Chronistin der Goethe-Zeit
Weimar hat wieder eine Preisträgerin: Sigrid Damm wird für ihre literarischen Klassik-Recherchen geehrt
Weimar. Was lange währt, wird gut: Zwei Wochen hat es gedauert, bis die Kulturdirektion Weimar gestern endlich die Trägerin des diesjährigen Weimar-Preises verkündete. Mit der 1940 in Gotha geborenen Sigrid Damm fiel die Wahl auf eine im deutschsprachigen Raum anerkannte Literaturwissenschaftlerin und Autorin, die vor allem mit ihren Biografien zu Personen aus dem Umfeld der Weimarer Klassik Furore gemacht hat. Ihre auf germanistischen Forschungen beruhenden einfühlsamen Biografien hätten „dem klassischen Weimar zu internationaler Popularität verholfen“, heißt es in der Begründung.
Lange Zeit bis zur Verkündung
Die Vergabe der mit 5000 Euro dotierten und im Zwei-Jahres-Rhythmus zu vergebenden Ehrung wurde bereits in der Stadtratssitzung vom 17. Juni beschlossen, sollte aber offenbar erst an die Öffentlichkeit dringen, nachdem die Geehrte auch ihre Bereitschaft signalisiert hat, dass sie den Preis annehmen werde.
Vor zwei Jahren hatte der Weimarer Schauspieler Thomas Thieme die Auszeichnung abgelehnt, weil die zuständige Jury „die Verdienste von Kulturbotschaftern Weimars, wie Bernd Kauffmann, Nike Wagner, Detlef Heintze oder Stephan Märki, permanent übergangen“habe, und damit auf das gebrochene Verhältnis Weimars zu seinen prominenten Kulturschaffenden aufmerksam gemacht.
Ein paar Jahre zuvor hatte der renommierte Literaturwissenschaftler Paul Raabe von den Franckeschen Stiftungen seinen WeimarPreis wegen des Verkaufs des Hauses der Frau von Stein an einen spanischen Kunsthändler zurückgegeben. Verständlich, dass sich die Kulturstädter eine erneute Blamage ersparen wollten.
Nun, mit Sigrid Damm erweist sich die in kulturellen Belangen oft unglücklich agierende Stadt auch selbst eine Ehre: Die vor allem im 18. und 19. Jahrhundert bewanderte Germanistin hat an der Universität Jena studiert, promoviert und einige Jahre gelehrt und geforscht, ehe sie den Schritt zur freischaffenden Schriftstellerin wagte. Mit ihren Romanen, Biografien, Essayund Tagebuchbänden gehört sie zu den meistgelesenen deutschsprachigen Autoren der Gegenwart.
Man braucht sich nur ihre Klassik-Tetralogie vorzunehmen, die, bei Lenz beginnend und mit Schiller endend, einen Kreis um das Leben und Wirken des Weimarer Dichterfürsten zieht, ihn immer wieder aus anderer Perspektive betrachtet und den jungen gewissermaßen mit dem späten Goethe verbindet. Zugleich sind ihre Recherchen zu Jakob Michael Reinhold Lenz, zu Goethes Schwester Cornelia, zu Christiane Vulpius, seiner späteren Frau, und zum Dichterfreund Friedrich Schiller eigenständige romanhafte Biografien, die man mit großem Genuss liest.
„Es geht mir nicht um eine ,Bewertung’ Goethes. Ich erzähle!“bekannte die Autorin, die sich in ihre Texte als suchendes, abwägendes
Ich einbringt. Kein anderer Schriftsteller hat in den letzten Jahrzehnten die Weimarer Klassik und ihr kulturhistorisches Umfeld so populär gemacht wie Sigrid Damm. Auf ihre Recherche „Goethe im Berg“zu seinen Aktivitäten im Ilmenauer Bergwerkswesen folgten umfangreiche Betrachtungen der Freunde Goethes in Gotha und Weimar und, natürlich, der Band „Sommerregen der Liebe“, in dem sie sich mit der Beziehung zwischen dem Dichter und seiner „Muse“Charlotte von Stein beschäftigt.
Wanderungen zu sich selbst
Zuletzt veröffentlichte sie den Essay „Im Kreis treibt die Zeit“, in dem sie sich dem Leben ihres Vaters und ihrer Kindheit in Gotha widmet. Damit setzte sie die andere Seite ihres Schaffens fort, die man mit Wanderungen zu sich selbst beschreiben könnte. Auch ihrem eigenen Leben hat Sigrid Damm immer wieder nachgespürt. In einem autobiografisch gefärbten Roman, in Tagebüchern und Essays. Lappland, zum Beispiel: Der hohe Norden mit seiner archaischen Landschaft wird zum Schauplatz innerer Einkehr.
Für die heute in Berlin lebende und bereits mit vielen Ehrungen bedachte Autorin und Herausgeberin schließt sich gewissermaßen der Kreis: 2005 hatte sie den damals erstmals vergebenen Thüringer Literaturpreis erhalten. Den WeimarPreis wird sie, sofern Corona dies zulässt, am 3. Oktober bei einer Festveranstaltung im Deutschen Nationaltheater entgegennehmen.