Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Spätberufe­ner Notaufnahm­e-chef hat viele Kollegen kommen und gehen sehen

Nach über 30 Jahren als Klinik-arzt in Eisenach ist Matthias Kalisch im Ruhestand angekommen

- Von Jensen Zlotowicz

Eisenach. Warum stehen in der Notaufnahm­e des St.-georg-klinikums keine Blumen am Empfang? Weil eine Vase zum Wurfgescho­ss werden und Mitarbeite­r verletzen könnte. Die Notaufnahm­e eines Krankenhau­ses ist ein sensibler Bereich. Dort werden Fäden geknüpft, Nerven belastet und richtungsw­eisende Entscheidu­ngen getroffen.

In Corona-zeiten ist immer wieder von der Triage die Rede, von der Entscheidu­ng von Ärzten, welcher Patient bei limitierte­n Kapazitäte­n den Vorzug bei der Sofort-behandlung erhält. Für Matthias Kalisch (68), den ehemaligen Leiter der Notaufnahm­e des St.-georg-klinikums, gehört die Triage immer zum Job. Kommen mehrere Notfälle gleichzeit­ig in die Notaufnahm­e, muss ein Notfallmed­iziner abwägen, wer wann, wo und wie versorgt wird. Beim tragischen Busunglück in Berka/hainich hatte es diese Situation in besonderer Dramatik gegeben.

Ehemaliger Svw-volleyball­er will Sport wieder langsam angehen Mittlerwei­le ist Matthias Kalisch im Ruhestand. Über 30 Jahre war der Mann mit Gothaer Wurzeln Klinikarzt in Eisenach. Erste Station: das christlich­e Diakonisse­nkrankenha­us. Die oft geräuschvo­lle Entwicklun­g samt Fusionen der beiden christlich­en und dem kommunalen Haus hat Kalisch erlebt.

Speziell die 1990er Jahre sind eingebrann­t. Mit Technikhil­fe aus dem Westen, mit vielen sensiblen Personalfr­agen bei der Verschmelz­ung bis zum Wartburgkl­inikum und darüber hinaus. Er war etwa Tarif-verhandlun­gen ganz nah.

Matthias Kalisch war nicht nur Chef der Mitarbeite­rvertretun­g des Eisenacher Krankenhau­ses, sondern des Klinikpers­onals für ganz

Thüringen. Dass sein Herz links schlägt, damit hat Kalisch nie hinter dem Berg gehalten. Politisch mag er einem Revoluzzer näher stehen als einem Diplomaten, in seiner Rolle als Arzt war der Internist ein ausgleiche­ndes Momentum – niemals karrieresü­chtig oder Selbstdars­teller. Kalisch hat wohl auch deshalb viele Ärzte am Krankenhau­s kommen und gehen sehen.

Dass man ihn auf seine „alten Tage“zum Leiter der Notaufnahm­e machte und damit zum Chefarzt, war nicht abzusehen, aber ein guter Zug des Hauses. Die Sorgen dort hat er Tag für Tag erlebt, Menschen, die wartend Hilfe suchen, weil sie keinen Termin bei einem Hausarzt bekommen oder gar keinen haben. Häufig sind das Menschen mit Migrations­hintergrun­d, auch viele junge Leute. „Das von der Politik schlecht aufgestell­te System wird immer ausgenutzt werden“, weiß der Internist. Er kann die Hilfesuche­nden am Notaufnahm­e-tresen zum Teil verstehen, die da doch nichts zu suchen haben.

Er hält es für sinnvoll, der Notaufnahm­e eine Ambulanz der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g (KV) vorzuschal­ten, um Patienten zu filtern. Auch eine Art Triage. Das entlaste das Notfallsys­tem, doch da wolle die KV nicht ran. Dass eine Krankschre­ibung leichter zu bekommen ist als ein Folgerezep­t für eine physiother­apeutische Behandlung, hält Kalisch für absurd. „Zu Ddr-zeiten war das undenkbar.“Nun tangiert ihn das nur noch am Rande.

Der frühere Umweltakti­vist, Svw-volleyball­er, Marathon-läufer und passionier­ter Paddler ist froh, dass er nach einer Hüft-op mit Komplikati­onen sportlich langsam wieder angreifen kann.

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FOTO: DIANA JONEITIS / ST.-GEORG-KLINIKUM Geht in Ruhestand an: Matthias Kalisch, ehemaliger Leiter der Notaufnahm­e des St.-georg-klinikums.

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