Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Binnengrenzen um jeden Preis offenhalten
Für die Politik ist es der bislang kritischste Moment in der Corona-Pandemie. Nachdem die Entscheider im Herbst zu lange zögerten und dann aus Sorge vor dem Zorn der Wähler auch an Weihnachten schärfere Kontaktbeschränkungen scheuten, müssen sie nun in einer Situation völliger Unsicherheit weitreichende Entscheidungen fällen. Zum einen liegt das an der Virusmutation, von der man zwar weiß, dass sie in Nordrhein-Westfalen angekommen ist – aber das Ausmaß ihrer Verbreitung ist weitgehend unbekannt. Zudem werden sich die Zahlen der Gesundheitsämter erst Anfang kommender Woche normalisiert haben.
Doch es gibt Indizien, die für eine angespannte Situation sprechen. Allein die ungebrochen hohe Zahl an Toten, die täglich verkündet wird, zeigt, dass die mahnenden Rufe der Kanzlerin ihre Berechtigung hatten. Was nun einsetzt, ist allerdings ein Überbietungswettbewerb an Abriegelungsvorschlägen. Dass der Bund nun den Grenzübertritt für all jene Länder verschärft, in denen das mutierte Virus wütet, ist nachvollziehbar. Das darf allerdings nicht dazu führen, dass eine Forderung nach Grenzschließungen zu unseren direkten Nachbarländern aus der Mottenkiste geholt wird. Das gab es während des ersten Lockdowns in mehreren anderen Bundesländern.
Der eine oder andere mag damals müde gelächelt haben, als der frühere Europa-Abgeordnete Armin Laschet sich gegen eine solche Regelung wehrte. Doch die Einstellung war und ist richtig. Natürlich sollte niemand derzeit zum Shoppen in die Niederlande oder nach Belgien fahren. Aber der Grenzverkehr etwa für medizinisches Personal, das im Nachbarland lebt, ist in der jetzigen Phase überlebenswichtiger denn je. Und auch für die Versorgung mit Produkten des täglichen Bedarfs benötigen wir offene Grenzen.