Der Lüge in die Fresse schlagen
John Heartfield benutzte Kunst als Waffe. Eine Erfurter Ausstellung seiner Collagen tut es jetzt auf andere Weise auch
Mindestens dieses eine Motiv von 1932 wurde Ikone: „Der Sinn des Hitlergrußes: Kleiner Mann bittet um große Gaben.“Ein gesichtsloser riesiger Mann drückt dem kleinen Adolf Hitler von hinten Geldscheine in die entsprechend erhobene rechte Hand. „Motto: Millionen stehen hinter mir!“
So hängt es nun als eine von 33 Fotocollagen, die der kommunistische Künstler Helmut Herzfeld alias John Heartfield für die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung (A-I-Z) schuf, in einem langen Nebenflur der Kunsthalle Erfurt. Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee hebt anhand dessen, so kann man es lesen, die ästhetische Kraft der Bildsprache und den innovativen Künstler hervor, problematisiert ihn aber zugleich: „Die Kernthese der Montage ist historisch falsch.“
Darüber ließe sich trefflich streiten, wie überhaupt über diese Ausstellung, die Geschichte in zeitgenössischen Kontext stellt mit einem Mann, der Kunst als Waffe verstand und mit kommunistischer Propaganda aufklärerisch wirkte gegen Nazi-Propaganda: um, wie er mal sagte – und er sagte und schrieb zeitlebens nicht viel – „der Lüge in die Fresse zu schlagen.“
Viele seiner Motive waren jedenfalls damals so hell- wie zugleich durchsichtig. Dass sie es heutzutage wieder sein könnten, lässt die Ausstellung durchblicken. Auch wenn deren Initiatoren und Leihgeber ausdrücklich nicht behaupten, 1932 und 2024 seien gleichzusetzen. „Aber es gibt Parallelen“, sagt Michael Tallai, Geschäftsführer von Funke Medien Thüringen.
In Gesprächen mit Kommunikationswissenschaftler Patrick Rössler (Uni Erfurt) entdeckten beide, dass sie begeisterte HeartfieldSammler sind. Ursprünglich wollten sie erst 2027 eine große Ausstellung bestücken: siebzig Jahre nach einer Retrospektive, die „Das Volk“ als Vorgänger der Thüringer Allgemeinen organisierte, womit Heartfield, aus dem Londoner Exil in die DDR übersiedelt, dort aber zunächst nicht wohlgelitten, gleichsam rehabilitiert wurde.
Das Projekt bleibt in Planung, obschon Rössler unkt: „Wer weiß, ob wir die Ausstellung dann überhaupt noch machen dürfen.“Mindestens als Preview aus aktuellem Anlass zeigen er und Tallai als private Sammler originale Drucke der A-IZ, deren Redakteur und Verleger erst in Berlin, später bis 1938 in Prag Willi Münzenberg aus Erfurt war, der „rote Propaganda-Zar“. Wenn etwa eine Montage mit Röntgenblick ebenfalls 1932 titelte, „Adolf, der Übermensch: Schluckt Gold und redet Blech“, mag Rössler den Namen gerne gegen einen aktuellen ersetzen, ohne diesen auszusprechen. Und Topoi wie Nationalismus, Rassismus und Krieg lassen sich ähnlich übertragen.
Jedem Motiv ist ein kurzer Kommentar zugeordnet, von Politikern wie Bodo Ramelow, Benjamin Hoff, Mario Voigt oder Carsten Schneider, auch Andreas Bausewein oder Peter Kleine, von Vertretern aus Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft wie Dieter Bauhaus und
Frank Sonnabend, Ulrike Lorenz, Christoph Drescher oder JensChristian Wagner, von der 23-jährigen Studentin Emma Deutscher bis zur 102-jährigen Lehrerin Ursula Adomeit. Nicht jeder davon ist, was der Ausstellungstitel Geistesblitze nennt. Kritische Reflexion findet gleichwohl statt.
Dass die Ausstellung am Tag der Thüringer Kommunalwahl endet, ist übrigens kein Zufall.