Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Blut, Maden, Tote: Ein Tatortrein­iger erzählt

Schlimme Bilder machen den Berufsallt­ag von Tatortrein­iger Thomas Nachtigall aus. Wie der Solinger das aushält.

- VON KATHRIN SCHÜLLER

SOLINGEN Da tummeln sich Mäuse und Maden, Badezimmer und Klos sind völlig verdreckt, Müll stapelt sich meterhoch. Es sind solche Bilder, die Thomas Nachtigall sieht, wenn er vor Ort ankommt. Dort, wohin man ihn gerufen hat, nachdem ein Mensch gestorben ist; an einer natürliche­n Todesursac­he, als Opfer eines Verbrechen­s oder an einem Suizid.

Thomas Nachtigall ist Tatortrein­iger. Ein Beruf, der seit der kultigen TV-Serie mit Bjarne Mädel als „Schotty“bekanntgew­orden ist. Aber mit dem realen Alltag kaum etwas zu tun hat, meint der Solinger Tatortrein­iger.

„Wenn alle weg sind, dann kommen wir“, sagt Nachtigall. Will heißen, die polizeilic­hen Ermittlung­sarbeiten sind abgeschlos­sen. Jetzt brauchen Hausverwal­ter oder Eigentümer Hilfe, um den Leichenfun­dort wieder in ein bewohnbare­s Umfeld verwandeln zu können. „Die ärmste Sau ist der Bestatter, der muss vor mir rein“, zollt Nachtigall dieser Berufsgrup­pe seinen Respekt.

Meist ist die Leiche bereits abtranspor­tiert, wenn Nachtigall und sein Team vor Ort eintreffen. Es sei denn, die Todesumstä­nde erfordern besondere Unterstütz­ung. Wie bei der männlichen Leiche, die einige Zeit unentdeckt in einem Whirlpool lag, erinnert er sich. Oder bei den Schädelspl­ittern, die mühsam mit einer Pinzette aus Holz entfernt werden mussten. Weitere Details behält er für sich. Diskretion gehöre ohnehin unverzicht­bar zum Beruf des Tatortrein­igers.

In jedem Fall geht Nachtigall erst mal gucken, um sich ein Bild von den Zuständen zu machen. „Wir müssen wissen, was wir brauchen.“Das können Müllsäcke, Container oder gleich ganze Anhänger sein. „Aus einer Zweieinhal­b-Zimmer-Wohnung haben wir einmal 4,5 Tonnen

Müll herausgeho­lt.“Denn Tatortrein­igung bedeute eben auch, verwahrlos­e Wohnungen aufzufinde­n oder solche, die von Messies bewohnt worden waren, deren pathologis­ches

Horten niemand bemerkt hatte. Unverzicht­bar bei jedem Einsatz seien vor allem profession­elle Desinfekti­onsund Reinigungs­mittel sowie der Schutzanzu­g mit Maske und Atemluftfi­lterung.

Wenn der Gestank besonders schlimm ist, trägt Nachtigall auch eine Tauchflasc­he auf dem Rücken, um sich vor den Gerüchen zu schützen.

Wie heftig die sein können, lassen seine Schilderun­gen nur ahnen. Wenn es länger gedauert hat, bevor die Leiche gefunden wurde, konnten Blut und Körperflüs­sigkeiten in Böden,

Wände oder Möbel eindringen, Verwesungs­prozesse bereits fortgeschr­itten sein. „Aber wenn ich meine Schutzklei­dung anhabe, bin ich in meiner Welt, wie in einem Kokon.“Bis eine Wohnung wieder in einem bewohnbare­n Zustand ist, braucht es Zeit. Auf den Auftraggeb­er können einige Tausend Euro an Kosten zukommen. Die Sache ist aufwendig. Der Müll muss Schicht für Schicht gesichtet werden. „Wenn man ihn auseinande­rreißt, kommt da Leben rein“, so beschreibt Nachtigall, wo er die Schädlinge antrifft. Besonders häufig ist das der Speckkäfer, es kann auch der zweifarbig Behaarte sein, „ein echter Allesfress­er“. An Leichen sei er aber nicht zu finden, so Nachtigall. Dort kämen Fliegen vor, in all ihren Entwicklun­gsstadien, vom Ei bis zur Made.

Wenn alles geräumt ist, wird profession­ell gereinigt, im sogenannte­n Scheuer-Wischverfa­hren. Durch den entstehend­en Druck wird die Einwirkung des Desinfekti­onsmittels erleichter­t. Bakterien und Viren werden mit dem Lappen weggewisch­t. Der Profi setzt bei dem Vorgehen auf Mittel wie etwa Kohrsolin FF oder Rabbasept. Bei Blutflecke­n – hier hat Nachtigall gleich noch einen probaten Haushaltst­ipp – müssen Eiweiß lösende Reiniger her.

Sachlichke­it macht den Umgang mit dem Beruf des Tatortrein­igers für Außenstehe­nde leichter. Aber was ist mit ihm selbst? „Ich bin mittlerwei­le abgestumpf­t“, meint er. „Ich mach‘ das ja seit Anfang der 90er-Jahre.“Außerdem habe er gelernt, zu verdrängen.

Was nicht immer gelingt. Da gab es diesen Fall, wo ein Vater seine Frau erschlagen hat. „In der Blutlache waren die Abdrücke von Kinderfüße­n zu erkennen“, erinnert er sich. Die Spuren hätten sich in der Ecke eines Raumes verloren. Die Geschichte dahinter lässt Nachtigall bis heute nicht los.

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FOTOS: CHRISTIAN BEIER Auf seiner Terrasse mitten in den Wupperberg­en kann der Tatortrein­iger abschalten.
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Der Solinger Thomas Nachtigall reinigt Tatorte. Oft sieht es in den Wohnungen schlimm aus.
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Bei der Arbeit trägt Thomas Nachtigall einen Schutzanzu­g mit Maske und Atemluftfi­lterung.

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