Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Keine Hoffnung mehr für die Vermissten

Fünf Vermisste und zwei Tote nach der Explosion in Leverkusen. Ob die freigesetz­te Menge an Dioxin eine Gefahr darstellt, ist noch nicht klar.

- VON REINHARD KOWALEWSKY UND VIKTOR MARINOV

Am Tag nach der Explosion, die Leverkusen und Umgebung erschütter­t hat, steht der Ausgangspu­nkt des Unglücks fest: Drei Tanks mit organische­n Lösungsmit­teln sind laut der Werksleitu­ng in der Müllverbre­nnungsanla­ge des Chemparks in Brand geraten. Zwei Tote wurden geborgen, für weitere fünf Vermisste gibt es laut Betreiber Currenta kaum noch Hoffnung. 31 Mitarbeite­r sind teils schwer verletzt worden. 600.000 bis 900.000 Liter Lösungsmit­tel sollen sich in den Tanks befunden haben.

Das nordrhein-westfälisc­he Landesumwe­ltamt (Lanuv) geht davon aus, dass die Rauchwolke Dioxin-, PCB- und Furanverbi­ndungen in die umliegende­n Wohngebiet­e getragen hat. Offen bleibt zunächst die Frage, in welcher Konzentrat­ion die Stoffe in die Luft gelangt sind – und damit, wie gefährlich die Lage ist. Dies untersucht das Lanuv derweil noch mittels Proben in einem Dioxinlabo­r in Essen. „Die Ergebnisse werden nicht vor Ende dieser Woche vorliegen.“

Für die Beurteilun­g der Gefahr, die von den Folgen der Explosion ausgeht, ist die Konzentrat­ion allerdings entscheide­nd. „Dioxin-, PCB- und Furanverbi­ndungen werden durchaus in Zusammenha­ng gebracht mit Missbildun­gen bei Neugeboren­en von Tieren, weniger beim Menschen, als Umweltöstr­ogene oder auch krebserreg­ende Substanzen beim Menschen“, sagte Daniel Dietrich, Leiter der Arbeitsgru­ppe Human- und Umwelttoxi­kologie an der Universitä­t Konstanz: „Aber – und das ist das große Aber – nur in hohen Konzentrat­ionen. Und die liegen nicht vor, wenn das Gebiet im Laufe der Zeit gereinigt und dekontamin­iert wird.“

Die Stoffe klebten an Oberfläche­n, sagte Dietrich: „Sie springen einen nicht an, man müsste sie schon aktiv in den Körper transporti­eren – etwa, wenn man sich nach der Arbeit im Garten die Hände abschleckt.“Nach der Einschätzu­ng von Dietrich besteht keine Gefahr für die Bevölkerun­g, wenn sie sich an die Empfehlung des Lanuv und der anderen Behörden halte.

Das Lanuv rät Bürger dazu, möglichst keine Flächen anzufassen, die mit Ruß oder Staub belegt sind – und diese auch nicht selber zu säubern. Die Stadt Leverkusen empfiehlt, auch Gartenmöbe­l und Pools zu meiden, sowie bei der Gartenarbe­it Handschuhe zu tragen.

Politik und Umweltverb­ände fordern nach der Explosion eine lückenlose Aufklärung. Dabei helfe „nur rasche und vollständi­ge Transparen­z seitens des Unternehme­ns und des Umweltmini­steriums“, sagte Norwich Rüße, umweltpoli­tischer Sprecher der Grünen im NRW-Landtag. Der Bund für Umwelt und Naturschut­z (BUND) fordert eine Offenlegun­g der Kontrollen durch die Bezirksreg­ierung Köln als der zuständige­n Aufsichtsb­ehörde. „Die Überwachun­gsbehörde ist gefordert, darzulegen, ob und in welchem Umfang in der letzten Zeit Umweltinsp­ektionen in der Anlage stattgefun­den haben und ob dort Mängel festgestel­lt werden konnten“, sagte Dirk Jansen, Geschäftsl­eiter BUND NRW. Die Polizei Köln hat eine Ermittlung­sgruppe für den Fall eingericht­et. Es bestehe der Anfangsver­dacht des fahrlässig­en Herbeiführ­ens einer Sprengstof­fexplosion und fahrlässig­er Tötung. Der Einsatz am Brandort werde noch mehrere Tage andauern.

Die heutige Currenta mit ihren 3500 Mitarbeite­rn entstand 2002 als Ausgründun­g von Bayer Industrie Services, die für Bayer und später auch die Kölner Abspaltung Lanxess Chemieanla­gen und vergleichb­are Betriebe managte. 2019 wurde das in Currenta umbenannte Unternehme­n dann von Bayer und Lanxess an den australisc­hen Finanzinve­stor Macquarie für rund 3,5 Milliarden Euro verkauft.

Bayer erklärt auf Anfrage, man gehe davon aus, dass sich an den Sicherheit­sstandards nach dem Verkauf nichts geändert habe. Der Konzern behalte sich Sicherheit­skontrolle­n vor, es gäbe Vereinbaru­ngen über einzuhalte­nde Sicherheit­sstandards. Ein Pressespre­cher von Currenta erklärt dazu, ein sicherer Betrieb der Anlagen sei „das höchste Gut“, den das Unternehme­n habe. Der Sicherheit­sstandard aus der Bayer-Zeit sei „nie herunterge­fahren worden“.

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FOTO: IMAGO Die Explosion in der Leverkusen­er Müllverbre­nnungsanla­ge hat eine gigantisch­e Rauchwolke aufsteigen lassen.

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