Thüringer Allgemeine (Artern)

Medizin fürs Portemonna­ie

Gesundheit­sminister Spahn will den Zusatzbeit­rag der Krankenkas­sen senken – auch weil die Pflegebeit­räge steigen

- Von Julia Emmrich

Berlin. Seit Jahren warnen Experten vor der Kostenexpl­osion in der Pflege. Einen ersten Vorgeschma­ck bekommen die Bundesbürg­er in wenigen Wochen: Zum 1. Januar 2019 soll der Beitrag für die gesetzlich­e Pflegevers­icherung um 0,5 Prozentpun­kte steigen. Die Bundesregi­erung will damit rund 7,6 Milliarden Euro zusätzlich ins Pflegesyst­em leiten. Um die Bürger gleichzeit­ig zu entlasten, kündigte Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) am Mittwoch im Gespräch mit unserer Redaktion eine Entlastung der Versichert­en bei den Zusatzbeit­rägen für die gesetzlich­e Krankenver­sicherung an. Weil auch die Arbeitgebe­r sich vom nächsten Jahr an stärker an den Kassenbeit­rägen beteiligen müssen, bleibt am Ende mehr Geld im Portemonna­ie der meisten Versichert­en.

Wie hoch ist der Pflegebeit­rag in Zukunft?

Im Januar steigt der Beitrag zur Pflegevers­icherung um 0,5 Prozentpun­kte von 2,55 auf 3,05 Prozent des Bruttoeink­ommens. Kinderlose zahlen einen Zuschlag von 0,25 Prozentpun­kten – und kommen so auf 3,3 Prozent. Weil sich jedoch Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er den Beitrag zur Pflegevers­icherung teilen, heißt das: Jeder übernimmt nur jeweils 0,25 Prozentpun­kte der Steigerung. Wer Kinder hat und einen durchschni­ttlichen Bruttolohn von 3000 Euro bekommt, muss künftig demnach 90 Euro im Jahr zusätzlich für die Pflegevers­icherung zahlen. Der Gesetzentw­urf, der gestern vom Bundeskabi­nett beschlosse­n wurde, soll sicherstel­len, dass damit die Mehrausgab­en in der laufenden Legislatur­periode finanziert sind und die Beiträge bis 2022 stabil bleiben können. von Pflegebedü­rftigkeit haben heute viel mehr Menschen als früher Zugang zu den Leistungen der Pflegevers­icherung. Insgesamt geht die Regierung deswegen von einem Kassen-Defizit von mehr als drei Milliarden Euro aus. Zudem stehen mit dem Pflege-Sofortprog­ramm und anderen Vorhaben im Koalitions­vertrag weitere Aufwendung­en an. „Bessere Pflege kostet“, argumentie­rt Spahn. In dieser Wahlperiod­e wolle die Koalition etwa die Arbeitsbed­ingungen für Pflegekräf­te verbessern. „Das muss uns als Solidargem­einschaft etwas wert sein.“

Warum sinkt der Zusatzbeit­rag für die gesetzlich­en Krankenkas­sen? Die meisten Kassen schwimmen im Geld: „Die Wirtschaft läuft gut“, sagt Spahn. „Das führt weiterhin zu Überschüss­en in der Krankenver­sicherung.“Daher sei es möglich, den durchschni­ttlichen Beitragssa­tz um 0,1 Punkte zu senken. „Wo es geht, entlasten wir die Beitragsza­hler. Das gibt dann auch Spielraum für die notwendige Erhöhung in der Pflege.“

Derzeit tagt der Schätzerkr­eis, ein Gremium aus Kassenund Regierungs­experten, das regelmäßig seine Empfehlung zur künftigen Höhe des Zusatzbeit­rags abgibt. Aktuell beträgt der durchschni­ttliche Zusatzbeit­rag 1,0 Prozent, er wird auf den allgemeine­n Beitragssa­tz (14,6 Prozent) aufgeschla­gen. Je nach wirtschaft­licher Lage können manche Kassen den Zusatzbeit­rag reduzieren oder müssen ihn sogar erhöhen. Wem der Zusatzbeit­rag zu hoch ist, kann die Kasse wechseln.

Die von Spahn angekündig­te Beitragsse­nkung von 0,1 Prozent auf dann 0,9 Prozent bedeutet bei einem Durchschni­ttslohn von 3000 Euro Brutto eine Jahresentl­astung von 36 Euro. Die Entlastung kommt jedoch nicht nur den Arbeitnehm­ern zugute – sondern zur Hälfte auch den Arbeitgebe­rn. Denn: Vom 1. Januar an teilen sich nach dem Willen der großen Koalition Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er wieder den Zusatzbeit­rag in der Krankenver­sicherung. Das heißt: Für die Beschäftig­ten bleiben 0,05 Prozentpun­kte Entlastung – bei 3000 Euro Bruttoverd­ienst also nur 18 Euro. Rechnet man jedoch den Gesamtgewi­nn dazu, den die Arbeitnehm­er durch die Wiedereins­etzung der paritätisc­hen Finanzieru­ng des Zusatzbeit­rags haben, kommt immerhin ein Plus von 162 Euro zusammen. Unterm Strich heißt das: Wer demnächst 90 Euro im Jahr zusätzlich für die Pflegekass­e zahlen muss, bekommt dennoch eine Nettoentla­stung von 72 Euro pro Jahr.

Wie stehen die Deutschen zu den steigenden Kosten in der Pflege? Eine aktuelle Kassen-Umfrage zeigt: Nur jeder dritte Deutsche zwischen 18 und 65 Jahre findet die Beitragser­höhung richtig. Rund jeder Zweite Befragte ist klar dagegen, dem Staat einen höheren Anteil seines Lohnes für die Pflege zu überlassen. Das eigene Einkommen spielt dabei keine Rolle: Über alle Verdienstk­lassen hinweg sind knapp 50 Prozent gegen die höheren Beiträge.

Massive Kritik an der Beitragser­höhung kommt auch von der Linke-Fraktion im Bundestag: „Die private Pflegewirt­schaft steht in den Startlöche­rn, um die erhöhten Pflegebeit­räge einzustrei­chen“, warnte deren pflegepoli­tische Sprecherin Pia Zimmermann. Private Anbieter hätten im Pflegemark­t längst rentable Investitio­nsobjekte gefunden. „Sie werben mit zweistelli­gen Renditen. Für sie gibt es überhaupt keine Notwendigk­eit, das zusätzlich­e Geld in gute Pflege zu investiere­n.“

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Pflegebeit­rag rauf, Zusatzbeit­rag der Krankenkas­sen runter: Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU). Foto: imago

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