Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Fertigmach­en zum Umsteigen

Die Digitalisi­erung, das autonome Fahren und die Elektrifiz­ierung treiben die Verkehrswe­nde voran. Im Mittelpunk­t stehen die Kommunen – doch die sind häufig überforder­t. Und nun?

- VON FLORIAN RINKE

In den Städten fehle Wohnraum, heißt es oft. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. In der Regel fehlt ja nicht nur eine Unterbring­ung für Menschen, sondern auch für deren Fahrzeuge. 41 Stunden suchen Autofahrer pro Jahr im Schnitt nach einem Parkplatz, zeigte vor knapp zwei Jahren eine Auswertung des Verkehrsan­alysten Intrix. Das Problem verstopfte­r Innenstädt­e ist nicht nur auf DHL-, Hermes- und UPS-Fahrer zurückzufü­hren, sondern auch auf alle, die auf der Suche nach einem Parkplatz Extrarunde um Extrarunde drehen.

Aber wie lange noch? Die Mobilität wandelt sich rasant. Irgendwann brauchen die Menschen in der Stadt vielleicht gar kein eigenes Auto mehr. Stattdesse­n drehen autonom fahrende Fahrzeuge ihre Runden, nehmen Fahrgäste auf und setzen sie ab, natürlich emissionsf­rei. Bislang ist das nur eine Vision, doch drei große Trends deuten darauf hin, dass wir uns gerade auf der Schwelle zur nächsten Stufe der Mobilität befinden: Die Digitalisi­erung, das autonome Fahren und die Elektrifiz­ierung treiben diese Wende voran. Das gilt für den Logistikbe­reich, aber auch für den Individual­verkehr.

Zur Digitalisi­erung: Das Smartphone ermöglicht es Menschen, permanent auf das Internet zuzugreife­n. So entstanden Fahrdienst­anbieter wie Uber, Lyft, Mytaxi oder Moia, über deren Apps man sich eine Beförderun­gsmöglichk­eit bestellen kann. So entstand Share Now, durch Zusammenle­gung der Carsharing-Angebote von Daimler und BMW. Dank Smartphone ist kein physischer Schlüssel mehr nötig, um die Autos aufzuschli­eßen. Dadurch können sie überall abgestellt und überall gebucht werden.

Trotz alledem steht die Entwicklun­g ganz am Anfang. Denn das Auto ist ja längst nicht die einzige Beförderun­gsmöglichk­eit. In der Gründersze­ne wetteifern Start-ups um den Markt für Elektro-Tretroller, auch Leihfahrrä­der oder Elektrorol­ler wie das Düsseldor

fer Angebot Eddy sind schon vielerorts im Stadtbild zu sehen. Akteure wie der Fernbusanb­ieter Flixbus versuchen parallel, auch für weitere Strecken eine Alternativ­e zu Pkw und Bahn aufzubauen, Start-ups wie Volocopter oder Lilium Aviation sowie Flugzeughe­rsteller wie Airbus arbeiten an Flugtaxis – überall wird nach neuen Lösungen gesucht, zu Land, zu Wasser und in der Luft.

Das ist auch nötig, denn die Umweltbela­stung durch den Individual­verkehr ist enorm. Erst dieseWoche mahnte daher dieWissens­chaftsakad­emie Leopoldina eineVerkeh­rswende an, bei der insbesonde­re der öffentlich­e Nahverkehr ausgebaut werden sollte. Selbst der Deutschlan­d-Chef von Uber, Christoph Weigler, hat gesagt: „Der öffentlich­e Personenna­hverkehr bleibt das Rückgrat der Mobilitäts­wende, kein anderes System ist so effizient, um Menschen durch die Stadt zu bringen.“

Für den ÖPNV sind häufig die Kommunen zuständig – ebenso wie für die Vergabe von Taxi- oder Mietwagenl­izenzen. Ihnen kommt bei der Mobilitäts­wende daher die zentrale Rolle zu. Bislang scheinen sie aber mit denVerkehr­sproblemen häufig überforder­t. Das liegt auch daran, dass viele Dienste noch Nischenang­ebote sind. Das wichtigste Beförderun­gsmittel ist in Deutschlan­d immer noch das Privatauto. 47 Millionen Pkw gibt es laut Kraftfahrt­bundesamt; rechnet man Transporte­r und andere Fahrzeuge hinzu, kommen auf 1000 Einwohner 692 Kfz – von denen viele allerdings den größten Teil des Tages ungenutzt herumstehe­n. Der ökologisch orientiert­e Verkehrscl­ub Deutschlan­d hat die Kosten für einen VW Golf bei einer Fahrleistu­ng von 12.000 Kilometern auf 6000 Euro pro Jahr beziffert: Versicheru­ng, Sprit, Wartung und Wertverlus­t.

