Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Als die Umwelt politisch wurde
Ard-spielfilm zeigt „Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution“in Leipzig 1988/89
Erfurt. Dieser Film, ließe sich sagen, lichtet den dichten Nebel der Braunkohlekraftwerke und Chemieanlagen. Zu Beginn steht er auch noch in einer Wolke aus Parfüm und Haarspray: Franka und Trixi donnern sich für die Disco auf. Der Dreck, der routinemäßig aus dem Haar gespült wird, fließt ab und hinterlässt kaum Rückstände im Denken, das sich um Klamotten, Jungs und Popmusik dreht. In Frankas Zimmer hängt ein Nena-poster. Unter einem Bild, das Udo Lindenberg vor dem Palast der Republik zeigt, klebt an der Tür aber auch ein Goethe-zitat: „Mit dem Wissen wächst der Zweifel.“
Da ist ein Weg vorgezeichnet. Er führt Franka schon an diesem Abend nicht mehr in die Disco, sondern in eine Kirche. In der Umweltandacht redet der Altenpfleger und Wehrdienstverweigerer Stefan (Ferdinand Lehmann), der eben noch, vor ihren Augen, vor der Volkspolizei flüchtete. Hier wartet nun die Zukunft auf sie, auch, weil die Vergangenheit sie einholt. Und die Sicht wird immer klarer.
Leipzig, Mai 1988. Eine Metamorphose findet statt. Eine junge Frau häutet sich, eine Protestbewegung auch. Noch geht es nur um die verpestete Luft und um „die stinkende Brühe“in der Pleiße. Dergleichen kann aber auch sinnbildlich stehen für einen Staat, der Bürgern die Luft zum Atmen nimmt. Gegen diese Beschwernis entwickelt sich „Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution“.
Eine Liebeskomödie, unter der sich eine Familientragödie verbirgt
Im gleichnamigen Sachbuch erzählte der „Spiegel“-journalist Peter Wensierski vor vier Jahren, „wie eine Gruppe junger Leipziger die Rebellion in der DDR wagte“. Seit Anfang der 1980er-jahre hatte er dort Umweltaktivisten getroffen, die in Kirchen einen Schutzraum fanden, der zugleich ein staatlicher Kontrollraum war. Wensierski dokumentierte sozusagen, dass Leipziger Montagsdemonstrationen ab dem 4. September 1989 zwar der Anfang vom Ende waren, doch zugleich das Ende früherer Anfänge.
Drehbuchautor Thomas Kirchner, der bereits Uwe Tellkamps „Der Turm“und Lutz Seilers „Kruso“für Ddr-geschichte(n) im Fernsehen adaptierte, verwandelte das in einer Ufa-produktion für die ARD in eine fiktive Coming-of-age-geschichte, die sich an den historischen Stationen orientiert: Pleiße-gedenkumzug am 5. Juni 1988, „Sprechverbot“-aktion im September, nachdem die Kirchenleitung auf staatlichen Druck hin die Aktivisten vorübergehend vor die Tür setzte, Liebknecht-luxemburg-demonstration „für eine Demokratisierung unseres sozialistischen Staates“am 15. Januar 1989.
Vor diesem Hintergrund inszeniert Regisseur Andy Fetscher einen Sinneswandel als Genrewechsel. Es beginnt als muntere Liebeskomödie, unter der allerdings eine Familientragödie als Trauma verborgen liegt und hervorzukriechen beginnt; schließlich mündet das alles fast in einen Politthriller.
Dabei rückt die kecke 19-jährige Franka der Janina Fautz in einem Akt der Selbstermächtigung aus der Nische der Popper-kultur und der stromlinienförmigen Druckereiausbildung mit Abitur ins Zentrum einer politischen Gegenbewegung. Deren Heimat ist ein Abrisshaus, in dessen Hof gefeiert, diskutiert und geplant wird. Im Hintergrund singt Rio Reiser „Wir sind geboren, um frei zu sein“.
Im Untergrund lebt Lars weiter: Frankas Bruder, der als Fünfjähriger tatsächlich an diesem Staat erstickte: an vom Braunkohlestaub verursachtem Pseudokrupp, worüber nicht öffentlich zu reden ist und auch in der Familie geschwiegen wird. Die energische Mutter (Inka Friedrich), Genossin und Funktionärin beim Demokratischen Frauenbund,
gab ihren Kampf längst auf und bemüht sich um Linientreue, der sanfte und stille Vater (Alexander Hörbe), ein Reichsbahner, zog sich in sich selbst zurück. Nun schreit Franka es heraus: „Der Staat frisst seine Kinder!“Der Film steckt voller Konflikte, innerer ebenso wie in der Umweltgruppe und mit der Kirche; mit Partei, Staat und Staatssicherheit sowieso. Daran überhebt er sich ein bisschen; er kann das oft nur anreißen oder durchhecheln. Er verliert seinen Spannungsbogen, findet ihn aber wieder.
Franka hat gleichsam ihren Pussy-riot-moment und zieht blank, als es im Unterricht um den „Klassencharakter der sozialistischen Moral“gehen soll. Und sie hat ihren Sophie-scholl-moment, wenn sie im Schulhaus Flugblätter für die Januar-demo verteilt und verhaftet wird.
„Das hat nichts mehr mit Umwelt zu tun“, hieß zuvor eine Warnung in der Gruppe. „Das ist eindeutig politisch.“Frankas Antwort: „Umwelt ist politisch!“Nicht nur in diesem Moment ist klar, dass dieser Film mehr sein will als eine Geschichtsstunde. Diese findet jedenfalls, in Zeiten von Klimakrise und „Fridays for Future“auch für gegenwärtige Zwecke statt.
Heute, 20.15 Uhr, Das Erste.