Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Umzug in ein anderes Leben
Wohnungsauflösungen haben für mich den Beigeschmack von Anmaßung in einem anderen Leben herumzustöbern, besonders dann, wenn man es seit vielen Jahren kennt. Es tritt uns in Form von unfreiwilligen Recherchen gegenüber. Wir nehmen Gegenstände in die Hand, über die wir entscheiden müssen, was mit ihnen geschehen soll, weil es die Besitzerin selbst nicht mehr kann.
Es sind Sachen mit denen sie Jahrzehnte gelebt hat, die sie aber in ihrer Bedeutung und Umgangsweise nicht mehr erkennt. Ihr orientierungsloses Gedächtnis hat die Fähigkeit zur eigenen Lebensgestaltung verloren. Die Fürsorge in einer anderen Lebensumgebung ist unumgänglich.
Da sind Dinge mit emotionalem Erinnerungswert, die wir zu Gesicht bekommen und die auf eine Entscheidung warten. Entrümpelung nennt sich dieses Wort, dass uns zudringlich wird und uns zeitweise in der Erledigung dieser Pflichten hemmt.
In Stapeln von Fotodokumenten und Briefen finden wir Bruchstücke eigener Lebensabschnitte, in denen sich die Konstellation unserer Nahverwandten in der Familie verdeutlicht. Sie trat oft als Schlichtende und Einende auf, wenn zwei ihre Zwistigkeiten auszutragen hatten. Sie war oft im Bunde die Dritte und hat manchen Lebenswert mit uns geteilt. Und so ist es nun unser Anliegen, von dem etwas zurückzugeben, was sie uns jahrzehntelang uneigennützig gab. Und gerade darin offenbart sich der Gang über einen schwierigen unsicheren Pfad. Unsere Angehörigen führte viele Jahre ein geordnetes und selbstbestimmtes Leben. In ihrer Langzeiterinnerung ist dieser charakterliche Kern scheinbar unzerstörbar verankert.
Er will die Gegenwart in Erinnerung an diese vitale Zeiten noch meistern. Es deshalb als Entwurzelung zu begreifen, war uns vorerst nicht eingängig und belädt uns manchmal mit unruhigem Gewissen. Dennoch sind wir uns sicher, das Alternativlose für sie getan zu haben.