Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Im Klub der belesenen Damen
Frank Quilitzsch hat die Seniorinnen des Lesezirkels in Neulobeda-ost besucht
Danke, dass Sie den Weg zu uns auf sich genommen haben“, begrüßt mich die Zirkelleiterin, Roswitha K. „Wir wollen heute über den Liedermacher Gerhard Gundermann sprechen, da sind Sie ja Experte. Und Sie haben ihn persönlich gekannt.“
Zehn ältere Damen, keine jünger als 70, drei bereits über 80, blicken mich erwartungsvoll an. Sie sind gut vorbereitet: Auf dem Tisch liegen Zeitungsartikel, ein Gundermann-kalender und der Interview-band von Hans-dieter Schütt. Auf einem Stuhl steht der Cd-player.
Aber erst mal wird angestoßen. „Lilo hat heute Geburtstag. Und wenn schon mal ein Mann bei uns ist, kann er auch gleich die Sektflaschen öffnen.“
Ich gebe mein Bestes. Wir singen ein Ständchen für Lilo G., die sage und schreibe 86 wird. Da fühle ich mich mit meinen 61,3 Jahren als Jungspund in der Runde.
Vor sieben Jahren war ich schon einmal bei ihnen zu Gast; wir saßen im Theaterhaus, und die Damen wünschten eine Erklärung, warum ich in meiner Premierenkritik den Hamlet in Bausch und Bogen verdammt hätte. Ich erläuterte meine Kriterien, an denen ich Theateraufführungen messe, und wir stritten darüber, wie weit ein Kritiker mit seinem Urteil gehen dürfe. Ich hörte mir ihre Ansichten aufmerksam an, blieb aber in der Sache hart. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb? – haben sie mich wieder einbestellt.
Dass sich 70- und 80-Jährige für Gundermann interessieren, überrascht mich. Drei Zirkelteilnehmerinnen haben den Film von Dresen gesehen, zwei waren sogar im Kulturarena-livekonzert. Frau K. gibt eine biografische Einführung, dann wollen wir uns einen Song anhören, doch der Recorder bleibt stumm.
„Hast du auch die CD eingelegt?“, fragt Gabriele H. Die Zirkelleiterin nickt.
Gut, dass ein Mann da ist. Tatsächlich gelingt es mir, das Laufwerk zu starten.
„Jedes Haus in Santa Clara / mit’m Bild von Che Guevara / das alles war noch da / als ich in Kuba war“, schnarrt Gundermanns Stimme. Es ist der falsche Song. Den richtigen trägt die Zirkelleiterin dann gleich selber vor: „Und ich habe keine Zeit mehr, / ich stell’ mich nicht mehr an / in den langen Warteschlangen, / wo man sich verkaufen kann.“
Sofort entspinnt sich eine Diskussion über die echten Werte des Lebens, über Brüche in ostdeutschen Biografien und darüber, was man sich trotz fortgeschrittenen Alters noch so alles vornimmt. Die Damen sind gut unterwegs, unternehmen gemeinsam Kulturausflüge und sammeln für die Wiederaufstellung der Jenaer Becher-büste. Eine rezitiert aus dem Kopf Kubas „Sagen wird man über unsre Tage“, eine andere erinnert an Aitmatows Spruch: „Vergiss nie, wo du hergekommen bist.“Nach zwei Stunden mache ich mich erstmal auf den Heimweg.