Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)
Wenn ein Stern vom Himmel fällt
Man muss ein Spiel verlieren, bevor man eins gewinnt.
Und Sterne müssen fallen, eh‘ sich ein Wunsch erfüllt.
Udo Jürgens
Hoch am Himmel thronte der Glücksstern. Hale Bopp, der prächtige Komet, zog die Menschen wochenlang in seinen Bann in jenem Frühjahr vor zwanzig Jahren. Es war ein verrücktes Sportjahr 1997. Dortmund gewann die Champions League, Schalke den Uefa-Cup und Jan Ullrich die Tour de France. Doch eine der außergewöhnlichsten Erfolgsserien nahm in Thüringen ihren Lauf. Mit der im deutschen Handball einmaligen Ausbeute von 53:1 Punkten katapultierte sich der ThSV Eisenach, kometengleich, in die Bundesliga.
Es passte alles für die Blau-Weißen in jener großartigen Saison. Zum Erweckungserlebnis wurde die legendäre Kreidebotschaft, die der unvergessene Frank Seidenzahl an die Kabinenwand schrieb. Nach durchwachsenem Beginn mit mäßigen fünf Punkten aus sieben Spielen definierte der Präsident die Schmerzgrenze. Bis hierher und nicht weiter.
Sie schweißte eine Mannschaft mit ganz unterschiedlichen Talenten zusammen. Eine Gemeinschaft, die von Woche zu Woche mit jedem Sieg mehr an sich glaubte. Eine Truppe, die sich das Gewinnen geradezu antrainierte und mit unerschütterlichem Selbstvertrauen auch Spiele entschied, die auf der Kippe standen.
„Die Atmosphäre in Eisenach, das Zusammengehörigkeitsgefühl im Umfeld, in dem wir alle füreinander einstanden, machte den Erfolg aus.“So beschrieb Rainer Osmann, dessen Name wie kein anderer für den Handball an der Wartburg steht, als damaliger Trainer die Töne dieses einzigartigen Triumphmarsches, dessen Rhythmus neben dem visionären Frank Seidenzahl auch Thomas Dröge als bestens vernetzter Manager bestimmte.
Alle zusammen produzierten einige außergewöhnliche handballerische Episoden. Jenen 17:11-Sieg in Erlangen, der sich wie ein Druckfehler liest (nur elf Gegentore?!) und heutzutage bestenfalls als Halbzeitergebnis durchgehen würde. Oder das 20:19 über den alten Rivalen aus Dutenhofen, in dem die Eisenacher ab der 57. Minute den Ball bis zur Schlusssirene stoisch in ihren Reihen hielten.
20 Jahre ist das her. Und 20 Jahre älter sind heute die Protagonisten. Stephan Just etwa, der schon als 16-Jähriger sein Debüt in der Männermannschaft gab und sich nun, mit knapp 38 anschickt, den Ligarivalen Hamm als Trainer aus der Abstiegszone zu führen. Jürgen Beck, der damals so alt war wie Just heute und dessen als Trophäe des Aufstiegs abrasierter Schnurrbart ergraut längst nachgewachsen ist. Jörn Schläger, der, wie bestellt zum großen Jubiläum in diesem Frühjahr wieder einen Aufstieg feiern darf: als erfolgreicher Trainer mit dem HSV Bad Blankenburg in die dritte Liga.
Wenn er erzählt, wie er einst beim neu gekommenen Stephane Joulin einen sorgenvollen Blick in den Kühlschrank warf, dessen Inhalt mit einer Flasche Milch umfassend beschrieben war, sieht man ihn wieder vor sich, den die französische Lebensweise (Kaffee! Zigarette!) eigenwillig bis zum Exzess pflegenden, stets so zerbrechlich wirkenden Rechtsaußen. Der mit seiner Klasse zugleich aber ganze Spiele allein entscheiden konnte, wie jenes bei seiner Premiere im Eisenacher Trikot, als er Magdeburgs Stefan Kretzschmar mit einer Neun-Tore-Gala geradezu schwindelig spielte.
Die Fans, obwohl viel kritischer als heute, haben sie auf Händen getragen. Ihren Titel Raduta wegen seiner bescheidenen, untadeligen Art sogar tief im Herzen. Der Rumäne, Spieler des Jahrzehnts in Eisenach, ist längst in seine Heimat zurückgekehrt, trainiert dort die Jugend-Nationalmannschaft. Bei seinem letzten Spiel drehte er zu Citys „Am Fenster“eine Ehrenrunde in der Werner-Aßmann-Halle: Einmal wissen, dieses bleibt für immer.
Leider ist das Leben nicht so gnädig. Der Erfolg ist flüchtig wie ein Komet. Und es bringt wenig, das Gestern gegen das Heute aufzuwiegen. Es waren andere Zeiten damals, der HandballHimmel über Eisenach war, um ein schönes Bild von Konstantin Wecker zu bemühen, ein Opal.
Nein, ein Verein kann nicht immer nur nach hinten schauen. Dann verpasst er Gegenwart und Zukunft. Aber er darf sich reinen Herzens seiner Geburtsurkunde erinnern und Tradition pflegen. Und aus beidem Motivation ziehen für das Hier und Heute.
Kometen kehren irgendwann zurück (Hale Bopp in 2400 Jahren), Höhenflüge im Sport tun es nicht von allein. Sie kosten Mühe. Immer wieder neu.
In der Stunde des Jubiläums ist das aber egal. Dann finden die von damals noch einmal zusammen an alter Stätte. Dann ist es ein großes Glück, sich erinnern zu dürfen. Deshalb: Bună ziua, Titel! Dobry den, Zdeno! Bonjour, Stephane!
Willkommen, Aufsteiger!