Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Wenn der Staatsanwalt zweimal klingelt
Im Sommer des Jahres 2013 befand sich Dieter Lauinger im Wahlkampf. Der Landeschef der thüringischen Grünen stand auf Platz 2 der Landesliste für die Bundestagswahl. Die Aussichten, dass die kleine Landespartei zusätzlich zu ihrer ewigen Abgeordneten Katrin Göring-eckardt erstmals ein zweites Mandat in Berlin erhalten könnte, erschienen gut.
Aber eben nicht gut genug. Und so erstattete Lauinger gemeinsam mit seiner Co-vorsitzenden Babette Pfefferlein Strafanzeige gegen die Ministerpräsidentin von der CDU. Nicht anonym, wie es immer wieder im politischen Nahkampf vorkommt, sondern mit Namen, damit der Ruhm des Aufklärers bei ihm landen möge.
Anlass war der Umstand, dass Christine Lieberknecht ihren Regierungssprecher und Staatssekretär in den lukrativen einstweiligen Ruhestand versetzen ließ. Und dies, obwohl er zumindest dem äußeren Anschein nach von sich aus auf einen Job in die Wirtschaft gewechselt war.
Damit hätte Lieberknecht gegen das Beamtenrecht ungerechtfertigte Kosten für das Land verursacht. Und damit, sagten die grünen Landeschefs, sei der Anfangsverdacht der Untreue zu Lasten des Landes gegeben.
Tatsächlich hatte Lieberknecht einen kapitalen politischen Fehler begangen. Doch Vorsatz oder gar kriminelles Handeln waren ihr nicht nachzuweisen. Sie konnte belegen, dass sie es war, die ihren Sprecher zum Gehen nötigte und dies nur zu dessen Schutz nach außen hin anders darstellte. Die Staatsanwaltschaft stellte ihre Ermittlungen wieder ein.
Dass er damit aus der öffentlichen Strafanzeige ein politisches Instrument fertigte, begründete Lauinger damals mit dem Schweigen der Ministerpräsidentin. Sie teile nichts Substanzielles zu den Vorwürfen mit, sagte er, und sorge nicht für Aufklärung.
Martin Debes ist Chefreporter der Thüringer Allgemeinen
Damit hatte Lauinger Recht. Allerdings besitzt ein Politiker viele Möglichkeiten, zumal dann, wenn er einer oppositionellen Parlamentspartei vorsitzt. Ob nun Ansprachen, Anfragen Aktuelle Stunden: Der Besteckkasten ist vielfältig. Und wenn gar nichts hilft, gibt es immer noch den Untersuchungsausschuss.
Aber all dies hätte dem Bundestagskandidaten mitten im Sommer nichts genützt. Also stellte er Anzeige und beschleunigte die Skandalisierung. Die Immunität der Abgeordneten Lieberknecht wurde aufgehoben, überall wurde darüber berichtet.
Fünf Jahre später haben sich die Verhältnisse umgekehrt. Lauinger ist Justizminister in der rot-rot-grünen Landesregierung, derweil die CDU in der Opposition modert.
Seit 2016 versucht auf ihren Antrag ein Untersuchungsausschuss im Landtag zu klären, ob er sein Amt missbrauchte, damit sein Sohn von einer gesetzlich vorgeschriebenen Schulprüfung befreit blieb. Und seit Ende voriger Woche liegt eine Strafanzeige gegen ihn bei der Staatsanwaltschaft Erfurt.
Sie stammt vom Cdu-landtagsabgeordneten Stefan Gruhner, der die Junge Union in Thüringen führt. Für ihn hat der Minister das Gesetz gebrochen, weil er die Spd-finanzministerin noch vor dem Landtag darüber informierte, dass die Staatsanwaltschaft die Immunität von Cdu-landeschef Mike Mohring aufheben lassen wolle, um gegen ihn wegen Steuerhinterziehung zu können.
Der Anruf Lauingers bei der Ministerin, sagt Gruhner, sei Geheimnisverrat, zumal die Staatsanwaltschaft alle Beteiligten um strengste Vertraulichkeit gebeten habe. Vor allem aber, sagt der Jungunionist, sei es fatal, dass der Minister dazu keine Fragen beantworte, während der Ministerpräsident die Sache auch noch schön rede.
Nun könnte Gruhner warten, bis nächste Woche der Landtag zusammentritt. Er könnte Anfragen einreichen, eine Aktuelle Stunde anregen oder den Rücktritt des Ministers zum 23. Mal einfordern.
Aber die Strafanzeige ist halt die gemeinste Waffe: Das hat er bei Lauinger gelernt. Zudem ist die Konstellation besonders reizvoll. Eine Staatsanwaltschaft, die bereits nach Anzeige von Linke-abgeordneten wegen Geheimnisverrats ermittelt, weil auch Mohring vorzeitig von den geplanten Ermittlungen erfuhr, muss nun prüfen, ob sie zusätzlich ein Verfahren gegen den eigenen Dienstherrn einleitet: Das ist selbst für hiesige Verhältnisse ein bemerkenswerter Vorgang.
Und, es gibt es einen Kollateralnutzen. Mit den Attacken auf Lauinger hält Gruhner die Steuersache seines Parteichefs in den Medien – was nicht in dessen Interesse liegt. Nicht umsonst gibt Mohrings Fraktion nur auf Anfrage und nur über einen Sprecher laue Statements zu Lauinger ab.
Somit handelt es sich eben nicht, wie Linke und Grüne empört rufen, um ein perfides Manöver, um von Mohring abzulenken. Das Gegenteil stimmt: Es ist, unter anderem, um eine perfekt abgetarnte Operation unter innerparteilicher Konkurrenten.