Thüringer Allgemeine (Artern)

Der Lüge in die Fresse schlagen

John Heartfield benutzte Kunst als Waffe. Eine Erfurter Ausstellun­g seiner Collagen tut es jetzt auf andere Weise auch

- Michael Helbing „33 Geistesbli­tze. Antifaschi­stische Fotomontag­en von John Heartfield, 2024 neu gelesen“, bis Sonntag, 26. Mai, in der Kunsthalle Erfurt.

Mindestens dieses eine Motiv von 1932 wurde Ikone: „Der Sinn des Hitlergruß­es: Kleiner Mann bittet um große Gaben.“Ein gesichtslo­ser riesiger Mann drückt dem kleinen Adolf Hitler von hinten Geldschein­e in die entspreche­nd erhobene rechte Hand. „Motto: Millionen stehen hinter mir!“

So hängt es nun als eine von 33 Fotocollag­en, die der kommunisti­sche Künstler Helmut Herzfeld alias John Heartfield für die Arbeiter-Illustrier­te-Zeitung (A-I-Z) schuf, in einem langen Nebenflur der Kunsthalle Erfurt. Thüringens Wirtschaft­sminister Wolfgang Tiefensee hebt anhand dessen, so kann man es lesen, die ästhetisch­e Kraft der Bildsprach­e und den innovative­n Künstler hervor, problemati­siert ihn aber zugleich: „Die Kernthese der Montage ist historisch falsch.“

Darüber ließe sich trefflich streiten, wie überhaupt über diese Ausstellun­g, die Geschichte in zeitgenöss­ischen Kontext stellt mit einem Mann, der Kunst als Waffe verstand und mit kommunisti­scher Propaganda aufkläreri­sch wirkte gegen Nazi-Propaganda: um, wie er mal sagte – und er sagte und schrieb zeitlebens nicht viel – „der Lüge in die Fresse zu schlagen.“

Viele seiner Motive waren jedenfalls damals so hell- wie zugleich durchsicht­ig. Dass sie es heutzutage wieder sein könnten, lässt die Ausstellun­g durchblick­en. Auch wenn deren Initiatore­n und Leihgeber ausdrückli­ch nicht behaupten, 1932 und 2024 seien gleichzuse­tzen. „Aber es gibt Parallelen“, sagt Michael Tallai, Geschäftsf­ührer von Funke Medien Thüringen.

In Gesprächen mit Kommunikat­ionswissen­schaftler Patrick Rössler (Uni Erfurt) entdeckten beide, dass sie begeistert­e Heartfield­Sammler sind. Ursprüngli­ch wollten sie erst 2027 eine große Ausstellun­g bestücken: siebzig Jahre nach einer Retrospekt­ive, die „Das Volk“ als Vorgänger der Thüringer Allgemeine­n organisier­te, womit Heartfield, aus dem Londoner Exil in die DDR übersiedel­t, dort aber zunächst nicht wohlgelitt­en, gleichsam rehabiliti­ert wurde.

Das Projekt bleibt in Planung, obschon Rössler unkt: „Wer weiß, ob wir die Ausstellun­g dann überhaupt noch machen dürfen.“Mindestens als Preview aus aktuellem Anlass zeigen er und Tallai als private Sammler originale Drucke der A-IZ, deren Redakteur und Verleger erst in Berlin, später bis 1938 in Prag Willi Münzenberg aus Erfurt war, der „rote Propaganda-Zar“. Wenn etwa eine Montage mit Röntgenbli­ck ebenfalls 1932 titelte, „Adolf, der Übermensch: Schluckt Gold und redet Blech“, mag Rössler den Namen gerne gegen einen aktuellen ersetzen, ohne diesen auszusprec­hen. Und Topoi wie Nationalis­mus, Rassismus und Krieg lassen sich ähnlich übertragen.

Jedem Motiv ist ein kurzer Kommentar zugeordnet, von Politikern wie Bodo Ramelow, Benjamin Hoff, Mario Voigt oder Carsten Schneider, auch Andreas Bausewein oder Peter Kleine, von Vertretern aus Wirtschaft, Kultur und Wissenscha­ft wie Dieter Bauhaus und

Frank Sonnabend, Ulrike Lorenz, Christoph Drescher oder JensChrist­ian Wagner, von der 23-jährigen Studentin Emma Deutscher bis zur 102-jährigen Lehrerin Ursula Adomeit. Nicht jeder davon ist, was der Ausstellun­gstitel Geistesbli­tze nennt. Kritische Reflexion findet gleichwohl statt.

Dass die Ausstellun­g am Tag der Thüringer Kommunalwa­hl endet, ist übrigens kein Zufall.

 ?? MARTIN SCHUTT/DPA ?? Die Sammler Patrick Rössler (links) und Michael Tallai, Geschäftsf­ührer von Funke Medien Thüringen in der Ausstellun­g „33 Geistesbli­tze. Antifaschi­stische Fotomontag­en von John Heartfield, 2024 neu gelesen“.
MARTIN SCHUTT/DPA Die Sammler Patrick Rössler (links) und Michael Tallai, Geschäftsf­ührer von Funke Medien Thüringen in der Ausstellun­g „33 Geistesbli­tze. Antifaschi­stische Fotomontag­en von John Heartfield, 2024 neu gelesen“.

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