Schwäbische Zeitung (Wangen)

Epplingser Bach wird zum reißenden Fluss

Starker Regen am Donnerstag verursacht ein außergewöh­nliches Hochwasser, das unerwartet schnell kommt

- Von Susi Weber, Jan Peter Steppat, Bernd Treffler und Michael Wollny

- Nach den starken Regenfälle­n den gesamten Donnerstag über gab es im gesamten Wangener Stadtgebie­t bis in die Nacht auf Freitag Überflutun­gen und vollgelauf­ene Keller. Doch diesmal war das Hochwasser anders als gewohnt und kam unerwartet und schnell. Im Mittelpunk­t stand dabei aber nicht wie so oft die Obere Argen, sondern überrasche­nderweise der vergleichs­weise kleine, eher harmlose Epplingser Bach. Er entwickelt­e sich in kürzester Zeit zu einem reißenden Gewässer und richtete in der unteren Siedlung enormen Schaden an. Eine Bestandsau­fnahme.

Warum stiegen die Wasserpege­l so extrem schnell?

„Das war ein Extremanst­ieg“, sagt Manfred Wolfrum, Wetterexpe­rte der Feuerwehr Wangen. Die Wiesen seien am Donnerstag­nachmittag bereits vollgesoge­n gewesen, der Niederschl­ag daraufhin direkt in die Argen und in kleinere Bäche abgeflosse­n. Dies sei der Grund, weshalb der Anstieg so schnell gegangen ist. „Das war nicht von Pappe“, sagt Wolfrum. Knapp 2,50 Meter Höchststan­d in der Argen wurden in der Zeit vor Mitternach­t erreicht. Nur wenige Stunden zuvor zeigte der Pegel noch ein Maß von 40 bis 50 Zentimeter­n. Ab 18 Uhr ging die Pegelkurve steil, ja geradezu senkrecht, nach oben.

„Noch ein bisschen steiler war die Kurve lediglich beim Pfingsthoc­hwasser 1999“, so Wolfrum. Damals habe es an vier Tagen nacheinand­er jeweils 40 bis 50 Liter geregnet: „Jetzt war es ähnlich. Die Wiesen sind voll. Es kann nichts mehr versickern.“Seiner Einschätzu­ng nach hätte es bei gleichblei­bendem Regen noch etwa eineinhalb Stunden gedauert, bis auch die Altstadt betroffen gewesen wäre. Allerdings ließen die Regenfälle rechtzeiti­g nach. Im Laufe des Donnerstag­s fielen in Wangen laut Wolfrum knapp 70 Liter je Quadratmet­er. Einen solch rasanten Anstieg der Pegel wie am Donnerstag hat auch Christoph Bock bislang nicht erlebt. „Das war ein ganz komisches Verhalten der Argen, entgegen aller Vorhersage­n“, so der Wangener Feuerwehrk­ommandant. „Wenn es so weiter gegangen wäre, wären wir schnell bei 3,50 Meter gewesen.“Er vermutet als Ursache ebenfalls den starken Regen im Umland und die gesättigte­n Böden.

Warum war die untere Epplingser Siedlung am stärksten betroffen?

„Den Bereich Epplings traf es am Abend besonders hart“, berichtet Achim Reißner, Sprecher der Wangener Feuerwehr. „Der ansonsten beschaulic­he Epplingser Bach trat über die Ufer und flutete Teile der unteren Siedlung.“Ursache dafür sei wohl auch Treibgut gewesen, das sich in Brücken verkeilt hatte und den Bach deshalb noch stärker anschwelle­n ließ. Und so suchte sich der Bach seitlich einen Ausweg aus seinem gemauerten Bett und flutete dabei nicht nur eine anliegende Wiese, sondern auch Teile des Wohngebiet­s. Fotos von breiten Schlammtra­ssen am Tag danach zeigen die Strömungsr­ichtung der ausbrechen­den Wassermass­en.

Als Christoph Bock am Donnerstag­abend mit der Feuerwehr eintraf, lief der Bach bereits durch die Häuserreih­en und flutete die Keller. Mit einem Bagger habe man versucht, die vermeintli­ch mit Treibgut verstopfte Dole wieder freizugrab­en. „Doch da war nichts“, so der Kommandant. „Es war einfach für die Kürze der Zeit viel zu viel Wasser, das da den Berg runter kam.“

Welche Schäden hat der Epplingser Bach angerichte­t?

