Amsel brütet im Balkonblumentopf ihren Nachwuchs aus
Ursula Herrmann hat für ein paar Wochen in Weimar West Gesellschaft bekommen und bemüht sich um ausreichend Schutz für die angehende Vogelfamilie
Weimar. Ursula Herrmann liebt ihren Balkon. Sie schmückt ihr kleines Reich in Weimar West mit Blumenkästen und Topfpflanzen. Nur in diesem Jahr muss das noch warten: Auf ihrem Balkon-fensterbrett brütet eine Amsel. In einem Efeukranz hat sie ihr Nest gebaut.
„Vergangene Woche Dienstag ging es los“, erzählt die 81-Jährige. „Was sie da nicht alles eingebaut hat. Gras, kleine Zweige, nasse Blätter aus Pfützen, Erde aus meinen Blumentöpfen. Sogar Lametta war darunter“, erinnert sich Ursula Herrmann. Nach zwei Tagen war die Amsel fertig und legte ein grünes Ei ins Nest. „Am nächsten Tag war es weg. Aber dann legte sie jeden Tag ein neues Ei. Vier sind es jetzt, und die brütet sie aus.“
Das Männchen sitzt in der Nähe, kommt aber nicht auf den Balkon. Ursula Herrmann vermutet, dass er für das Futter verantwortlich ist. Denn das Weibchen verlässt das Nest nur ganz kurz. Dann macht sie sich wieder über den vier blau-grünen Eiern breit. „Nachts liegt sie da ganz flach wie eine Flunder. Wer es nicht weiß, sieht sie nicht.“
Vor vielen Jahren, als Ursula Herrmann noch in der Gläserstraße wohnte, da hatte eine Amsel mal ein Nest auf einem Wandbord im Kinderzimmer gebaut. „Damals konnten wir wochenlang das Fenster nicht schließen“, erinnert sich die Frau, die mancher Weimarer vielleicht noch aus ihrer Zeit in der Mitropa-gaststätte oder im Koca (Konzert-café) kennt.
Auf ihrem Balkon kann sich Ursula Herrmann trotz der Amsel bewegen wie sie will, sie kann Staub saugen, im Zimmer das Licht oder den Fernseher gleich hinter dem Fenster anmachen – die Amsel scheint das nicht zu stören. Besucher aus der Familie und viele Nachbarn waren inzwischen auch schon da, um die neue Mitbewohnerin im Efeukranz zu bestaunen.
Der Kranz ist übrigens ein Geschenk ihrer Tochter und offenbar ideal für das Amselnest. Eine Nachbarin habe dagegen zwei Vogelhäuser, in die einfach kein Vogel will.
Ursula Herrmann ist die Älteste von vier Geschwistern. Vier Kindern hat sie auch selbst das Leben geschenkt. Jetzt ist sie Schutzpatronin einer Amsel, die vier Eier ausbrütet. Und sie möchte natürlich, dass alle Vier überleben. Deshalb lässt Ursula Herrmann sogar die Markise ge- öffnet, als Sichtschutz gegen die zahleichen Elstern in Weimar West. Wenn die Jungen geschlüpft sind, dann will sie zufüttern. Sie macht sich gerade kundig, was dafür am besten ist.