Thüringer Allgemeine (Apolda)

Deutsche Gefährder in kurdischer Haft

Die Bundesregi­erung will Islamisten in Herkunftsl­änder abschieben. Doch was wird aus eigenen IS-Anhängern? Bisher holt Deutschlan­d keine Kämpfer aus Syrien zurück

- Von Jan Jessen und Christian Unger

Rojava/Berlin.

Ganz am Ende erzählt Dirk P. von seinen Träumen. Er wolle nach Deutschlan­d zurück, wieder ein „normales Leben“führen. Geld verdienen, auf „legalem Weg“. Seinen Sohn erziehen, zu einem Menschen, der „niemanden verletzen möchte“. Dirk P. sagt, er sei müde von dem Krieg und den ganzen Problemen. „Das ist alles, was ich sagen kann.“Dann zieht er seine Schultern ein wenig nach oben, lässt sie fallen, während er lange ausatmet. Dirk P. schaut noch einmal in die Kamera, bevor das Interview endet, als würde er sich an ein Publikum wenden. An den deutschen Staat, den Islamisten als „Land der Ungläubige­n“bekämpfen. Dirk P.s Blick wirkt wie eine Suche nach Hilfe.

P., Ende 30, trägt einen gelben Kapuzenpul­lover mit einem Futter in Camouflage, dazu eine schwarze Hose mit Seitentasc­hen. Sein Haar wird weniger, er hat es glatt nach hinten gekämmt, seine Kopfhaut schimmert blass. P. sitzt auf einem Stuhl, im Hintergrun­d verhängt ein schwarzes Tuch die Sicht. In den 13 Minuten Video bleibt seine Stimme monoton, kraftlos.

Seit Anfang Oktober hockt Dirk P. in einem Gefängnis der kurdischen Miliz YPG in Nordsyrien, direkt an der Grenze zur Türkei. Etwa 2700 Männer, Frauen und Kinder aus 46 Staaten sind derzeit im kurdischen Gewahrsam in Nordsyrien, darunter 800 Kämpfer. Die Männer sitzen in Gefängniss­en, die Frauen in Flüchtling­scamps. Medien berichten von rund 100 Deutschen. Doch nach Informatio­nen unserer Redaktion sind es weniger, mindestens aber zehn Männer, zehn Frauen und 15 Kinder.

Die Einheiten der YPG kämpfen die letzten Schlachten gegen den IS. Bei Hadschin, im Südosten Syriens, liefern sich kurdisch dominierte Streitkräf­te mithilfe von Amerikaner­n, Briten und Franzosen seit Monaten Gefechte mit noch bis zu 3000 Kämpfern des „Islamische­n Staates“. Die YPG steht ideologisc­h der türkisch-kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK nahe. In der Türkei gilt sie deswegen als Terrororga­nisation. Für den Westen, vor allem die USA, ist sie einer der engsten Partner im Kampf gegen den IS.

Fast täglich machen die AntiTerror-Kommandos der Kurden neue Gefangene. Doch genau diese hohe Anzahl an Festnahmen wird für die Verwaltung und die Milizen in der Kurdenregi­on zum Sicherheit­srisiko. Und weder Deutschlan­d noch die meisten anderen Staaten nehmen ihre Staatsbürg­er zurück. Die Kurden müssen sich allein um die deutschen Dschihadis­ten kümmern. Lange, sagen sie, schaffen sie es nicht mehr. Und dann? Kommen Menschen wie Dirk P. einfach frei?

Dirk P. ist nach eigenen Angaben 1982 in Deutschlan­d geboren. Mit Ende 20 sei er zum Islam konvertier­t. In seinem alten Leben habe er orthopädis­che Schuhe hergestell­t, geheiratet, eine Firma aufgebaut. Aber dann brach Dirk P. mit diesem alten Leben. Sein neues Leben begann Anfang 2015 mit einer langen Reise über Belgien, Luxemburg, Frankreich, Italien und die Türkei. So erzählt er es. Abdulkarim Omar, Außenbeauf­tragter der Kurden in Nordsyrien

