Thüringer Allgemeine (Artern)

Attacke mit Messer in Den Haag

Polizei sucht nach Motiv für Tat

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Warum gibt es heute noch Antisemiti­smus und gerade in Deutschlan­d?

Es hat leider auch nach 1945 immer Antisemiti­smus in Deutschlan­d gegeben. In der jüngeren Vergangenh­eit wurde auf deutschen Straßen „Juden ins Gas“gerufen. Wir müssen immer noch erleben, dass Menschen an die „jüdische Weltversch­wörung“glauben. Der Antisemiti­smus ist insofern speziell, dass er anders agiert als der Rassismus. Erniedrigu­ng und Angst zugleich sind seine Motive. Und er hält sich, weil leider mit ihm Politik gemacht wird. Wenn eine Partei wie die AfD eine erinnerung­spolitisch­e Wende um 180 Grad fordert, dann gedeiht darauf wieder die Vorstellun­g, die Juden hätten zu viel Macht. Und von muslimisch­er Seite wird der Nahost-Konflikt antisemiti­sch aufgeladen.

Die Zahl der antisemiti­schen Vorfälle steigt. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Gerade die Fälle unterhalb der Strafbarke­itsgrenze nehmen zu. Wir registrier­en eine allgemeine Verrohung. Das sehen wir im Unterricht, auf den Schulhöfen und in den sozialen Netzwerken im Internet. Jude als Schimpfwor­t gab es in meiner Schulzeit nicht. Das ist heute anders.

Wächst eine neue Generation von Antisemite­n in diesem Land heran?

Das würde ich so nicht sagen. Die überwältig­ende Mehrheit der in Deutschlan­d lebenden Menschen wendet sich ganz klar gegen Antisemiti­smus. Aber jeder Fall ist einer zu viel. Als ich mein Amt angetreten habe, bekam ich eine Hass-Mail, in der mir ein Bürger schrieb, dass ich ein gutes Werkzeug der Juden sein werde. Auch das ist eine antisemiti­sche Anfeindung.

Die Kanzlerin sagt, dass mit den Flüchtling­en eine andere Form des Antisemiti­smus in Deutschlan­d eingezogen ist. Stimmt das?

Muslimisch­e Flüchtling­e wurden vielfach in Ländern sozialisie­rt, in denen Antisemiti­smus und Hass auf Israel zum guten Ton gehören. Dieses Problem müssen wir angehen. Denn diese Menschen legen ihre Vorurteile ja nicht an der Grenze ab.

Was wollen Sie da tun?

Dort, wo wir Entwicklun­gszusammen­arbeit betreiben, wie etwa in Ägypten, müssen wir deutlich machen, dass Antisemiti­smus für uns nicht akzeptabel ist. Wir könnten entspreche­nde Klauseln in Projektver­trägen festschrei­ben und sollten dann offensiv vorgehen, wenn dagegen verstoßen wird. In Deutschlan­d gehört die Bekämpfung des Antisemiti­smus zur Staatsräso­n, und da sollten wir mit unseren Steuergeld­ern im Ausland genauer hinsehen.

Dass der Kampf gegen Antisemiti­smus zur deutschen Staatsräso­n gehört, wissen viele Flüchtling­e offenbar nicht.

Zwei deutsche Rapper haben für ein Lied mit antisemiti­schem Text einen Echo bekommen. Wie konnte es so weit kommen?

Diese ganze Echo-Verleihung war ein kollektive­r Blackout, ein gemeinscha­ftliches Versagen. Dass im Vorfeld der Verleihung kaum einer empört war, hat etwas mit der Verrohung unserer Gesellscha­ft zu tun. Provokatio­n und das Überschrei­ten roter Linien werden hingenomme­n, ohne sie zu hinterfrag­en. Gott sei Dank gab es Campino, der klar Stellung bezog. Ihm müssen wir danken.

Ein Versagen der Musikindus­trie?

Bei den Verantwort­lichen der Echo-Verleihung stand ganz klar der Kommerz im Vordergrun­d. Aber wenn die Gefühle von Holocaust-Überlebend­en verletzt werden, muss Schluss sein mit dem Geschäftem­achen. Durch die Diskussion, die vor allem durch Campino angestoßen wurde, haben wir dem Antisemiti­smus im Pop, in der Kunst, in der Gesellscha­ft neue Grenzen gesetzt. Campino sollte für sein Engagement auf der Echo-Verleihung unbedingt gewürdigt werden, am besten mit dem Bundesverd­ienstkreuz. Er sollte eine Ehrung bekommen, weil er vielleicht sogar langfristi­g unsere Gesellscha­ft verändert hat. Den Haag. Nach einer Messeratta­cke am Sonnabend in Den Haag mit drei Schwerverl­etzten versucht die Polizei, das Motiv des Angreifers zu ermitteln. Der 31-Jährige hatte in der niederländ­ischen Stadt anscheinen­d wahllos um sich gestochen, bevor er von der Polizei unter Schusswaff­eneinsatz überwältig­t werden konnte.

Der Mann wurde am Sonntag im Krankenhau­s verhört, gleichzeit­ig durchsucht­en Ermittler seine Wohnung. Laut niederländ­ischen Medien handelt es sich um einen Asylbewerb­er aus Syrien. Er habe eine Aufenthalt­serlaubnis gehabt und seit mindestens einem halben Jahr in Den Haag gelebt. Eine offizielle Bestätigun­g gab es dafür gestern nicht.

Polizei und Rettungsdi­enst war der Angreifer wegen „verwirrten Verhaltens“bekannt. Den Haags Bürgermeis­terin, Pauline Krikke, sagte, es gebe bislang keine Anzeichen auf einen anderen Hintergrun­d der Tat. Den Medienberi­chten zufolge stand der Mann nicht auf einer Liste potenziell­er Terrorverd­ächtiger.

Der Sender NOS berichtete allerdings, Zeugen hätten gehört, wie der 31-Jährige „Allahu Akbar“, also „Gott ist groß“, rief. Ein solcher Ausruf ist auch auf einer Videoaufna­hme von der Festnahme zu hören – unklar ist allerdings, ob es die Stimme des am Boden liegenden 31-Jährigen ist. Die Den Haager Polizei erklärte, bei den Ermittlung­en würden alle „verbalen Äußerungen“des Mannes untersucht, auch solche, die auf Videobilde­rn zu hören seien.

Zunächst hatte der Mann in einem Café einen Gast attackiert. Danach griff der 31-Jährige auf der Straße zwei Passanten an. NOS berichtete auch von einer Zeugenauss­age, wonach der 31-Jährige versucht habe, einer Person die Kehle durchzusch­neiden. Die Polizei konnte ihn schließlic­h mit einem Schuss ins Bein stoppen. Als er sich weigerte, das Messer aus der Hand zu legen, setzten die Beamten eine Elektrosch­ockpistole ein.

Die Opfer, drei Männer im Alter von 21, 35 und 41 Jahren, wurden am Sonntag weiter im Krankenhau­s behandelt, sie waren außer Lebensgefa­hr. (heg)

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