Jewgenis Kampf gegen Putin
Der ukrainische Kommandeur war Kinderpsychologe und hat einen Herzfehler. Jetzt jagt er mit einer zusammengewürfelten Kompanie russische Panzer
Charkiw. Im Stab habe man ihm gesagt, seine Soldaten sollten filmen, wie sie kämpften. „Unsere Filme sehen so aus: Gras, Beine, du hörst den Beschuss und schweres Atmen, dann siehst du wieder Beine. Das war der ganze Kampf“, sagt der ukrainische Kommandeur und lächelt, die Oberreihe seiner Schneidezähne leuchtet golden auf.
Die im Stab seien unzufrieden. „Wir sollten was Schönes filmen, sagen sie, vor den Panzern posieren, die wir in Brand geschossen haben.“Aber wenn sie feindliche Fahrzeuge unter Feuer genommen hätten, gelte es, die Beine in die Hand zu nehmen, der Feind schieße schließlich zurück: „Babbaaach!“, sagt er. „Manchmal sehen wir noch schwarzen Rauch, dann wissen wir, dass wir getroffen haben.“
Vorher hat Jewgeni Jaranzew (54), Codename Barett, seine Kompanie zum Appell antreten lassen. Oder das, was von ihr übrig geblieben ist. Gut 40 Leute in zwei Reihen auf einem Kiewer Kasernenhof. Sie geben sich nicht wirklich Mühe, schneidig zu wirken, manchen scheinen die hellgrün-grün gefleckten Kampfanzüge eine Nummer zu groß zu sein.
Aber Jaranzews Truppe ist einer der 1000 Gründe dafür, dass Russlands Offensiven in der Ukraine klemmen. Die „11. Separate Kompanie der 112. Brigade der Territorialverteidigung Kiews“besteht aus Aufklärern und Einzelkämpfern, eine der ukrainischen Einheiten, die es gewohnt sind, noch vor der vordersten Front zu kämpfen.
Die Kompanie hat im April an den erbitterten Kämpfen um das Städtchen Lyman an der Nordflanke der Donbass-front schwere Verluste erlitten: 17 Tote, einen Gefangenen und 24 Verwundete, fast die Hälfte ihrer Soldaten. „Gerade als wir ankamen, begann die russische Großoffensive“, erzählt Jaranzew. „Wir hatten noch keine Stellungen bezogen und gerieten in einen Feuerüberfall.“
Der schmale Streifen mit Ordensabzeichen an seiner Brust wirkt unscheinbar neben dem schwarzen Aufnäher: „Head Hunters“. Das Sternchen eines Unterleutnants auf der Stoffklappe dazwischen wirkt noch unscheinbarer. „Vom Alter her müsste ich Major sein, also kommandiere ich.“Wieder grinst er.
Jaranzew ist gelernter Kinderpsychologe, aber er arbeitete früher als Chefredakteur der Zeitschrift „Kurortnye Westi“im Badeort Feodossija auf der damals noch ukrainischen Krim. Er hat einen russischen Pass, seine Schwester lebt in St. Petersburg, vor der Krim-krise arbeitete er mit einer Druckerei in Kursk zusammen. „Einmal, nach einem Putin-fernsehauftritt, habe ich die Setzer gefragt: ,Na, was erzählt euer Glatzkopf?‘“Sie hätten sich mit verzerrten Gesichtern abgewandt. „Für die Russen war Putin schon damals sakral.“
Ukrainer kämpfen dezentral, aber mit Feuereifer
Viele Ukrainer führen auch Krieg wie Kosaken. Dezentral, aber mit Feuereifer. Nachdem Russland 2014 die Krim besetzte, kämpfte Jaranzew im Freiwilligenbataillon Aidar gegen die russische Invasion im Donbass, landete nach der Kesselschlacht um Debalzewe im Hospital. „Danach haben sie mich nach Hause geschickt. Ich stand in Kiew auf der Straße und wusste nicht wohin.“Er organisierte mit anderen Donbass-kämpfern einen Veteranenverband. Auch die Hälfte seiner Männer kämpfte 2014/15 bei Aidar. Und als am 24. Februar Putins Krieg gegen die ganze Ukraine begann und russische Truppen auf dem Flughafen Hostomel bei Kiew landeten, telefonierten sie sich zusammen. Ein junger Aidar-veteran kam mit seiner Freundin im Pkw, eine russische Panzergranate tötete beide. Jaranzew selbst hatte drei Wochen vorher eine Herzklappenoperation überstanden.
Die zusammengewürfelten ukrainischen Kämpfer jagten die russischen Fallschirmjäger damals in die Wälder. Zu Kriegsbeginn hätten die Russen unentschlossen gewirkt, erzählt Jaranzew, jetzt aber kämpften auch sie erbittert. „Viele ihrer Kameraden wurden getötet, die wollen sie rächen.“Jaranzews Männer besitzen jetzt panzerbrechende Waffen im Überfluss, allerdings unterschiedliche Modelle aus mehreren Armeen. Amerikanische Javelin-systeme, britische NLAWS oder schwedische Carl-gustavgranatwerfer.
Die deutsche Panzerfaust 3 sei unpraktischer als die sowjetische Rpg-panzerbüchse. Vor jedem Schuss müsse man den Verschluss abschrauben. „Das haben wir erst gemerkt“, diesmal blitzen seine Goldzähne selbstironisch, „als wir auf Youtube studierten, wie man so eine Panzerfaust bedient.“
In der Kiewer Vorstadt Moschtschun seien sie auf einen feindlichen Schützenpanzer gestoßen. Zuerst hätte ein 67-jähriger Kämpfer eine Panzerfaust 3 auf ihn abgefeuert, zu kurz, danach ein 30-jähriger aus kürzerer Distanz noch eine Panzerfaust 3, wieder zu kurz. „Aber zwischen den Schüssen sind die Fallschirmjäger, die drin saßen, davongerannt.“
Seine Kompanie sei wie das ganze Volk: ein Drittel jung, ein Drittel erwachsen, ein Drittel Opas. Ob er Angst habe? Wegen seiner Herzklappe müsse er täglich das blutverdünnende Mittel Warfarin einnehmen, sagt Jaranzew. „Deshalb trage ich keine Schutzweste.“Weil eine verletzte Schlagader auch am Arm oder Bein tödlich wäre.