Lücken in den Stundenplänen
Bildungsgewerkschaft: Aufstockung der Pädagogen-Einstellungen ersetzt nicht annähernd die Fehlstellen in den Lehrerzimmern
Erfurt. So schnell vergehen sechs Ferienwochen. Am kommenden Montagmorgen klingelt für rund 244 340 Schüler in Thüringen wieder der Wecker.
Für sie beginnt ein Schuljahr, über dem erneut das Wort „Unterrichtsgarantie“als große offene Frage schweben wird, seit Minister Benjamin Hoff (Linke) es im Juni vergangenen Jahres als Versprechen in die Welt entließ.
Mit allein 1700 Unterrichtsstunden, die gar nicht erst in den Unterrichtsplänen auftauchten, weil sie nicht besetzt werden konnten, waren die Schulen im vergangenen Schuljahr meilenweit davon entfernt. Die Absicherung des Unterrichts, so Bildungsminister Helmut Holter (Linke) kurz vor Ferienende, habe höchste Priorität. Um dem näher zu kommen, wird seit Jahresbeginn auch unterjährig eingestellt, jede frei werdende Stelle werde nachbesetzt.
Im laufenden Jahr sind es 767 Pädagogen, die sich in den Ruhestand verabschieden. Zum 31. Juli wurden für diese Stellen laut Bildungsministerium 697 Einstellungen eingeleitet. In der Summe wären das 91 Prozent der zu besetzenden Stellen. Für 70 Stellen allerdings haben sich bislang keine geeigneten Bewerber gefunden. Grund-und Regelschulen auf dem Land sind notorisch betroffen.
Zum Beispiel die Buttelstedter Regelschule im Weimarer Land, wo dem Kollegium in den vergangenen Jahren zwei volle Lehrerstellen fehlten. Die Folge: Kürzungen in Sport, Kunst, im technischen Bereich und in den Naturwissenschaften, wie Schulleiterin Martina Weyrauch berichtet. Das neue Schuljahr startet mit vier neuen Kräften entspannter.
Unter ihnen ist ein Seiteneinsteiger, der die Lücken in Biologie und Chemie schließen soll. Allerdings: Er stand noch nie vor einer Klasse, eine Nachqualifizierung soll ihn fit machen. Eine Notlösung, die nach dem Willen des Bildungsministers aber in Thüringen die Ausnahme bleiben soll. Bislang beträgt ihre Zahl in ganz Thüringen 28.
Ein weiterer Neuzugang an der Buttelstedter Schule ist der Mühe der Schulleitung selbst zu verdanken, die für die fachdidaktische Ausbildung die Zusammenarbeit mit der Erfurter Universität sucht. Landschulen, bemerkt Schulleiterin Martina Weyrauch, können nicht auf Absolventen warten, sie müssen auf sie zugehen.
Ein Beispiel, das etwas Optimismus vermitteln mag, aber so viel Glück hat längst nicht jede Schule. Man erkenne die Bemühungen, die Nachbesetzungen freier Stellen würden offensiv angegangen, befindet die Landeschefin der Bildungsgewerkschaft GEW, Kathrin Vitzthum. Dennoch: Die Aufstockung der Stellen könne nicht annähernd die Lücken in den Lehrerzimmern ersetzen, die bis Ende 2017 gerissen wurden. Hinzu kommen steigende Schülerzahlen. Auch wenn diese Landesregierung deutlich mehr mache als ihre Vorgänger, hält die GEW es für einen groben Fehler, das Personal an der Abgangszahl der Lehrer auszurichten, statt an der realen Schülerzahl.
Begrüßt wird die Umwandlung der meisten befristeten in feste Stellen, die Kritik an befristeten Anstellungen bleibt bestehen. Die Praxis führt zu regelrecht grotesken Fällen, wie Kathrin Vitzthum berichtet: Ein befristet eingestellter Lehrer wurde nicht übernommen, statt dessen wurde seine Stelle neu ausgeschrieben. Mit der gleichen Fächerkombination, und wieder nur befristet. Der Lehrer ist jetzt in Sachsen-Anhalt.
Das Beispiel dürfte vor allem jenen Pädagogen sauer aufstoßen, die ab Montag weiterhin in einer befristeten Stelle gute Arbeit für weniger Geld leisten, deren Zukunftsplanung unklar bleibt, während ihre Schulleitungen sie dringend brauchen und halten wollen. Bildungsminister Holter verweist auf Bonuspunkte, die solche Lehrer erhalten, um ihre Chancen im Bewerbungsprocedere um eine Festeinstellung zu vergrößern.
In der Summe, konstatiert die GEW-Chefin, beginne das neue Schuljahr mit ähnlichen Problemlagen wie das alte.
Noch rigoroser urteilt der Thüringer Lehrerverband: Die Situation werde sich im kommenden Schuljahr eher noch verschlechtern, befürchtet VizeVorsitzender Frank Fritze. Laut einer Umfrage des Verbandes könne zum 13. August nur knapp jede vierte Schule ihre Stundentafel komplett abdecken. Die größten Lücken klaffen in Sport, Musik, Englisch und Mathematik, Physik, Chemie, Kunst und Religion.
Man könne, räumt Bildungsminister Helmut Holter ein, die Versäumnisse vergangener Jahre nicht in kurzer Zeit aufholen. In den Schulen fehle praktisch eine ganze Lehrergeneration.
In den Studienseminaren sei zum Schuljahresstart die Zahl der Referendare von 500 auf 560 aufgestockt worden. Mittelfristig hofft man im Ministerium auch auf die segensreiche Wirkung einer Imagekampagne, die in dieser Woche ausgeschrieben wurde. Sie soll für den Lehrerberuf werben und junge Pädagogen nach Thüringen locken. Wie das aufgeht, wird man erst im kommenden Schuljahr sehen.