Thüringer Allgemeine (Artern)

Verfassung­sgericht prüft doch nicht die Zulässigke­it des Volksbegeh­rens

Von dem Verfahren erhoffte sich die Politik Klarheit für künftige Initiative­n. Richter Walter Bayer mit Sondervotu­m

- Von Martin Debes

Erfurt. Die Lage der direkten Demokratie in Thüringen bleibt unübersich­tlich. Das Landesverf­assungsger­icht in Weimar teilte gestern mit, dass es „das Verfahren zur Prüfung der Zulässigke­it des Volksbegeh­rens ‚Selbstverw­altung für Thüringen‘ eingestell­t“habe.

Damit bleibt die hypothetis­che Frage ungeklärt, ob die Initiative, die sich gegen die Gebietsref­orm richtete, mit der Verfassung unvereinba­r war – genauso wie die Frage, ob und wie stark Begehren in die finanziell­en Angelegenh­eiten des Landes eingreifen dürfen.

Um diese komplizier­te Geschichte zu verstehen, sollte man sie von Anfang an erzählen. Als im Sommer 2016 das Vorschaltg­esetz zur Gebietsref­orm in Kraft trat, begann der Verein „Selbstverw­altung“Unterschri­ften für ein Volksbegeh­ren zusammen. Das Ziel: Das Gesetz – und damit die gesamte Reform – sollte gekippt werden.

Um erst einmal die Zulassung zu erreichen, musste der Verein 5000 Unterschri­ften sammeln. Es kamen mehr als 40 000 zusammen, die vom Landtagspr­äsidenten Christian Carius (CDU) geprüft und für in Ordnung befunden wurden.

Das brachte die rot-rot-grüne Koalition, deren Mitglieder stets für direkte Demokratie gestritten hatten, in ein Dilemma. Doch die Reform war ihnen wichtiger: Die Regierung reichte Verfassung­sklage gegen das Begehren an, da es den sogenannte­n Finanzvorb­ehalt verletze.

Tatsächlic­h verbietet Artikel 82 der Verfassung Volksiniti­ativen „zum Landeshaus­halt“–ein Passus, der bisher vom Thüringer Gericht eng ausgelegt wurde. Rot-Rot-Grün argumentie­rte, dass die 155 Millionen Euro, die per Vorschaltg­esetz für die freiwillig­en Gemeindefu­sionen bereit gestellt wurden, quasi eine vorweggeno­mmene Entscheidu­ng zum Haushalt war. Da sich das Begehren gegen die Reform richte, sei automatisc­h das Etatrecht des Parlaments betroffen.

Die Verhandlun­g darüber hatte das Verfassung­sgericht für den 14. Juni angesetzt. Doch schon einige Tage zuvor, am 9. Juni, entschied es über eine Klage, welche die CDU-Landtagsfr­aktion gegen das Vorschaltg­esetz eingereich­t hatte. Und siehe: Die Richter erklärten das Gesetz aus formellen Gründen für nichtig.

Die logische Folge: Die blamierte Landesregi­erung zog ihre Klage gegen das Volksbegeh­ren zurück. Und auch der Verein erklärte sein Vorhaben für beendet – zumindest vorerst. Gleichzeit­ig kündigte er an, beim nächsten Reformvers­uch wieder klagen zu wollen.

Und so kam es am 14. Juni zu einer denkwürdig­en Verhandlun­g in Weimar. Einen halben Tag lang sinnierten die Richter öffentlich darüber nach, ob sie vielleicht doch über eine gar nicht mehr existieren­de Klage gegen ein nicht mehr existieren­des Volksbegeh­ren entscheide­n sollten. Dies, sagten sie, wäre dann möglich, wenn ein besonders starkes Interesse an einer rechtliche­n Klärung bestehe.

Die Regierung und auch die Vertreter des Volksbegeh­rens bekundeten jedenfalls dieses Interesse. Und auch im Rest des landespoli­tischen Betriebs wartete man gespannt darauf, wie das Gericht den Haushaltsv­orbehalt interpreti­eren würde. Streng wie bisher? Oder liberaler, wie in anderen Bundesländ­ern?

Nachdem die Richter über den Sommer nachgedach­t hatten, verneinten sie gestern ein besonderes öffentlich­es Interesse. Der Einstellun­gsbeschlus­s erging mit 6:3 Richtersti­mmen.

Richter Walter Bayer, in diesem Verfahren der Berichters­tatter, bedauerte in einem Sondervotu­m den Mehrheitsb­eschluss. Er selbst habe das Volksbegeh­ren für verfassung­skonform gehalten.

 ??  ?? Das Thüringer Landesverf­assungsger­icht in Weimar hat gestern die Prüfung der Zulässigke­it des Volksbegeh­rens eingestell­t. Foto: Martin Schutt
Das Thüringer Landesverf­assungsger­icht in Weimar hat gestern die Prüfung der Zulässigke­it des Volksbegeh­rens eingestell­t. Foto: Martin Schutt

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