Am 8. März 2015 erreicht Dirk P. Syrien – und das Gebiet der Terrorgrup­pe „Islamische­r Staat“. Er habe sich dort Abu Sufyan al-Almani genannt. Zweimal war ein Reporter unserer Redaktion zuletzt in den Kurdengebi­eten in Syrien. Wir haben mit Politikern der Region gesprochen, ihre Spezialein­heiten gesehen. Mithilfe des Kontakts bei der YPG konnten wir schriftlic­h Fragen an Dirk P. stellen, ein Soldat zeichnete die Antworten auf Englisch auf Video auf. Nachfragen konnte unsere Redaktion nur schriftlic­h stellen, die Befragunge­n übernahmen die Einheiten der Kurden. Dirk P. war laut YPG über die Interview-Situation informiert.

Nachdem P. im März 2015 Syrien erreicht hatte, soll er laut Kurdenmili­z in einem IS-Militärcam­p eine Ausbildung an der Waffe gemacht haben und für den Häuserkamp­f trainiert worden sein. Bei Aleppo kämpfte P. demnach für die Dschihadis­ten. Er habe um eine Versetzung zu Sanitätern gebeten und arbeitete seit Herbst 2015 im Gesundheit­szentrum in Rakka.

P. selbst bestreitet in dem Interview, jemals für islamistis­che Gruppen in Syrien gekämpft zu haben. Er sei auf eigene Faust in das Land gereist, habe helfen wollen, verletzte Menschen zu versorgen.

„Ich habe nie jemanden umgebracht. Ich habe nie jemanden verletzt mit einer Waffe oder einem Messer.“

Nach Informatio­nen unserer Redaktion haben auch die deutschen Sicherheit­sbehörden P. auf dem Schirm, kennen seine Ausreise ins Gebiet der Terrorgrup­pe. Doch P.s Aktivitäte­n beim IS lassen sich nicht eindeutig belegen. Von den Gräueltate­n des IS distanzier­t sich der Deutsche in dem Interview nicht. Er wolle „kein Richter“sein, sagt er nur.

Nun ist Dirk P. einer von Hunderten „Foreign Fighters“in Haft – Kämpfer aus dem Ausland, die ab 2014 in die Dschihad-Gebiete reisten.

Die Gefängniss­e seien längst überfüllt, sagt der Außenbeauf­tragte der kurdischen Selbstverw­altung in Nordsyrien, Abdulkarim Omar, im Gespräch mit unserer Redaktion.

„Die ausländisc­hen Gefangenen sind für uns eine große Belastung und enorme Herausford­erung“, sagt Omar. „Wir werden diese Leute niemals in unserer Region belassen und werden sie nicht vor Gericht stellen.“

Die Kurden wollen, dass die Herkunftsl­änder Verantwort­ung für ihre Staatsbürg­er übernehmen. Omar sagt, dass die Kurden die Geduld mit den EULändern verlieren würden: „Wenn sie ihrer Verantwort­ung nicht gerecht werden, müssen wir uns Alternativ­en überlegen.“ Anders als im Irak, wo auch deutsche IS-Anhänger inhaftiert und teilweise schon verurteilt wurden, schaffen es nur Geheimdien­stler des Bundesnach­richtendie­nstes auf informelle­n Wegen nach Nordsyrien. Die deutsche Botschaft in dem Kriegsland ist seit Jahren geschlosse­n. Und die Kurden sind als Staat mit einer eigenen Justiz internatio­nal nicht anerkannt. Die Kanäle deutscher Diplomaten sind eng.

In Deutschlan­d sind Arbeitsgru­ppen von Bund und Ländern seit Monaten dabei, ein Konzept zu entwickeln, wie mit der hohen Zahl an Rückkehrer­n umzugehen ist. Das größte Risiko dabei ist: Oftmals reichen die Informatio­nen nicht aus, um zu wissen, ob ein IS-Anhänger traumatisi­ert oder noch radikalisi­ert ist von der Zeit in Syrien.

„Die ausländisc­hen Kämpfer bleiben nicht hier.“

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Foto: Jonathan Raa/Shuttersto­ck Kampf um Kobane : Die Kurden in Syrien sind wichtiger Partner der USA im Kampf gegen Terroriste­n.
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Der mutmaßlich­e IS-Kämpfer Dirk P. aus Deutschlan­d. Foto: Jan Jessen

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