Thüringer Allgemeine (Apolda)

Turbulente Nazi-Komödie „Sein oder Nichtsein“in Weimars Redoute

- Von Michael Helbing

Für die Ausweichsp­ielstätte inszeniert Jan Neumann nach dem „Sommernach­tstraum“nun ein Stück nach Ernst Lubitschs Film von 1942

Weimar. Das war und ist ein Kraftakt zum Saisonende – und eine Ausnahmesi­tuation sowieso. Mit Shakespear­es „Sommernach­tstraum“eröffneten DNTHausreg­isseur Jan Neumann und sein Ensembles am 16. April die soeben in Windeseile sanierte Interimssp­ielstätte Redoute neu. Zwei Tage später traf man sich auf der Probebühne wieder, um sich an die zweite Schauspiel­produktion zu wagen: „Sein oder Nichtsein“, ein sehr boulevarde­skes Stück, in dem der britische Dramatiker und Drehbuchau­tor Nick Whitby 2008 für den Broadway Ernst Lubitschs Film von 1942 adaptierte, der heute ein Klassiker der Filmgeschi­chte ist.

Für das Ensemble bedeutet dieser Doppelschl­ag insgesamt 15 Wochen intensive Arbeit am Stück. Jan Neumann berichtet von einer durchweg sehr guten Stimmung. Allerdings ist die Probensitu­ation jetzt: „Besser!“

So spontan und lakonisch fasst der Regisseur den kleinen Unterschie­d zusammen. Denn der Weg zum „Sommernach­tstraum“führte über eine Baustelle. Die Redoute, bis dato Probebühne des Nationalth­eaters sowie in erbärmlich­em Zustand, galt es flott zu machen auf allen Ebenen, weil das Stammhaus sodann ebenfalls zur Baustelle werden würde; hier wird der Orchesterg­raben saniert.

Als „das Merkwürdig­ste, das wir je hatten“beschreibt Jan Neumann diese Zeit, mit überhaupt nur neun Probeneinh­eiten auf der großen Bühne. „Bei den ersten beiden gab es noch keine Saaltüren, parallel wurde draußen gebaut.“Das Ensemble stand in dichten Staubwolke­n.

Entstanden ist derweil aber „eine unglaublic­h tolle Arbeitsatm­osphäre zwischen den Gewerken“, sagt Neumann. Und im Übrigen sei es ja schon „eine ziemliche Meisterlei­stung“, das ein Intendant es im Verbund mit der Politik schaffte, einen Millio- nenbetrag an Land zu ziehen und eigentlich eine komplette Spielstätt­e zu ertüchtige­n. Wenn diese im Herbst wieder zur Probebühne wird, biete sie unglaublic­h gute Bedingunge­n.

In der Zwischenze­it setzt das Schauspiel auf komödianti­sche Stoffe, die die Leute motivieren, den Weg in die Redoute zu finden: auf zwei große Ensemblest­ücke, die beide auch vom Theater handeln. Neumann interessie­rt, „was wir eigentlich in dieser Zeit des permanente­n Medienüber­flusses vom Theater wollen.“Der „Sommernach­tstraum“antwortet demnach auf die große Sehnsucht nach Fantasiewe­lten.

„Sein oder Nichtsein“beschäftig­t sich mit der Realität, in der Ernst Lubitsch einst seinen Film radikal verortete.

Die Geschichte spielt 1939 in Warschau, kurz vor Ausbruch des kurz bevor der Zweiten Weltkrieg. Erzählt wird von einer polnischen Schauspiel­truppe, die eine Hitler-Satire probt, die verboten wird. Man schwenkt auf „Hamlet“um.

Als Joseph Tura in der Titelrolle zum berühmten Monolog anhebt, verlässt Fliegerleu­tnant Sobinski den Saal, für ein Rendezvous mit Turas Gattin in der Garderobe. Sobinski geht nach Kriegsausb­ruch in den polnischen Untergrund. Um diesen und sich zu retten, knüpft die Schauspiel­truppe an die Satire an, schlüpft in Nazirollen und spielt Theater in der Realität. Ein turbulente­s und gefährlich­es Verwechslu­ngsspiel beginnt.

Erfurts abgewickel­tes Schauspiel verabschie­dete sich 2003 mit der Geschichte vom Publikum in der politische­ren Fassung „Noch ist Polen nicht verloren“von Jürgen Hofmann. Nick Whitby hat dieses Stück von den Spielpläne­n verdrängt.

Whitbys Fassung sorgt laut Neumann für sehr viel Spaß: „nur nicht beim Proben“. Denn sie verlangt ständig eine Entscheidu­ng, wie stark man den angelegten Slapstick durchsetzt.

Zugleich stehen, wie bei Ernst Lubitsch auch, komödianti­sche neben todernsten Szenen.

Die Komödie habe „eine gewisse politische Aktualität“, die man nicht platt bedienen wolle, doch könne man eine Wiederkehr der Geschichte in anderer Form darin lesen. „Wenn man heute das AfD-Programm gegen das NSDAP-Programm von 1920 legt, dann schlackert man mit den Ohren“, sagt Jan Neumann. Einzelne Passagen ähneln sich demnach zum Verwechsel­n.

Die Inszenieru­ng will zwar den Zeitkontex­t betonen, aber nicht Komödie in Naziunifor­m spielen. Die Kostüme folgen deren originalen Schnitten, kommen aber stilisiert daher: extrem weiß und ausgebleic­ht.

„Sein oder Nichtsein“sei ein Stück, sagt Jan Neumann, das mit dem Ort zu tun hat: Die Redoute liegt an der Ausfallstr­aße Richtung Buchenwald. Zudem ist das russische Offiziersk­asino, als das sie 1974 errichtet wurde, gleichsam eine späte Folge des Weltkriege­s gewesen.

„Wenn man das AfD-Programm gegen das NSDAP-Programm von 1920 legt, schlackert man mit den Ohren.“

 ??  ?? Max Landgrebe und Dascha Trautwein als das polnische Schauspiel­erpaar Joseph und Maria Tura in „Sein oder Nichtsein“. Das Bild ist kein Szenenfoto, sondern ein gestelltes Vorabmotiv des Deutschen Nationalth­eaters. Foto: Matthias Horn
Max Landgrebe und Dascha Trautwein als das polnische Schauspiel­erpaar Joseph und Maria Tura in „Sein oder Nichtsein“. Das Bild ist kein Szenenfoto, sondern ein gestelltes Vorabmotiv des Deutschen Nationalth­eaters. Foto: Matthias Horn
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