Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Keine Hoffnung mehr für die Vermissten
Fünf Vermisste und zwei Tote nach der Explosion in Leverkusen. Ob die freigesetzte Menge an Dioxin eine Gefahr darstellt, ist noch nicht klar.
Am Tag nach der Explosion, die Leverkusen und Umgebung erschüttert hat, steht der Ausgangspunkt des Unglücks fest: Drei Tanks mit organischen Lösungsmitteln sind laut der Werksleitung in der Müllverbrennungsanlage des Chemparks in Brand geraten. Zwei Tote wurden geborgen, für weitere fünf Vermisste gibt es laut Betreiber Currenta kaum noch Hoffnung. 31 Mitarbeiter sind teils schwer verletzt worden. 600.000 bis 900.000 Liter Lösungsmittel sollen sich in den Tanks befunden haben.
Das nordrhein-westfälische Landesumweltamt (Lanuv) geht davon aus, dass die Rauchwolke Dioxin-, PCB- und Furanverbindungen in die umliegenden Wohngebiete getragen hat. Offen bleibt zunächst die Frage, in welcher Konzentration die Stoffe in die Luft gelangt sind – und damit, wie gefährlich die Lage ist. Dies untersucht das Lanuv derweil noch mittels Proben in einem Dioxinlabor in Essen. „Die Ergebnisse werden nicht vor Ende dieser Woche vorliegen.“
Für die Beurteilung der Gefahr, die von den Folgen der Explosion ausgeht, ist die Konzentration allerdings entscheidend. „Dioxin-, PCB- und Furanverbindungen werden durchaus in Zusammenhang gebracht mit Missbildungen bei Neugeborenen von Tieren, weniger beim Menschen, als Umweltöstrogene oder auch krebserregende Substanzen beim Menschen“, sagte Daniel Dietrich, Leiter der Arbeitsgruppe Human- und Umwelttoxikologie an der Universität Konstanz: „Aber – und das ist das große Aber – nur in hohen Konzentrationen. Und die liegen nicht vor, wenn das Gebiet im Laufe der Zeit gereinigt und dekontaminiert wird.“
Die Stoffe klebten an Oberflächen, sagte Dietrich: „Sie springen einen nicht an, man müsste sie schon aktiv in den Körper transportieren – etwa, wenn man sich nach der Arbeit im Garten die Hände abschleckt.“Nach der Einschätzung von Dietrich besteht keine Gefahr für die Bevölkerung, wenn sie sich an die Empfehlung des Lanuv und der anderen Behörden halte.
Das Lanuv rät Bürger dazu, möglichst keine Flächen anzufassen, die mit Ruß oder Staub belegt sind – und diese auch nicht selber zu säubern. Die Stadt Leverkusen empfiehlt, auch Gartenmöbel und Pools zu meiden, sowie bei der Gartenarbeit Handschuhe zu tragen.
Politik und Umweltverbände fordern nach der Explosion eine lückenlose Aufklärung. Dabei helfe „nur rasche und vollständige Transparenz seitens des Unternehmens und des Umweltministeriums“, sagte Norwich Rüße, umweltpolitischer Sprecher der Grünen im NRW-Landtag. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) fordert eine Offenlegung der Kontrollen durch die Bezirksregierung Köln als der zuständigen Aufsichtsbehörde. „Die Überwachungsbehörde ist gefordert, darzulegen, ob und in welchem Umfang in der letzten Zeit Umweltinspektionen in der Anlage stattgefunden haben und ob dort Mängel festgestellt werden konnten“, sagte Dirk Jansen, Geschäftsleiter BUND NRW. Die Polizei Köln hat eine Ermittlungsgruppe für den Fall eingerichtet. Es bestehe der Anfangsverdacht des fahrlässigen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion und fahrlässiger Tötung. Der Einsatz am Brandort werde noch mehrere Tage andauern.
Die heutige Currenta mit ihren 3500 Mitarbeitern entstand 2002 als Ausgründung von Bayer Industrie Services, die für Bayer und später auch die Kölner Abspaltung Lanxess Chemieanlagen und vergleichbare Betriebe managte. 2019 wurde das in Currenta umbenannte Unternehmen dann von Bayer und Lanxess an den australischen Finanzinvestor Macquarie für rund 3,5 Milliarden Euro verkauft.
Bayer erklärt auf Anfrage, man gehe davon aus, dass sich an den Sicherheitsstandards nach dem Verkauf nichts geändert habe. Der Konzern behalte sich Sicherheitskontrollen vor, es gäbe Vereinbarungen über einzuhaltende Sicherheitsstandards. Ein Pressesprecher von Currenta erklärt dazu, ein sicherer Betrieb der Anlagen sei „das höchste Gut“, den das Unternehmen habe. Der Sicherheitsstandard aus der Bayer-Zeit sei „nie heruntergefahren worden“.