Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Wut und Leere
Der FC Bayern klammert sich nach dem Drama von Madrid ans nächste große Ziel
Nach dem Drama in der Hölle von Bernabeu herrschte beim FC Bayern die große Leere. Kein deutsches Traumfinale in Wembley, kein Titel, noch immer kein Trainer für die neue Saison. Stattdessen klammerte sich die Trauergemeinde um den untröstlichen Pechvogel Manuel Neuer im Madrider Gourmet-Restaurant Platea an die vage Hoffnung auf das „Finale dahoam“2025. „Das ist jetzt unser großes Ziel!“, rief Vorstandschef Jan-Christian Dreesen über die Köpfe von Thomas Tuchel und Uli Hoeneß am Tisch der Bosse hinweg.
Doch der Applaus geriet allzu kraftlos. Zu groß war an diesem „schweren Tag“(Dreesen) mit dem Halbfinal-Aus in der Champions League bei Real Madrid (1:2) die Wut auf Schiedsrichter Szymon Marciniak, zu groß der Ärger über den seltenen Patzer von Neuer, der nach der Führung durch Alphonso Davies (68.) das brutale, späte Aus durch die Treffer von Joselu (88. und 90.+2) eingeleitet hatte. Während der traurige Kapitän in einem Teller Reis stocherte, beschwor Dreesen das altbekannte Klubmotto.
Der „Mia-san-mia-Reflex“müsse den deutschen Rekordmeister wie in anderen „Talsohlen“der Vergangenheit leiten, sagte der Klubchef und zitierte fast flehentlich Thomas Müller. Der Ur-Bayer habe nach dem „Drama dahoam“2012 gegen den FC Chelsea, das in der Klubhistorie gleichrangig neben der „Mutter aller Niederlagen“1999 gegen Manchester United steht, kämpferisch in den Mannschafts-Chat geschrieben: „Kopf hoch, Jungs! Was gestern passiert ist, tut extrem weh, aber nächstes Jahr schlagen wir zurück!“Zwölf Monate nach dem Drama 2012 waren die Bayern durch den Triumph von Wembley die Könige Europas. Auch nach dem Trauma 1999 hatten sie sich berappelt – und zwei Jahre später den Henkelpott errungen.
Im Halbfinale von Madrid schickte sich „Hexer“Neuer an, zum Helden zu werden. Doch ein „minimaler Maulwurf“, so der Torwart, hatte etwas dagegen: Dessen Hügelchen lenkte den Ball vor dem 1:1 kaum wahrnehmbar ab, und Neuer wurde zur tragischen Figur. „Ich fühle mich schlecht“, sagte er über seinen Fehler, der ihm „in 100 Jahren nicht noch mal passiert“, wie Tuchel zerknirscht feststellte.
Trost fand Neuer nicht, wie allen anderen blieb ihm eine Mischung aus Trauer und Groll – auf den Unparteiischen. Als „absolutes Desaster“bezeichnete Tuchel Marciniaks Pfiff „gegen alle Regeln des Fußballs“mitten hinein in eine Aktion, die zum vermeintlichen 2:2 durch Matthijs de Ligt geführt hatte. „Aberwitzig“, fand es Müller. Für die Entschuldigung des Polen, ätzte Sportvorstand Max Eberl „stocksauer“, könne sich der FC Bayern „einen Scheißdreck kaufen“.
Trainer Tuchel, der gegen Wolfsburg am Sonntag und Hoffenheim (18. Mai) zwei „Abschiedsspiele“bekommt, geht als Unvollendeter. „Einfach sauer“, war er über das jähe Ende so kurz vor Erreichen des großen Traums. „Wir waren fast da und verstehen nicht so ganz, warum es nicht gereicht hat.“Wer auf Tuchel folgen wird, ist offener denn je. Neuerdings wird Hansi Flick wieder gehandelt – der Mann, der 2020 den Triple-Traum wahr machte.