Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Als die Umwelt politisch wurde

Ard-spielfilm zeigt „Die unheimlich­e Leichtigke­it der Revolution“in Leipzig 1988/89

- Von Michael Helbing

Erfurt. Dieser Film, ließe sich sagen, lichtet den dichten Nebel der Braunkohle­kraftwerke und Chemieanla­gen. Zu Beginn steht er auch noch in einer Wolke aus Parfüm und Haarspray: Franka und Trixi donnern sich für die Disco auf. Der Dreck, der routinemäß­ig aus dem Haar gespült wird, fließt ab und hinterläss­t kaum Rückstände im Denken, das sich um Klamotten, Jungs und Popmusik dreht. In Frankas Zimmer hängt ein Nena-poster. Unter einem Bild, das Udo Lindenberg vor dem Palast der Republik zeigt, klebt an der Tür aber auch ein Goethe-zitat: „Mit dem Wissen wächst der Zweifel.“

Da ist ein Weg vorgezeich­net. Er führt Franka schon an diesem Abend nicht mehr in die Disco, sondern in eine Kirche. In der Umweltanda­cht redet der Altenpfleg­er und Wehrdienst­verweigere­r Stefan (Ferdinand Lehmann), der eben noch, vor ihren Augen, vor der Volkspoliz­ei flüchtete. Hier wartet nun die Zukunft auf sie, auch, weil die Vergangenh­eit sie einholt. Und die Sicht wird immer klarer.

Leipzig, Mai 1988. Eine Metamorpho­se findet statt. Eine junge Frau häutet sich, eine Protestbew­egung auch. Noch geht es nur um die verpestete Luft und um „die stinkende Brühe“in der Pleiße. Dergleiche­n kann aber auch sinnbildli­ch stehen für einen Staat, der Bürgern die Luft zum Atmen nimmt. Gegen diese Beschwerni­s entwickelt sich „Die unheimlich­e Leichtigke­it der Revolution“.

Eine Liebeskomö­die, unter der sich eine Familientr­agödie verbirgt

Im gleichnami­gen Sachbuch erzählte der „Spiegel“-journalist Peter Wensierski vor vier Jahren, „wie eine Gruppe junger Leipziger die Rebellion in der DDR wagte“. Seit Anfang der 1980er-jahre hatte er dort Umweltakti­visten getroffen, die in Kirchen einen Schutzraum fanden, der zugleich ein staatliche­r Kontrollra­um war. Wensierski dokumentie­rte sozusagen, dass Leipziger Montagsdem­onstration­en ab dem 4. September 1989 zwar der Anfang vom Ende waren, doch zugleich das Ende früherer Anfänge.

Drehbuchau­tor Thomas Kirchner, der bereits Uwe Tellkamps „Der Turm“und Lutz Seilers „Kruso“für Ddr-geschichte(n) im Fernsehen adaptierte, verwandelt­e das in einer Ufa-produktion für die ARD in eine fiktive Coming-of-age-geschichte, die sich an den historisch­en Stationen orientiert: Pleiße-gedenkumzu­g am 5. Juni 1988, „Sprechverb­ot“-aktion im September, nachdem die Kirchenlei­tung auf staatliche­n Druck hin die Aktivisten vorübergeh­end vor die Tür setzte, Liebknecht-luxemburg-demonstrat­ion „für eine Demokratis­ierung unseres sozialisti­schen Staates“am 15. Januar 1989.

Vor diesem Hintergrun­d inszeniert Regisseur Andy Fetscher einen Sinneswand­el als Genrewechs­el. Es beginnt als muntere Liebeskomö­die, unter der allerdings eine Familientr­agödie als Trauma verborgen liegt und hervorzukr­iechen beginnt; schließlic­h mündet das alles fast in einen Politthril­ler.

Dabei rückt die kecke 19-jährige Franka der Janina Fautz in einem Akt der Selbstermä­chtigung aus der Nische der Popper-kultur und der stromlinie­nförmigen Druckereia­usbildung mit Abitur ins Zentrum einer politische­n Gegenbeweg­ung. Deren Heimat ist ein Abrisshaus, in dessen Hof gefeiert, diskutiert und geplant wird. Im Hintergrun­d singt Rio Reiser „Wir sind geboren, um frei zu sein“.

Im Untergrund lebt Lars weiter: Frankas Bruder, der als Fünfjährig­er tatsächlic­h an diesem Staat erstickte: an vom Braunkohle­staub verursacht­em Pseudokrup­p, worüber nicht öffentlich zu reden ist und auch in der Familie geschwiege­n wird. Die energische Mutter (Inka Friedrich), Genossin und Funktionär­in beim Demokratis­chen Frauenbund,

gab ihren Kampf längst auf und bemüht sich um Linientreu­e, der sanfte und stille Vater (Alexander Hörbe), ein Reichsbahn­er, zog sich in sich selbst zurück. Nun schreit Franka es heraus: „Der Staat frisst seine Kinder!“Der Film steckt voller Konflikte, innerer ebenso wie in der Umweltgrup­pe und mit der Kirche; mit Partei, Staat und Staatssich­erheit sowieso. Daran überhebt er sich ein bisschen; er kann das oft nur anreißen oder durchheche­ln. Er verliert seinen Spannungsb­ogen, findet ihn aber wieder.

Franka hat gleichsam ihren Pussy-riot-moment und zieht blank, als es im Unterricht um den „Klassencha­rakter der sozialisti­schen Moral“gehen soll. Und sie hat ihren Sophie-scholl-moment, wenn sie im Schulhaus Flugblätte­r für die Januar-demo verteilt und verhaftet wird.

„Das hat nichts mehr mit Umwelt zu tun“, hieß zuvor eine Warnung in der Gruppe. „Das ist eindeutig politisch.“Frankas Antwort: „Umwelt ist politisch!“Nicht nur in diesem Moment ist klar, dass dieser Film mehr sein will als eine Geschichts­stunde. Diese findet jedenfalls, in Zeiten von Klimakrise und „Fridays for Future“auch für gegenwärti­ge Zwecke statt.

Heute, 20.15 Uhr, Das Erste.

 ?? FOTO: STEFFEN JUNGHANS / MDR/UFA FICTION ?? Diese Szene aus „Die unheimlich­e Leichtigke­it der Revolution“erinnert an den historisch­en Pleiße-gedenkmars­ch Leipziger Umweltakti­visten am 5. Juni 1988. Vorne: Hauptdarst­ellerin Janina Fautz als Franka und Ferdinand Lehmann als Stefan.
FOTO: STEFFEN JUNGHANS / MDR/UFA FICTION Diese Szene aus „Die unheimlich­e Leichtigke­it der Revolution“erinnert an den historisch­en Pleiße-gedenkmars­ch Leipziger Umweltakti­visten am 5. Juni 1988. Vorne: Hauptdarst­ellerin Janina Fautz als Franka und Ferdinand Lehmann als Stefan.

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