Viele Menschen sind jedoch auf den privaten Pkw angewiesen – um zur Arbeit zu pendeln, die Kinder zum Sport zu fahren oder die Einkäufe zu erledigen. Diese Abhängigke­it könnte die Digitalisi­erung aufbrechen. Denn viele Menschen benötigen im Grunde kein eigenes Auto, sondern die Gewissheit, dass ein ihren Bedürfniss­en entspreche­ndes Mobilitäts­angebot zu einem bestimmten Zeitpunkt bereitsteh­t. Dafür ist der Besitz derzeit meist noch eine Notwendigk­eit, doch genau das wollen Anbieter ändern.

Netflix und Spotify machen vor, dass man Filme und Musik nicht mehr physisch besitzen muss, um sie jederzeit konsumiere­n zu können. Warum, so argumentie­ren Start-up-Gründer und Automobil-Manager, sollte so etwas nicht auch bei der Mobilität möglich sein? Share Now oder Volkswagen­s Shuttle-Angebot Moia, das bereits in Hannover oder Hamburg aktiv ist, zeigen, dass sich auch die Autoherste­ller bereits mit dem Szenario auseinande­rsetzen, irgendwann vielleicht weniger Fahrzeuge zu verkaufen.

Die Entwicklun­g geht einher mit dem zweiten Trend, dem autonomen Fahren. Elmar Degenhart, Chef des Automobilz­ulieferers Continenta­l, hat vorgerechn­et, dass momentan weltweit im Schnitt zwei Sensoren pro Fahrzeug verbaut werden. In Zukunft würden es 20 sein: „Unfälle gehören damit derVergang­enheit an.“Mehr als 3200 Menschen sterben allein in Deutschlan­d jedes Jahr im Straßenver­kehr – der Großteil, weil ein Mensch einen Fehler gemacht hat. Die Zahlen sind in den vergangene­n 70 Jahren deutlich gesunken, obwohl der Verkehr massiv zunahm. Innovation­en in der Autoindust­rie haben die Fahrzeuge immer sicherer gemacht. Gab es früher den Gurt und einen Airbag, helfen heute Notbrems-, Spurhalte- und andere technische Assistente­n.

Experten sprechen von unterschie­dlichen Stufen beim autonomen Fahren, fünf gibt es insgesamt. Auf der höchsten Stufe muss der Mensch nichts mehr machen; das Auto fährt und parkt komplett von allein. Überall auf derWelt werden solche Szenarien getestet, Auto-Konzerne mischen auf diesem Feld genauso mit wie das Google-Schwesteru­nternehmen Waymo. Bis sie Alltag werden, wird es allerdings noch einige Jahre dauern.

Der Umbruch, so viel lässt sich schon sagen, wird auch regional unterschie­dlich verlaufen. Denn die Lebenswelt­en von Menschen in der Stadt und jenen, die in eher ländlichen Regionen leben, werden weiter auseinande­rdriften. Neu ist dieses Phänomen nicht – auch U-Bahn-Netze wurden nicht in jedem Dorf gebaut, auch die Öffentlich­en vernachläs­sigen Teile des Landes, in denen sich Menschen etwa mit Bürgerbuss­en helfen müssen.Während in Städten also immer weniger Menschen einen Pkw brauchen werden, könnten viele Menschen auf dem Land noch lange Zeit auf das eigene Fahrzeug angewiesen sein – im Zweifel auch mit Verbrennun­gsmotor.

Denn auch beim dritten Trend der Mobilität, der Elektrifiz­ierung, gibt es ein Stadt-Land-Gefälle. Viele Großstädte, das zeigen die Diskussion­en um Diesel-Fahrverbot­e, kämpfen schon jetzt mit schlechter Luft. Hauptgrund ist der Individual­verkehr. Elektroaut­os können diese Probleme lindern. Wie die günstiger werdende Elektrizit­ät die Kohleöfen aus den Arbeiterwo­hnungen verschwind­en ließ, können Elektroaut­os lokal zu besserer Luft beitragen. Wie gut die Umweltbila­nz der Fahrzeuge ausfällt, wird auch davon abhängen, mit welchem Strom-Mix ihre Batterien geladen werden.

Experten wie der Aachener Professor Günther Schuh, der mit dem Elektroaut­o E-Go gerade ein eigenes Angebot für Stadtregio­nen entwickelt, halten die absolute Fokussieru­ng auf Elektromob­ilität aber für den falschen Weg. Ein Verbot des Verbrennun­gsmotors, hat Schuh gesagt, würde eher die Pferdezuch­t anheizen. Zumindest mittelfris­tig wird es aus seiner Sicht verschiede­ne Antriebsar­ten parallel geben müssen.

Die Elektromob­ilität dürfte dabei speziell in städtische­n Regionen, wo vor allem kurze Strecken zurückzule­gen sind, gerade in Kombinatio­n mit Mobilitäts­plattforme­n, also etwa Carsharing-Angeboten, deutlich schneller Wirkung entfalten als auf dem Land. Dort dürften auch Angebote wie Uber die Ausnahme bleiben. Auf dem Land gibt es also noch Hoffnung für das Privatauto – und auch genügend Parkraum.

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