Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Comeback eines Glücklosen
Michael Müller hat in Berlin nichts mehr zu verlieren. Für das Amt des Regierenden Bürgermeisters wird er nicht erneut antreten. Trotz dieser schwachen Position genießt er als Chef der Ministerpräsidentenkonferenz viel Rückhalt.
Wenn Michael Müller einen Raum betritt, fällt das selten auf. Im Gewusel früherer SPD-Wahlpartys etwa bemerkten ihn die Gäste meist erst wegen mehrerer Personenschützer, die er im Schlepptau hatte – und nicht aufgrund einer besonderen Aura. Die fehlt dem 56-Jährigen fast vollständig. Berlins Regierender Bürgermeister wirkt schnörkellos, mitunter verkniffen, zurückhaltend, defensiv. Er ist jemand, der die Sacharbeit weitaus besser kann, als die Selbstinszenierung. Doch diese Eigenschaft hat dem in Berlin lange glücklos agierenden Müller jetzt eine erstaunliche Rückkehr ins Rampenlicht beschert. Nämlich als Chef der Ministerpräsidentenkonferenz.
Dieses Gremium, das üblicherweise nur alle paar Monate mit der Bundeskanzlerin zusammenkommt, um die Interessen von Bund und Ländern zu koordinieren, trifft sich derzeit alle paar Wochen. Die Corona-Pandemie macht es nötig, dass der Bund und die Landesregierungen sich eng abstimmen, ihre Maßnahmen koordinieren, Beschlüsse durchsetzen. Soweit die Theorie. In der Praxis aber bedarf es dafür eines guten Moderators, Streitschlichters, Vermittlers, um die teils extrem unterschiedlichen Interessen zusammenzubinden und in Beschlusspapiere zu gießen.
Michael Müller fiel diese Aufgabe turnusgemäß zu, nicht etwa per Abstimmung. In der Ministerpräsidentenkonferenz ist es seit jeher eine Art Glücksspiel, ob die jeweils amtierende Regierungschefin oder der jeweilige Regierungschef den Job gut macht. Bei Müller gab es im Vorfeld extreme Vorbehalte. Ausgerechnet er, der die Chaos-Hauptstadt Berlin nicht im Griff habe, solle jetzt auch noch für alle Länder in einer nationalen Notlage die Verhandlungen mit dem Bund führen? Gott bewahre, hieß es vor der Übergabe des Staffelstabes von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) an Müller, bloß nicht er.
Denn tatsächlich fiel Müller während seiner Amtszeit selten mit positiven Nachrichten auf. Insbesondere seit Ausbruch der Pandemie machte Berlin viele Negativschlagzeilen. Illegale Partys in Parks und
Clubs, eskalierende Hochzeitsfeiern, mangelnde Polizeikontrollen, selbst beim Schließen von Spielplätzen gab es ein völlig unterschiedliches Vorgehen der Bezirke und ein verwirrendes Hin und Her zu Schulöffnungen.
Beispiel vom Jahresanfang: Am Montag, 4. Januar, hatte Berlins Bildungssenatorin und Müllers Parteifreundin Sandra Scheeres mit ihren Amtskollegen in der Kultusministerkonferenz für rasche Schulöffnungen gestimmt. Müller nannte solche Öffnungen ab dem 11. Januar am Dienstag sinngemäß abenteuerlich, einen Tag später stimmte sein rot-rot-grüner Senat aber für die Rückkehr zum Präsenzunterricht ab dem 11. Januar. Im Anschluss sagte Müller, die mit dem Bund beschlossenen Maßnahmen würden aber dennoch bis 31. Januar verlängert, was Scheeres’ Plänen entgegenstand. Mit Blick auf die
Schulen war das Chaos bereits perfekt, Hunderttausende Eltern in Berlin maximal verwirrt. Doch es ging weiter. Am Donnerstag lobte Müller die Schulöffnungen wieder, und erst am Freitagabend teilte der Senat schließlich mit, die Schulen blieben am Montag doch geschlossen.
Was war geschehen? Berlins neue SPD-Chefin Franziska Giffey, die trotz der Plagiatsaffäre um ihre Doktorarbeit die Hoffnungsträgerin für Müllers Nachfolge ist, hatte interveniert – ein bis dahin einmaliger Schritt. Giffey, die zudem Bundesfamilienministerin ist, brachte Müller und den Senat angesichts extrem hoher Infektionszahlen zum Einlenken. Der Abend markierte einen neuen Tiefpunkt im Agieren des Regierenden Bürgermeisters.
Michael Müller hat nicht mehr viel zu sagen in Berlin, das spüren seine Regierungsmitglieder, die beteiligten Linken und Grünen. Ohne seine Rolle in der Ministerpräsidentenkonferenz wäre er eine „lame duck“, wie scheidende Amtsinhaber im englischen Sprachraum genannt werden – eine lahme Ente. Im
Kreis der anderen Regierungschefs aber genießt Müller zunehmend hohes Ansehen. Von ihnen hieß es, er könne, ganz im Gegensatz zu Söder, viel besser zu einer gemeinsamen Linie finden, eine angespannte Atmosphäre auflösen. Auch mache er durchaus emotional mit wenigen Worten ganz klare Ansagen. Und: Er rede nicht ständig über sein Bundesland, vertrete nicht vorrangig eigene Interessen. Eben das hatte Söder oft getan und tut es als Müllers Vorgänger in den Pressekonferenzen mit der Kanzlerin noch immer.
Dieses Comeback könnte Müller nun auch persönlich noch nutzen. Er muss um einen Listenplatz für die Bundestagswahl kämpfen, seine eigene Partei macht es ihm dabei in Berlin nicht leicht. Mit seinen Auftritten als „MPK“-Chef, abseits des Berliner Regierungschaos, könnte er dafür wichtige Unterstützung sammeln.