Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Blut, Maden, Tote: Ein Tatortreiniger erzählt
Schlimme Bilder machen den Berufsalltag von Tatortreiniger Thomas Nachtigall aus. Wie der Solinger das aushält.
SOLINGEN Da tummeln sich Mäuse und Maden, Badezimmer und Klos sind völlig verdreckt, Müll stapelt sich meterhoch. Es sind solche Bilder, die Thomas Nachtigall sieht, wenn er vor Ort ankommt. Dort, wohin man ihn gerufen hat, nachdem ein Mensch gestorben ist; an einer natürlichen Todesursache, als Opfer eines Verbrechens oder an einem Suizid.
Thomas Nachtigall ist Tatortreiniger. Ein Beruf, der seit der kultigen TV-Serie mit Bjarne Mädel als „Schotty“bekanntgeworden ist. Aber mit dem realen Alltag kaum etwas zu tun hat, meint der Solinger Tatortreiniger.
„Wenn alle weg sind, dann kommen wir“, sagt Nachtigall. Will heißen, die polizeilichen Ermittlungsarbeiten sind abgeschlossen. Jetzt brauchen Hausverwalter oder Eigentümer Hilfe, um den Leichenfundort wieder in ein bewohnbares Umfeld verwandeln zu können. „Die ärmste Sau ist der Bestatter, der muss vor mir rein“, zollt Nachtigall dieser Berufsgruppe seinen Respekt.
Meist ist die Leiche bereits abtransportiert, wenn Nachtigall und sein Team vor Ort eintreffen. Es sei denn, die Todesumstände erfordern besondere Unterstützung. Wie bei der männlichen Leiche, die einige Zeit unentdeckt in einem Whirlpool lag, erinnert er sich. Oder bei den Schädelsplittern, die mühsam mit einer Pinzette aus Holz entfernt werden mussten. Weitere Details behält er für sich. Diskretion gehöre ohnehin unverzichtbar zum Beruf des Tatortreinigers.
In jedem Fall geht Nachtigall erst mal gucken, um sich ein Bild von den Zuständen zu machen. „Wir müssen wissen, was wir brauchen.“Das können Müllsäcke, Container oder gleich ganze Anhänger sein. „Aus einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung haben wir einmal 4,5 Tonnen
Müll herausgeholt.“Denn Tatortreinigung bedeute eben auch, verwahrlose Wohnungen aufzufinden oder solche, die von Messies bewohnt worden waren, deren pathologisches
Horten niemand bemerkt hatte. Unverzichtbar bei jedem Einsatz seien vor allem professionelle Desinfektionsund Reinigungsmittel sowie der Schutzanzug mit Maske und Atemluftfilterung.
Wenn der Gestank besonders schlimm ist, trägt Nachtigall auch eine Tauchflasche auf dem Rücken, um sich vor den Gerüchen zu schützen.
Wie heftig die sein können, lassen seine Schilderungen nur ahnen. Wenn es länger gedauert hat, bevor die Leiche gefunden wurde, konnten Blut und Körperflüssigkeiten in Böden,
Wände oder Möbel eindringen, Verwesungsprozesse bereits fortgeschritten sein. „Aber wenn ich meine Schutzkleidung anhabe, bin ich in meiner Welt, wie in einem Kokon.“Bis eine Wohnung wieder in einem bewohnbaren Zustand ist, braucht es Zeit. Auf den Auftraggeber können einige Tausend Euro an Kosten zukommen. Die Sache ist aufwendig. Der Müll muss Schicht für Schicht gesichtet werden. „Wenn man ihn auseinanderreißt, kommt da Leben rein“, so beschreibt Nachtigall, wo er die Schädlinge antrifft. Besonders häufig ist das der Speckkäfer, es kann auch der zweifarbig Behaarte sein, „ein echter Allesfresser“. An Leichen sei er aber nicht zu finden, so Nachtigall. Dort kämen Fliegen vor, in all ihren Entwicklungsstadien, vom Ei bis zur Made.
Wenn alles geräumt ist, wird professionell gereinigt, im sogenannten Scheuer-Wischverfahren. Durch den entstehenden Druck wird die Einwirkung des Desinfektionsmittels erleichtert. Bakterien und Viren werden mit dem Lappen weggewischt. Der Profi setzt bei dem Vorgehen auf Mittel wie etwa Kohrsolin FF oder Rabbasept. Bei Blutflecken – hier hat Nachtigall gleich noch einen probaten Haushaltstipp – müssen Eiweiß lösende Reiniger her.
Sachlichkeit macht den Umgang mit dem Beruf des Tatortreinigers für Außenstehende leichter. Aber was ist mit ihm selbst? „Ich bin mittlerweile abgestumpft“, meint er. „Ich mach‘ das ja seit Anfang der 90er-Jahre.“Außerdem habe er gelernt, zu verdrängen.
Was nicht immer gelingt. Da gab es diesen Fall, wo ein Vater seine Frau erschlagen hat. „In der Blutlache waren die Abdrücke von Kinderfüßen zu erkennen“, erinnert er sich. Die Spuren hätten sich in der Ecke eines Raumes verloren. Die Geschichte dahinter lässt Nachtigall bis heute nicht los.