Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)
„Ich habe nun eine zweite Familie“
Antonia verbrachte ein Jahr in Detroit. Von ihren Erfahrungen berichtet sie im Interview
Lena Enders, funky-Redakteurin
Iphofen. Vom fränkischen Weinort Iphofen in die US-Autostadt Detroit: Antonia Groth hat im vergangenen Schuljahr an einem Austausch in die USA teilgenommen. Die mittlerweile 18-Jährige erzählt im Interview von ihren Erlebnissen, der amerikanischen Spontanität und den kulturellen Unterschieden.
Antonia, wieso wolltest du an einem Schüleraustausch teilnehmen? Antonia Groth: Meine Familie hat mal eine Austauschschülerin aus Südafrika bei sich aufgenommen. Ich habe gemerkt, wie bereichernd das sein kann – wir stehen noch immer in Kontakt. Außerdem kann man allein durch Urlaub oder Reisen ein Land nie so richtig kennenlernen. Deshalb war für mich klar, dass ich über einen längeren Zeitraum in einem anderen Land in einer Familie leben möchte, um in die Lebensweise einzutauchen.
Du hast ein Jahr auf der anderen Seite des Atlantiks verbracht, weit weg von allem Bekannten. Hattest du etwas Bammel?
Natürlich hatte ich etwas Bammel. Ich habe mich gefragt, ob ich dort Freundinnen und Freunde finden würde, wie die Gastfamilie wohl ist und wie mein Alltag aussehen wird. Größere Angst hatte ich jedoch davor, was hier zu Hause passiert. Meine Großeltern sind schon recht alt und tatsächlich habe ich meine Oma während des Auslandsjahres verloren. Außerdem habe ich mich gefragt, wie es sein wird, wenn ich zurückkomme: Wird mein Freundeskreis der gleiche sein? Letztendlich muss man sich darüber keine Gedanken machen, es kommt, wie es kommt. Meine Vorfreude war riesig, größer als jede Angst!
Der Austausch war im Schuljahr 2021/2022, was in Deutschland coronabedingt mit großen Einschränkungen verbunden war. Wie war es während deines Austauschs?
Es fing damit an, dass ich ursprünglich im Schuljahr zuvor in die USA gehen wollte, was aber coronabedingt verschoben wurde. Ich musste mich also noch einmal neu auf das
Stipendium bewerben. Für den Austausch selbst fand das Vorbereitungsseminar nur online statt, sodass ich die anderen Austauschschülerinnen und -schüler des Programms nicht kennenlernen konnte. Teil des Stipendiums ist normalerweise eine gemeinsame Woche mit allen Teilnehmenden in Washington, D.C. Auch dieser Ausflug fiel aus. In den USA selbst gab es überraschenderweise keine Einschränkungen.
Wie bist du in Detroit empfangen worden?
Ich hatte einen langen Flug mit Umsteigen hinter mir. Angekommen am Flughafen, hatte ich noch nicht einmal meine Koffer abgeholt, da kam meine Gastfamilie schon winkend und mit Plakaten auf mich zu. Sie haben mich aus der Ferne bereits an meinen roten Haaren erkannt. Es war eine schöne Begrüßung.
Wie unterschied sich die CoronaRealität in den USA von der Situation in Deutschland?
Als ich ankam, musste man in der Schule noch eine Maske tragen. Ab Januar jedoch war das nicht mehr notwendig – man konnte sogar mit einer Covid-19-Infektion in die Schule gehen. Auch sonst musste man nirgendwo mehr eine Maske tragen oder andere Vorsichtsmaßnahmen berücksichtigen. In den USA gab es nicht einmal die Selbsttests. Natürlich gab es auch Staaten, wie zum Beispiel Texas, die zu keinem Zeitpunkt Corona-Maßnahmen ergriffen hatten.
Gab es Dinge, die dich daran gestört haben?
In den USA wird viel leichtsinniger mit Corona umgegangen. Es war ein seltsames Gefühl. Aber es scheint funktioniert zu haben – zumindest habe ich nicht mitgekriegt, dass das Gesundheitssystem zusammengebrochen ist oder Ähnliches.
