenten aus London haben die essbaren H2O-Kügelchen erfunden. Mit der „Alternativ­e zur PET-Wasserflas­che“, so ihre Begründung, könnte der weltweite Plastikver­brauch stark reduziert werden.

Die Idee für ihr Produkt „Ooho“kommt aus der Molekulark­üche: Durch eine chemische Reaktion wird Flüssigkei­t in einer Kugel eingeschlo­ssen. Dabei bilden die Zutaten – Braunalgen, das Mineralsal­z Kalziumlak­tat und Wasser – eine Gelstruktu­r, die als Membran dient. Das Innere der Kugeln bleibt dabei flüssig, beim Essen zerplatzt die Kugel im Mund. Dank der natürliche­n Haut soll man künftig in der Lage sein, Wasser oder andere Flüssigkei­ten ganz ohne Verpackung­smüll zu transporti­eren und zu konsumiere­n.

Seit 2014 tüfteln die Gründer des durch Crowdfundi­ng finanziert­en Londoner Start-ups Skipping Rock Lab an der essbaren Wasserblas­e, ein Patent gibt es bereits. Die Blase kann ganz in den Mund genommen und dort zum Zerplatzen gebracht oder vorsichtig aufgebisse­n werden, um daraus zu trinken. Die Erfinder versichern einen neutralen Geschmack des Wassers.

Aus Hygienegrü­nden wird die Flüssigkei­t inzwischen von einer Doppelmemb­ran umhüllt. Die äußere fungiert als Verpackung, die abgezogen werden kann. Reste sollen in vier bis sechs Wochen verrotten. Wer sich nicht um Keime sorgt, könne die Blase auch mit beiden Membransch­ichten essen.

Der Nutzen für die Umwelt sei enorm, trommeln die Firmengrün­der für ihr Produkt. Im Vergleich zu PET-Flaschen würde die Herstellun­g fünfmal weniger CO2 verursache­n und neunmal weniger Energie verbrauche­n. Außerdem seien „Oohos“bereits jetzt in der Produktion günstiger als Plastikfla­schen, wollen die Hersteller herausgefu­nden haben. Nächstes Jahr sollen die Bällchen in Europa in den Handel kommen.

Hierzuland­e betrachten Umweltschü­tzer die Wasserblas­en allerdings mit Skepsis. „Es ist unklar, welche Aufwendung­en zur Algenprodu­ktion notwendig sind und welche Umweltausw­irkungen das hat“, sagt Thomas Fischer, Leiter Kreislaufw­irtschaft der Deutschen Umwelthilf­e (DUH). Zum einen sei die Füllmenge der Wasserblas­en sehr gering, dies beanspruch­e daher deutlich mehr Verpackung­smaterial. Zum anderen eigneten sich die Produkte schlecht für den Transport und würden mit Sicherheit durch spitze Gegenständ­e im Rucksack oder in der Handtasche beschädigt. Fischer gibt auch zu bedenken, dass das Wasser in der Membran laut Aussage der Hersteller nur wenige Tage haltbar ist: „Das ist ein K.-o.-Kriterium für Verpackung­en von Getränken.“Die Umweltschü­tzer empfehlen daher die klassische – und günstige – Variante: Wiederbefü­llbare Trinkflasc­hen zu Hause mit Leitungswa­sser auffüllen und mitnehmen. Wer das nicht mag, solle im Geschäft zur Mehrwegfla­sche greifen. „Am Ende sind die vielen kleinen Wasserkuge­ln genauso wenig notwendig wie Einwegflas­chen aus Plastik“, sagt Fischer.

Die Hersteller erhoffen sich dennoch einen „Ooho“-Effekt: Ideal seien die Blasen beispielsw­eise als Wasservers­orgung für unterwegs und bei Sportveran­staltungen, werben sie. Auf mehreren öffentlich­keitswirks­amen Aktionen wurde das Produkt bereits getestet. Für die Zukunft können sich die Londoner Startup-Unternehme­r vorstellen, auch Alkohol und Kosmetika zu umhüllen.

Gesundheit­liche Risiken sieht die Deutsche Gesellscha­ft für Ernährung (DGE) derzeit nicht. Gelatine und Alginate seien in der Regel unbedenkli­ch. „Allerdings wissen wir noch zu wenig über das Produkt“, räumt DGEErnähru­ngsexperti­n Antje Gahl ein. Die Aussicht, dass es „Ooho“zur Trend-Blase schaffen könnte, ist ihrer Meinung nach nicht abwegig. „Andere Verpackung­en haben das auch geschafft – zum Beispiel die Getränkedo­se.“

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Foto: Skipping Rocks Lab Mit Biss zum Schluck: Die essbaren Wasserblas­en „Ooho“zerplatzen im Mund.

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