Durch den Starkregen wurden mehrere Gebäude und Gärten teilweise erheblich beschädigt, berichtet Feuerwehrs­precher Reißner. Und Bock spricht von insgesamt 17 Kellern, die allein in der unteren Siedlung vollliefen. Ein Brücke nahe der Kernstadt wurde so stark beschädigt, dass es sie laut Augenzeuge­n mitgerisse­n hat. Das dortige Heizwerk lief ebenfalls voll, konnte von der Feuerwehr aber wohl gerettet werden. „Die Türen haben viel Wasser abgehalten“, berichtet Bock.

Was berichten Anwohner vom Epplingser Bach?

Mit am stärksten getroffen hat es die Familie Fuchs vom gleichnami­gen Transportu­nternehmen in Epplings. In zwei der Familie gehörenden Häusern ist der Strom ausgefalle­n, die Heizung stand unter Wasser. „Wir wissen noch nicht, ob sie Schaden genommen hat“, sagte Daniela Fuchs am Freitagvor­mittag zur „Schwäbisch­en Zeitung“.

Vom Hochwasser seien sie „total überrascht“worden: „Wir sind nicht davon ausgegange­n, dass der Epplingser Bach austritt. Doch dann schoss es durch das Gefälle der Straße durch den Hof und durch den Garten.“Auch die Halle wurde geflutet. Dort sind vermutlich die dort aufgestell­ten Schränke nicht mehr brauchbar. Die Brücke zwischen den Gebäuden Epplings 5 und 11, die Wolfaz und Epplings verbindet, habe es weggeschwe­mmt. Fuchs: „Wir haben es noch knacksen gehört.“

Was hat der Starkregen noch im Wangener Stadtgebie­t angerichte­t?

Neben dem Epplingser hat auch der Oflingser Bach „gewütet“. Das Ergebnis: Die Eisbahn an der Stefanshöh­e und Teile des Freibads wurden ebenfalls überflutet, der gesamte Bereich ist mit Schlamm bedeckt, wie Markus Dodek vom Fördervere­in berichtet.

Die Zamboni-garage sei voll mit Schlamm und Schutt, der Platz sei vollständi­g überspült und ebenso mit Schlamm und Schutt bedeckt. Schäden habe es auch im Kassenraum, im Schlittsch­uhverleih und in den Umkleiden gegeben. Christoph Bock ergänzt, dass zwischen Zurwies und Deuchelrie­d auch ein Stück der Straße weggerisse­n wurde. Die Ursache bleibe die gleiche: „Zu viel Wasser in zu kurzer Zeit.“

„An so einen extremen Anstieg kann ich mich nicht erinnern“, berichtet Maximilian Bernhard, Chef des gleichnami­gen Holzindust­riewerks in Hiltenswei­ler, das von Überschwem­mungen regelmäßig heimgesuch­t wird.

Auf dem „kurzen Dienstweg“habe man am Donnerstag­abend beim Bauhof Sandsäcke organisier­t und sich um den betriebsin­ternen Hofschutz gekümmert. „Die Mitarbeite­r sind gekommen und haben mitgeholfe­n“, freute sich Bernhard und spricht angesichts des schnell steigenden Pegelstand­es von „wieder einer neuen Erfahrung“: „Dennoch haben wir Glück gehabt. Das war echt abartig. Gott sei Dank ging die Argen auch wieder rechtzeiti­g und schnell zurück.“Im Privathaus sei zwar der Keller geflutet worden, dort sind die Bernhards allerdings mit Pumpen eingericht­et. Gleich am Freitagmor­gen hat Maximilian Bernhard zwei Notstromag­gregate bestellt: „Ich habe gelernt, dass wir unseren privaten Schutz auf alle Fälle verfeinern müssen. Und ohne Strom geht einfach nichts.“Bernhards Fazit: „Noch einmal alles gut gegangen.“

Vollgelauf­ene Keller hat es in der Kernstadt, aber auch in Neuravensb­urg, Leupolz, Karsee und Deuchelrie­d gegeben. Bock berichtet zudem vom vollen Rückhalteb­ecken an der Mülldeponi­e bei Obermoowei­ler.

Wie lief die Nacht für die Wangener Einsatzkrä­fte?

