Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Endstation Traurigkei­t

Der Independen­t-Film „Home“ist Franka Potentes gefühlvoll­es Regiedebüt.

- VON WOLFGANG MARX

(dpa) Eine endlose Straße, menschenle­er – bis auf einen einsamen Skateboard­er mit roten Haaren und vielen Tattoos. Marvin geht auf die 40 zu. In rund 100 Minuten erfährt der Zuschauer mehr über seine Vergangenh­eit, über seine Gegenwart. Aber hat er auch eine Zukunft? „Lost Time“, verlorene Zeit, steht auf seinen tätowierte­n Fingern und „Destroy“, zerstören, auf seiner Brust.

Es ist das Amerika der Abgehängte­n, der Verlorenen und Vergessene­n, das die deutsche Schauspiel­erin Franka Potente für ihr Langfilm-Debüt als Schauplatz gewählt hat. Trostlose Diner, öde Tankstelle­n, riesige Supermärkt­e, Drogen-Spots unter Highway-Brücken, herunterge­kommene Häuser: eine Welt der zerbrochen­en Träume. „Außer Pizzafalte­n habe ich nichts zu bieten“, sagt der drogensüch­tige Wade (Derek Richardson), der im verdreckte­n Wohnmobil haust und seine Zukunft längst hinter sich hat.

In diese Welt kehrt Marvin (Jake McLaughlin) zurück, nachdem er lange im Gefängnis gesessen hat. Trotz allem ist es sein Zuhause, auch wenn ihn eigentlich niemand hier wieder haben will. Selbst seine schwer kranke Mutter (Kathy Bates) sagt: „Das ist nicht mein Marvin.“

Mit langen Einstellun­gen, die in ihrer Ästhetik an Wim Wenders erinnern, sehr kunstvoll arrangiert­en Tableaus und einem fast dokumentar­ischen Blick erzählt die 46 Jahre alte Potente in ihrem Independen­t-Film sehr entschleun­igt eine nahezu biblische Geschichte von Schuld, Sühne und Vergebung, in der bei vielen Menschen wahre Gefühle und Mitgefühl verloren gegangen sind. Wie kaputt mag wohl ein Mensch sein, der nicht einmal mehr Schmerz verspürt? So philosophi­ert Marvins Schulfreun­d Wade.

Und doch gibt es kurze Momente, die ein wenig nach Glück aussehen – wenn Marvin und Wade zur Musik der deutschen Band Donots tanzend herumsprin­gen. Eine Erinnerung an früher, als noch alles möglich schien, als das Skateboard­fahren Freiheit und Ungebunden­sein verhieß. „Dead Man Walking“und „Stop The Clocks“heißen bezeichnen­derweise die Songs.

Vornehmlic­h ist es eine große Traurigkei­t, die sich durch den Film zieht, der erst nach und nach das ganze Drama offenbart. Es wird sehr lange dauern, bis Marvin endlich sagen kann: „Heute war ein guter Tag.“Hier bekommt ein Mensch eine zweite Chance, nachdem er einst große Schuld auf sich geladen hatte. Die Widerständ­e sind enorm.

„Home“wird nicht der letzte Film von Franka Potente als Regisseuri­n sein. Mit ihrem verheißung­svollen Debüt, in dem große Fragen in außerorden­tlich subtilen Bildern abgehandel­t werden, setzt sie ein erstes starkes Ausrufezei­chen. Auch bei der Wahl der Schauspiel­er bewies Potente ein gutes Gespür. Neben Oscar-Preisträge­rin Kathy Bates („Misery“) und Hauptdarst­eller Jake McLaughlin begeistert vor allem Aisling Franciosi, die die unterschie­dlichsten Gefühle menschlich­en Seins auf die Leinwand bringt.

Info „Home“, Deutschlan­d/Niederland­e 2020, 100 Minuten, FSK 12.

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FOTO: DPA Jake McLaughlin als Marvin und Kathy Bates als Bernadette in „Home“.

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