„Wir schaffen das auch noch“
Wenn die Mehrwertsteuer zeitweilig gesenkt wird, bedeutet das vor allem auch Mehrarbeit durch Umetikettierung
Weimar. 4,67 Euro kostet im Laden von Harald Ipolt im Thüringer Wald jetzt die Flasche Dornfelder halbtrocken, zwölf Cent weniger als zuvor. Grund ist die zeitweilige Absenkung der Mehrwertsteuer von 19 auf 16 Prozent sowie beim ermäßigten Steuersatz von 7 auf 5 Prozent. Der Handel hat bereits vor Tagen begonnen, die Preise zu senken. Erst als Rabattaktion, jetzt im Sinne der Steuersenkung.
Auf diesem Wege, so hofft die Politik, lasse sich der Konsum ankurbeln. Es ist aber so, dass bei einer ersten Befragung durch das YougovInstitut nur jeder Vierte angab, sich ermuntert zu fühlen, jetzt mehr Geld auszugeben. 57 Prozent wollen bei ihrem bisherigen Einkaufsverhalten bleiben, wobei die erste Bevorratungswelle im Zusammenhang mit Corona einer Zurückhaltung gewichen ist. Ob die Lust am Geldausgeben nun wieder zunimmt? Das wird sich im Laufe der nächsten Monate zeigen. Schon zum Jahresende sollen wieder 19 beziehungsweise 7 Prozent Mehrwertsteuer gelten. Der Bund rechnet mit Steuerausfällen im Umfang von knapp 20 Milliarden Euro.
Der Lebensmittelhändler rechnet mit zusätzlicher Arbeit und einigen Sonderausgaben: Die ganzen Schilder an den Regalen mussten ausgetauscht werden. Etikettenstecken nennt sich dieser Vorgang. Dafür braucht es Druckerpapier, Druckerpatronen und Personal, das schon am Sonntag eine Sonderschicht schob. Immerhin wird es an der Kasse zu keinen Verwechslungen kommen. Das ist so von der Zentrale eingespielt worden. „Der Kunde kriegt den richtigen Preis, ob das Schild nun da ist oder nicht“, sagt der Fachmann. Was bringt diese Aktion für den Ladeninhaber? „Erstens Arbeit. Zweitens Arbeit. Drittens Arbeit“, sagt er. Die Einkaufspreise ändern sich nicht. Rohertrag und Gewinn bleiben gleich. „Und die Arbeitskosten, die durch die Umetikettierung notwendig werden, bezahlt uns keiner.“Auf 1100 Quadratmetern hat er etwa 15.000 Artikel. Das summiert sich. Und wenn der Laden an Silvester schließt, wird erneut ein Sondereinsatz beim Personal nötig, damit im neuen Jahr keine falschen Preise ausgeschildert sind, so Ipolt.
Manche Geschäfte sparen sich aktuell die Umetikettierung – und ziehen einfach an der Kasse die verringerte Mehrwertsteuer ab. Aber das dürfte im Laden zu Debatten mit Kunden führen, die den Eindruck haben, ihnen würde die
Mehrwertsteuersenkung vorenthalten. Was der Händler aus dem Thüringer Wald sagt, das bestätigt auch der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes HDE, Stefan Genth: „Aufgrund des hohen Wettbewerbs im Einzelhandel in Deutschland wird es sich kaum ein Händler leisten können, die Absenkung nicht weiterzugeben.“Er sieht die Absenkung als „ein positives Zeichen für die Binnenkonjunktur“. Genth warnte jüngst in der „Rheinischen Post“aber auch vor einem erhöhten Aufwand für die Betriebe: „Für die einzelnen Handelsunternehmen bringt das eher kaum spürbare Effekte. Zudem entstehen durch die zeitlich befristete Steuerabsenkung erhebliche Aufwände bei den Händlern.“Ipolt sagt: „Ich verstehe den Gedanken staatlicherseits, jedem etwas zu schenken. Aber es geht eben auf die Knochen derer, die in den vergangenen Monaten schon ganz heftig belastet waren.“Mit dieser Ansicht sei er nicht allein. „Aber wir schaffen das auch noch.“
Übrigens: Vor 30 Jahren hat er Ende Juni auch umetikettiert. Damals kam die D-Mark. Der 1. Juli fiel auf einen Sonntag. Montags war die Mark der DDR weg. Von der damals so starken D-Mark redet schon lange kaum noch einer; schließlich ist seit dem 1. Januar 2002 der Euro als Bargeld im Einsatz. Auch da wurde umetikettiert.