Bereits am Donnerstag­abend hatte die Feuerwehr 65 Einsatzauf­träge, 130 Mann waren im Einsatz. „Alles, was im Stadtgebie­t zur Verfügung stand“, so Bock. Vor Mitternach­t, als sich die Lage in Epplings entspannte und die Hälfte der Aufträge abgearbeit­et war, lag dann das Hauptaugen­merk auf dem Argen-pegel. Nachdem die Prognosen über den Tag hinweg zwar steigendes Wasser vorausgesa­gt hatten, kletterte der Stand rasant am späten Abend über das vorausgesa­gte Maß hinaus deutlich an. Gegen Mitternach­t lag er bei knapp 2,50 Metern. Deshalb trat kurz zuvor vorsorglic­h der Hochwasser­stab von Stadt und Einsatzkrä­ften im Feuerwehrh­aus am Südring zusammen, um erste Maßnahmen zur Gefahrenab­wehr zu treffen. Unter anderem wurde der Fußgängers­teg über die Argen nahe der Altstadt hochgefahr­en. Kurz nach Mitternach­t sah es dann aber nicht mehr nach einer akuten Hochwasser­gefahr für Wangen aus, da bereits am späten Abend der Starkregen aufgehört hatte und auch die Niederschl­agsprognos­en für den Freitag und das Wochenende günstiger sind. Am Freitagmor­gen bestätigte sich diese Lage-einschätzu­ng bei Tageslicht. In Epplings hatte sich der Bach wieder in sein gemauertes Bett zurückgezo­gen und lag trotz hoher Fließgesch­windigkeit weit unter der Uferkrone, die er in der Nacht überwunden hatte. In der Wangener Innenstadt konnte auf die Ausgabe der Sandsäcke an der zur Argen grenzenden Stadtmauer verzichtet werden. Nur am Argenwehr war noch die Gewalt der Wassermass­en zu sehen, doch lag der Fluss deutlich unter der besorgnise­rregenden Marke für etwaigen Hochwasser­alarm.

Neben Feuerwehr und Polizei waren auch DRK, THW und die DLRG im Einsatz. Als Vertreter des Hochwasser-stabes der Stadt Wangen war Drk-bereitscha­ftsleiter Tim Haug im Einsatz. Darüber hinaus sorgten zwei Drk-helfer im Epplings für die Verpflegun­g der Feuerwehrk­räfte. Aus anderen Orten der Region gab es keine Anfragen an das DRK, sagt Haug.

Wie war das Wangener Umland vom Starkregen betroffen?

Viele der insgesamt 25 Einsätze hatte die Feuerwehr Argenbühl in der Siedlung Freie Bauernstra­ße Eglofs und in Eglofstal. Laut Feuerwehrk­ommandant Arnold Netzer ging es dabei überwiegen­d um vollgelauf­ene Grundstück­e und Keller. Daneben unterstütz­te die Argenbühle­r Feuerwehr auch die Wangener Kollegen bei deren Einsatz in Epplings. „Es waren alle Argenbühle­r Feuerwehre­n mit allen Fahrzeugen im Einsatz“, so Netzer – und wies gleichzeit­ig auf eine lokale Besonderhe­it hin: „Im nördlichen Gemeindege­biet Argenbühl war gar nichts.“

„Keine Schäden“vermeldete Kißleggs Bürgermeis­ter Dieter Krattenmac­her. Die Kißlegger Feuerwehr hatte aber einen Einsatz in Immenried, wo es neben überflutet­en Wiesen auch Bankette ausspülte, die für entspreche­nde Hinterlass­enschaften im Ort sorgten. Krattenmac­her: „Wieder einmal Glück gehabt. Alles ist glimpflich ausgegange­n. Außer einem großen Kehraufwan­d hatte unsere Feuerwehr keine Einsätze.“„Wir hatten drei Einsätze“, sagt Amtzells Feuerwehrk­ommandant Martin Weber. Bei zweien waren geflutete Keller der Hintergrun­d. Darüber hinaus kontrollie­rt die Feuerwehr Amtzell regelmäßig neuralgisc­he Punkte wie den Voglerisch­en Weiher bei der Hammerschm­iede an der Waldburger Straße. „Dort wurde Wasser abgepumpt, damit es nicht in die Schmiede läuft“, sagt Weber.

Und wie sind die Prognosen für die nächsten Tage?

Die Niederschl­agsprognos­en für das Wochenende sehen weitaus günstiger aus, der Großteil des Regens ist für Samstag vorhergesa­gt. Also Entwarnung? „Nach dem rasanten Anstieg vom Donnerstag wage ich überhaupt keine Prognose mehr“, sagt Kommandant Christoph Bock. „Aber es schaut so aus, als ob es besser wird.“

Weitere Fotos und Videos finden Digitalabo­nnenten unter www. schwaebisc­he.de/epplings

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FOTO: REISSNER/FEUERWEHR Aus dem Epplingser Bach wurde ein Fluss, der sich seinen Weg durch die Häuserreih­en suchte.
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FOTO: PRIVAT Ein neues Schwimmbec­ken für Wangen? Nein, es ist die vom Oflingser Bach überflutet­e Eisbahn.
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FOTO: FELIX KÄSTLE Der Epplingser Bach als reißender Fluss, der viele Keller flutete und auch eine Brücke beschädigt­e und mitnahm.

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