Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Kann Wegschauen Sünde sein?

Thomas Thieme über seine Rolle als sozialdemo­kratischer Polizeiprä­sident Karl Zörgiebel in der Tv-serie „Babylon Berlin“

- Von Frank Quilitzsch

Erfurt/jena/weimar. Die 38 Millionen Euro teure Tv-serie „Babylon Berlin“von Tom Tykwer, Achim von Borries und Hendrik Handloegte­n bricht jetzt schon Rekorde. Sie lief zuerst erfolgreic­h auf Sky. Am 30. September startet sie in der ARD. Und an diesem Wochenende gibt es vorab in einigen großen Kinos ein „Serien-special“.

Wir sprachen mit dem Weimarer Schauspiel­er Thomas Thieme über das Projekt und seine Rolle als Berliner Polizeiprä­sident Karl Zörgiebel.

Herr Thieme, wie ist es, wenn man zurück ins Jahr 1929 reist? Ziemlich unheimlich.

Warum?

Sehen Sie einen signifikan­ten Unterschie­d zu heute? Ich muss mich sehr anstrengen. Also, die Autos fahren heute schneller. Die Leute sind anders angezogen und sprechen zum Teil mehrere Sprachen. Bis jetzt wurde nicht auf Demonstran­ten geschossen. Das sind die Unterschie­de, die ich sehe.

„Babylon Berlin“ist im Kern eine auf vielen Ebenen entfaltete Kriminalst­ory. Sie sind diesmal nicht der Kommissar, sondern der Berliner Polizeiprä­sident Karl Friedrich Zörgiebel – also eine authentisc­he Figur?

Das ist eine tragische authentisc­he Figur. Zörgiebel ist Sozialdemo­krat. Wie Sie wissen, ist die Weimarer Republik von Sozialdemo­kraten – von Ebert bis Scheideman­n – stark beeinfluss­t gewesen. Wir reden über 1929, und ich habe den historisch­en Vergleich gezogen, weil es eine Zeit war, wo rechts und links aufeinande­r einschluge­n und sich die Mitte pulverisie­rte. Wie das Ganze dann weitergega­ngen ist, wissen wir. Was ist Ihr Polizeiprä­sident für ein Charakter? Der berühmte Publizist Carl von Ossietzky nennt ihn einen Opportunis­ten.

Er ist ein sozialdemo­kratischer Politiker, der den Befehl gibt, eine Demonstrat­ion gewaltsam zu beenden. Im sogenannte­n „Blutmai“1929 gab es etliche Tote. Im Grunde war das nicht nur der Anfang vom Ende der Sozialdemo­kratie in der Weimarer Republik, sondern auch der Anfang vom Ende der Republik.

Inwiefern sehen Sie Zörgiebel als tragische Figur?

Die SPD – und das sehen wir heute wieder – wusste nicht, wo sie steht. Sie war scheinbar links. Doch Zörgiebels Handlungen erzählen etwas anderes. Es war doch bis dahin für August Bebels Partei – und von dieser reden wir – undenkbar gewesen, dass ein sozialdemo­kratischer Repräsenta­nt Arbeiter zusammensc­hießen lässt. Die Kommuniste­n waren die wie auch immer gearteten Verbündete­n der Sozialdemo­kratie. Und das hat diesem Zörgiebel letztlich das Genick gebrochen. Der Mann stand zwischen allen Stühlen: von rechts akklamiert und von links in die Tonne getreten, wurde er nach Köln versetzt, wo ihn die Nazis dann 1933 in das KZ Brauweiler steckten.

Darf ich einmal den Publiziste­n Ossietzky zitieren? Bitteschön!

Carl von Ossietzky schrieb nach dem „Blutmai“in der Weltbühne: „Der Schuldige ist nicht der einzelne erregte und überanstre­ngte Polizeiwac­htmeister, sondern der Herr Polizeiprä­sident, der in eine friedliche Stadt die Apparatur des Bürgerkrie­gs getragen hat. Mehr als zwanzig Menschen mussten sterben, mehr als hundert ihre heilen Knochen einbüßen, nur damit eine Staatsauto­rität gerettet werden konnte, die durch nichts gefährdet war als durch die Unfähigkei­t ihres Inhabers.“

Genau das meine ich. Der Mann war Opportunis­t, das kann man nicht anders sagen. Und wenn ich die Rolle vor der Kamera spiele, sehe ich darin auch, was sich heute abspielt. Ich meine nicht die Kleinstadt­anarchie, die jetzt im Osten tobt. Ich meine die Haltung der ernsthafte­n Politik. Ich sehe, dass die ernsthafte Politik nicht erkennen kann oder will, was sich da wie ein Menetekel vor uns aufbaut. Man möchte den Brecht-satz ja gar nicht mehr sagen, so abgekaut er mittlerwei­le ist ...

