„Jetzt kommt die D-Mark!“
Wie Bankmitarbeiterinnen den Tag erlebten, als das DDR-Geld für immer verschwand
Von Elena Rauch und Ingo Glase
Sömmerda. Das neue Geld kam unspektakulär in Plastikkisten. In der Gaststätte, wo man heute griechisch essen kann, schoben sie Tische zum Tresen zusammen, sortierten die Scheine in die Schubladen, vor der Tür warteten schon die Leute. So begann für Kathrin Teich der Tag, an dem die D-Mark kam. Sie war Kassiererin in der Sparkasse Sömmerda, gehörte zu jenen Zweierteams, die am Morgen in die provisorischen Ausgabestellen ausschwärmten.
Die Filiale in der Stadt allein hätte den Ansturm nie bewältigen können. „Es war ja ein Sonntag und das Westgeld war plötzlich das Geld, mit dem man ab Montag auch Brot und Butter kaufte“, bemerkt Kati Voigt, die damals an einem der Schalter saß. Am Tag zuvor hatten sie noch das letzte DDR-Geld aus den Kassen in die Tresore gezählt, um Platz zu machen.
Als sie vor sieben Uhr die Sparkasse betraten, hatte sich auf der Straße schon eine Warteschlange gebildet. „Ungeduldig gemurrt hat aber niemand“, erzählt Kollegin Ursula Trautmann. Im Gegenteil. Kati Voigt erinnert sich an eine Stimmung, wie sie auf einem fröhlichen Volksfest nicht hätte besser sein können. Die Leute unterhielten sich, lachten, wirkten ausgelassen, blieben auch nach der Auszahlung noch zusammen stehen. „Fehlte nur noch der Bratwurstrost!“
Punkt acht öffnete der Hausmeister die Tür. Dann begann für die Kassiererinnen das große Zählen. 3000 D-Mark war die Höchstsumme, aber die meisten, erzählt Kati Voigt, holten sich 500. Fünfzig, siebzig, neunzig, hundert; fünfzig, siebzig, neunzig, hundert... zwölf Stunden lang. Am Abend dieses 1. Juli hatte sie noch im Schlaf Kunden die neuen Geldscheine vorgezählt.
Ein Ausnahmetag? Sicher, aber das waren die Wochen davor auch schon. Im Mai begannen sie mit den Vorbereitungen, das Zeitfenster, um ein ganzes Land auf die neue Währung umzustellen, war knapp.
Jeden Tag fuhren sie auf die Dörfer, wo es ja keine Filialen gab. Anträge schreiben, die Umtauschhöhen erklären, Fragen beantworten, Unsicherheiten ausräumen. Für Kinder wurden häufig neue Sparbücher angelegt, um möglichst viel vom Ersparten eins zu eins umtauschen zu können. Manche Kunden, erinnern sich die Kassiererinnen, mussten für den Umtausch überhaupt erst ein Konto anlegen und kamen mit Geldbündeln in der Tasche. Das alles ohne Computer, und am Abend mussten die Summen aufgehen. Es gab Tage, da ging es auf Mitternacht, bis der letzte Kunde seinen Antrag ausgefüllt hat.
Und dann gab es noch jene, erinnern sie sich lächelnd, die misstrauisch noch schnell ihr DDR-MarkKonto erleichterten, um sich zwei Tiefkühltruhen zu kaufen. Man konnte ja nie wissen.
Über 25 Milliarden D-Mark rollten im Juni 1990 von West nach Ost, in die neuen Bundesbank-Filialen der Noch-DDR. Eine befand sich in Gera, geleitet wurde sie damals von Gerda Dominicus-Schleutermann und einem Kollegen.
An den 1. Juli kann auch sie sich noch gut erinnern: „Ich saß den ganzen Tag im Tresor und habe Geld ausgezahlt“, erinnert sich die heute 80-Jährige. „Der Tresor in Gera war sehr klein, so dass es problematisch war, die riesigen Geldmengen dort sortiert aufzustapeln, damit sich die Banken das Geld bei uns abholen konnten.“
Transportiert wurden die gebündelten Geldscheine in sogenannten Packbeuteln aus grobem Stoff. Die Erstausstattung der Banken mit dem ersehnten Westgeld wurde
Gerda Dominicus-Schleutermann leitete 1990 die Bundesbank-Filiale in Gera. nach der Zahl der Kontoinhaber bemessen, „die genaue Summe, die im Tresor lag, weiß ich aber nicht mehr.“
Das Geld für die Banken des Bezirkes kam in einem schwer bewachten, gepanzerten Lkw nach Gera, weitere Transporte ins heutige Thüringen gingen nach Weimar und Meiningen. Teilweise überwachten auch Armee-Hubschrauber die wertvolle Fracht. „Ich hätte es mir gern unauffälliger gewünscht“, gesteht die ehemalige Direktorin, „aber die Straßen zur Filiale wurden schon am Vorabend geräumt, sodass jeder wusste, jetzt geht’s los. Und am nächsten Tag schaute alles aus dem Fenster und rief dem Tross hinterher: „Jetzt kommt die D-Mark!“
Zwischenfälle gab es bei dem Transport aber keine, jeder Schein kam sicher in Gera an. Erst danach schlugen die Gangster zu: Bis Ende August gab es allein im Bezirk Gera fünf Banküberfälle.
30 Jahre ist das jetzt her, die drei Sömmerdaer Kassiererinnen arbeite bis heute in der Filiale. Keine zwölf Jahre später verschwand die D-Mark und wich dem Euro. „1 zu 1,95583!“Den Kurs kann Kati Voigt bis heute ohne nachzudenken nennen. Aber diese Umstellung, finden sie alle, war anders. Reibungsloser, organisierter, aber auch emotionsloser als dieser 1. Juli 1990.
Ein Tag, der eine historische Zäsur war. Ob ihnen das bewusst war, als sie am Schalter die Scheine zählten? Im Rückblick sicher, sagen sie. Aber damals, so mittendrin und irgendwie atemlos, war nicht viel Zeit für Reflektion.
Überhaupt: „Nichts war normal in jenen Monaten.“