Welche besondere Erfahrung hast du in Detroit gemacht?
Zu wissen, dass man eine Familie an einem ganz anderen Ort auf der Welt haben kann, ist eine besondere Erfahrung. Ich habe nun eine zweite Familie, die ich jederzeit besuchen kann. Außerdem bin ich gereift und habe mich enorm weiterentwickelt. Ich habe gelernt, eigenständig mit Problemen umzugehen und wie ich selbst schwierige Situationen lösen kann. Zudem sind die US-Amerikanerinnen und -Amerikaner spontan, und es hat mir gutgetan, diese Spontanität zu leben.
Gibt es etwas, das du vermisst beziehungsweise gar nicht vermisst? Direkt nach meiner Rückkehr nach Deutschland habe ich mich riesig gefreut, wieder zu Hause zu sein. Mittlerweile vermisse ich meine Gastfamilie sehr. Ich vermisse aber auch die Spontanität: abends um 22 Uhr einkaufen zu gehen oder mal eben ungeplant ins Kino zu gehen. Meine Mutter lacht immer, aber ich vermisse auch Starbucks. Das hat in den USA zur Wochenroutine dazugehört. Was ich nicht vermisse: nicht mobil zu sein. Als Austauschschülerin darfst du dort nicht Auto fahren, obwohl alle anderen Schülerinnen und Schüler bereits mit 16 Jahren ihren Führerschein gemacht haben. Es gibt kaum öffentliche Verkehrsmittel, sodass ich immer von meiner Gastfamilie oder Freundinnen abhängig war, um zu Freizeitaktivitäten zu gelangen. Die öffentlichen Verkehrsmittel in Deutschland sind viel besser ausgebaut als in den USA.
Was hast du persönlich aus diesem Jahr mitgenommen?
Oft fragt man sich, wieso machen andere Länder bestimmte Dinge ganz anders – insbesondere, wenn es politische Fragen betrifft. Der Austausch hat mich gelehrt, dass es Gründe dafür gibt, Dinge unterschiedlich zu machen. Man muss andere Länder erst einmal verstehen lernen. Ich habe die US-amerikanische Kultur besser kennengelernt und verstehe nun manche Dinge besser. Was nicht bedeutet, dass ich mit allem einverstanden bin.
Wie konntest du den Schüleraustausch finanzieren?
Ich war mit dem Parlamentarischen Patenschafts-Programm (PPP) in den USA. Das ist ein Vollstipendium, ohne das der Austausch für mich nicht möglich gewesen wäre. In diesem Programm werden Austauschschülerinnen und -schüler unabhängig vom Verdienst der Eltern ausgewählt und es geht vor allem um die Persönlichkeit. Soziales Engagement und politische Beteiligung sind wichtig. Es geht um einen selbst. Ich habe mich proaktiv schriftlich beworben. Es sind intensive, tiefgründige Fragen und ich habe Tage gebraucht, diese zu beantworten. Danach fand ein Gruppengespräch statt, in dem ich beantwortet habe, wie ich mich in bestimmten Situationen verhalten würde. Zum Schluss gab es noch ein Einzelgespräch, in dem noch einmal über die Bewerbung, aber auch über persönliche Dinge gesprochen wird. Die Informationen aus dem Gespräch gehen dann anonymisiert an den Kreisabgeordneten, der die letzte Auswahl trifft. Es wird also nach Persönlichkeitsmerkmalen entschieden.
Würdest einen Auslandsaufenthalt anderen Schülerinnen und Schülern weiterempfehlen?
Auf jeden Fall! In jeder Altersstufe ist so ein Austausch sinnvoll. Allerdings muss man dafür bereit sein, Neues zu entdecken, etwas aufzugeben und sich anzupassen. In einem Gastland und in der Gastfamilie ist nie alles genauso wie zu Hause. Andere Lebensweisen, andere Erziehung, andere Haushaltsführung – einiges ist grundlegend anders. Außerdem wird das Auslandsschuljahr häufig nicht angerechnet, sodass man ein Jahr länger zur Schule geht.