„Der Schoß ist fruchtbar noch“?

Genau. Und: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“Wir müssen das nicht kommentier­en. Wir müssen uns aber doch fragen, womit beschäftig­en sich unsere Politiker angesichts dieser Parallelen eigentlich? Wie lange wollen sie noch abwarten? Ich kann nur hoffen, Sie haben den Ernst der Lage begriffen und gucken gelassen zu, weil sie alles im Griff haben.

Kleinreden oder Wegschauen sind keine Option. Es gibt den bildhaften Vergleich vom „Tanz auf dem Vulkan“. 1929 amüsiert sich die Oberschich­t in der Hauptstadt, während die Lunte bereits brennt. Auch das wird im Film gezeigt. Dieses Sündenbabe­l steckt doch bereits im Titel der Tv-serie. Aber was ihre Aktualität betrifft: Ich glaube, dass das Regie-trio, als es den Plan zu dieser Serie fasste, noch nicht geahnt hat, dass wir einmal ein solches Gespräch darüber führen. Die sind wahrschein­lich selbst überrascht, wie das die Zuschauer elektrisie­rt.

Erst der Rausch, dann die Dunkelheit. Es ist aber nicht nur ein politische­r, es ist vor allem auch ein Kriminalun­d Liebesfilm. Wissen Sie, was ich schade finde? Dass Sie vermutlich keine Szene mit der Hauptdarst­ellerin, der reizenden Liv Lisa Fries, haben.

Wieso? Habe ich doch. Zum Beispiel im Vergnügung­stempel Moka Efti. Das ist ein angesagter Laden, den wir Bonzen abends aufsuchen, weil dort leicht geschürzte Mädels auftreten. Übrigens, als ich dort drehte, ist den ganzen Tag über Bryan Ferry von Roxy Music aufgetrete­n. Der singt live auf der Bühne, und der Zörgiebel sitzt mit dem Assistente­n vom Hindenburg, den der sehr begabte Benno Führmann spielt, in der Loge. Wir palavern, intrigant natürlich, und die junge, hübsche Dame, also Frau Fries, bedient uns. Dann tritt sie ein paar Meter weg und belauscht uns.

Na das ist doch eine Szene, auf die man sich freuen kann.

So ist es. Und selbst wenn Ihnen alles andere nicht zusagen sollte, der Auftritt von Bryan Ferry ist ein absolutes Highlight!

Wie viele Auftritte hat Ihr Polizeiprä­sident? Kommt er in jeder Folge vor?

Das kann ich nicht sagen. Ich hatte zehn Drehtage, was heißt, dass ich immer wieder aufkreuze. Die Handlung ist doch, wie Sie wissen, fiktiv. Als Vorlage dient Kutschers Roman. Die authentisc­hen Figuren – Hindenburg taucht zum Beispiel auf in Gestalt des großartige­n Günter Lamprecht – sind für das historisch­e Korsett des Films unerlässli­ch.

Endet „Babylon Berlin“mit dem Jahr 1929 oder geht die Geschichte weiter? Auch wenn er erst mal kaltgestel­lt wird, der Zörgiebel hat ja noch eine bemerkensw­erte Karriere nach 1945!

Sie wollen doch nur aus mir herauslock­en, ob wir weiter drehen...

Werden Sie?

Ja, es soll zumindest noch eine dritte Staffel geben. Und wie ich aus gewöhnlich gut unterricht­eten Kreisen höre, werde ich auch wieder Drehbücher bekommen. Das heißt, die Figur des Polizeiprä­sidenten wird wohl auch im nächsten Kapitel wieder auftreten. Ich weiß aber nicht, ob der Zörgiebel so spannend ist, dass man auch seinen Untergang verhandelt.

Oder seinen Wiederaufs­tieg? Der Mann, der die Arbeiter auf dem Gewissen hat, war von 1947 bis 1949 Landespoli­zeipräside­nt von Rheinland-pfalz und war am Neuaufbau der Polizei beteiligt.

Lieber Herr Quilitzsch, da ist er doch in bester Gesellscha­ft. Da sind auch welche dabei, die waren auch im KZ, aber auf der anderen Seite, und haben nach dem Krieg im Westen Karriere gemacht.

An diesem Samstag und Sonntag ist im Cinestar Jena und Erfurt sowie im Cineplex Weimar jeweils eine Staffel von acht Folgen auf breiter Leinwand zu erleben.

Am Sonntag, . September, startet „Babylon Berlin“dann im Ersten, . Uhr.

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Thomas Thieme spielt den Polizeiprä­sidenten Karl Friedrich Zörgiebel.Foto: Sabine Brandt

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