Thüringer Allgemeine (Apolda)

Amsel brütet im Balkonblum­entopf ihren Nachwuchs aus

Ursula Herrmann hat für ein paar Wochen in Weimar West Gesellscha­ft bekommen und bemüht sich um ausreichen­d Schutz für die angehende Vogelfamil­ie

- Von Michael Baar

Weimar. Ursula Herrmann liebt ihren Balkon. Sie schmückt ihr kleines Reich in Weimar West mit Blumenkäst­en und Topfpflanz­en. Nur in diesem Jahr muss das noch warten: Auf ihrem Balkon-fensterbre­tt brütet eine Amsel. In einem Efeukranz hat sie ihr Nest gebaut.

„Vergangene Woche Dienstag ging es los“, erzählt die 81-Jährige. „Was sie da nicht alles eingebaut hat. Gras, kleine Zweige, nasse Blätter aus Pfützen, Erde aus meinen Blumentöpf­en. Sogar Lametta war darunter“, erinnert sich Ursula Herrmann. Nach zwei Tagen war die Amsel fertig und legte ein grünes Ei ins Nest. „Am nächsten Tag war es weg. Aber dann legte sie jeden Tag ein neues Ei. Vier sind es jetzt, und die brütet sie aus.“

Das Männchen sitzt in der Nähe, kommt aber nicht auf den Balkon. Ursula Herrmann vermutet, dass er für das Futter verantwort­lich ist. Denn das Weibchen verlässt das Nest nur ganz kurz. Dann macht sie sich wieder über den vier blau-grünen Eiern breit. „Nachts liegt sie da ganz flach wie eine Flunder. Wer es nicht weiß, sieht sie nicht.“

Vor vielen Jahren, als Ursula Herrmann noch in der Gläserstra­ße wohnte, da hatte eine Amsel mal ein Nest auf einem Wandbord im Kinderzimm­er gebaut. „Damals konnten wir wochenlang das Fenster nicht schließen“, erinnert sich die Frau, die mancher Weimarer vielleicht noch aus ihrer Zeit in der Mitropa-gaststätte oder im Koca (Konzert-café) kennt.

Auf ihrem Balkon kann sich Ursula Herrmann trotz der Amsel bewegen wie sie will, sie kann Staub saugen, im Zimmer das Licht oder den Fernseher gleich hinter dem Fenster anmachen – die Amsel scheint das nicht zu stören. Besucher aus der Familie und viele Nachbarn waren inzwischen auch schon da, um die neue Mitbewohne­rin im Efeukranz zu bestaunen.

Der Kranz ist übrigens ein Geschenk ihrer Tochter und offenbar ideal für das Amselnest. Eine Nachbarin habe dagegen zwei Vogelhäuse­r, in die einfach kein Vogel will.

Ursula Herrmann ist die Älteste von vier Geschwiste­rn. Vier Kindern hat sie auch selbst das Leben geschenkt. Jetzt ist sie Schutzpatr­onin einer Amsel, die vier Eier ausbrütet. Und sie möchte natürlich, dass alle Vier überleben. Deshalb lässt Ursula Herrmann sogar die Markise ge- öffnet, als Sichtschut­z gegen die zahleichen Elstern in Weimar West. Wenn die Jungen geschlüpft sind, dann will sie zufüttern. Sie macht sich gerade kundig, was dafür am besten ist.

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Ursula Herrmann vor dem Efeukranz mit dem Amselnest auf ihrem Balkon in Weimar West.
 ??  ?? Aufmerksam mustert die Amsel den Besucher und stellt die Schwanzfed­er auf. Fotos: Michael Baar
Aufmerksam mustert die Amsel den Besucher und stellt die Schwanzfed­er auf. Fotos: Michael Baar

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