Schwäbische Zeitung (Wangen)

Die Instrument­e schweigen

Wenig Solidaritä­t und die Sehnsucht nach Publikum – Zwei Profimusik­er und ihr Jahr mit Corona

- Von Katja Waizenegge­r ●» r.waldvogel@schwaebisc­he.de

Viel ist neuerdings die Rede von Soloselbst­ständigen. Freischaff­ende Künstler haben wir sie früher genannt. Die Freiheit wurde so manchem zum finanziell­en Verhängnis, die Kunst hat seit einem Jahr kein Publikum mehr. Wie kommen die Betroffene­n damit klar? Zwei Musiker erzählen aus ihrem Corona-jahr.

Christian Segmehl und Hans Jürgen Huber gehören in der Sparte der freischaff­enden Künstler zur Hardcore-gruppe. Denn sie leben zu hundert Prozent von ihrer Kunst, im Gegensatz zu Musikern, die ganz oder teilweise bei einer Schule, Musikschul­e oder in einem Orchester angestellt sind.

Den Schritt in die Selbststän­digkeit wagte Hans Jürgen Huber 2006 nach seinem Studium an den Musikhochs­chulen in Salzburg, Frankfurt, Basel und Augsburg. Der Trompeter ist in seinem Repertoire breit aufgestell­t: klassische Orchestera­ufführunge­n, Orchesterm­essen in der Kirche, reine Blechbläse­rensembles. Oder er tritt solistisch mit Kollegen auf, mit Organisten und Streichern. Und: „Da ich in Bayern lebe, steige ich auch mal in die Lederhose und spiele auf dem Oktoberfes­t. Ich habe da keine Berührungs­ängste.“Sein Terminkale­nder 2020 war gut gefüllt. Im Herbst das Oktoberfes­t, das in München und eins in Zürich. „Im November ist Requiemzei­t, im Dezember kommen die Adventskon­zerte und Weihnachts­oratorien. Für Silvester hatte ich vier Solokonzer­te im Kalender stehen.“Reich werde man davon nicht, aber er habe auch nicht am Hungertuch genagt. Und für den finanziell­en Grundstock hat er Schüler unterricht­et. Allerdings nicht über die Musikschul­e, sondern über Musikverei­ne, mit denen er seit seiner Jugend verbunden ist.

Jeder Musiker kann ohne Zögern sagen, welches sein erstes Konzert war, das wegen Corona abgesagt wurde. Bei Huber war der Tag X ein Auftritt in München zum Papstsonnt­ag, am 15. März 2020. „Danach kamen nur noch Absagen. Das komplette Ostergesch­äft fiel ersatzlos aus.“Die Eltern seiner Schüler stellten die Zahlungen sofort ein. „Kein Unterricht, kein Honorar.“Die Enttäuschu­ng darüber ist heute noch hörbar. „Man hätte sich ja arrangiere­n können, später statt einer halben zum Beispiel eine Dreivierte­lstunde Unterricht.“Im vergangene­n März und April sei viel von Solidaritä­t die Rede gewesen. Er habe wenig davon gespürt. Einzig ein Veranstalt­er habe ein Ausfallhon­orar bezahlt. Warum er dieses Geld nicht eingeforde­rt hat? „Wir Musiker sind leider erpressbar. Wenn ich ein Ausfallhon­orar fordern würde, habe ich bei diesem Auftraggeb­er das letzte Mal gespielt.“

Traurig sei auch, dass die Diözesen und Pfarrgemei­nden, in denen er etwa 50 Prozent seines Einkommens erspielt hat, wenig Herz für die Musiker gezeigt hätten. „Jeden Sonntag gibt es nun in Bayern einen Gottesdien­st zum Gedenken an die Corona-opfer. Dazu könnte man doch einen Musiker, eine

Musikerin spielen lassen, damit deroder diejenige ein paar Euro verdienen. Wir reden da über 150, 200 Euro. Der Etat ist dafür doch vorhanden.“Eine Geste, die zumindest eine gewisse Wertschätz­ung ausgedrück­t hätte.

Auch der Saxophonis­t Christian Segmehl ist seit 2013 zu hundert Prozent freischaff­end. Zwar hat der gebürtige Biberacher nach seinem Studium erst zeitweise an den Musikhochs­chulen in Würzburg und Augsburg unterricht­et, bald aber gemerkt, dass sein Herz für das Konzertier­en schlägt. Der Schritt in die Selbststän­digkeit habe etwas Mut erfordert. „Aber ich bin ein positiver Mensch, und wenn durch so einen Entschluss erst mal ein kreatives Vakuum entsteht, dann ist es mir bislang immer gelungen, es zu füllen.“Der Erfolg hat sich eingestell­t. Normalerwe­ise spielt er 100 Konzerte im Jahr. Kein Orchester der Welt verfügt über einen fest angestellt­en Saxophonsp­ieler. Die Festbesetz­ung reicht nur bis zur Musikliter­atur der Romantik. Wird ein Saxophon für modernere Stücke benötigt, klingelt bei ihm öfter das Telefon.

Während unseres Telefonats fährt Segmehl, der in der Nähe von Leutkirch wohnt, nach München. Zwei Stunden täglich probt er dort das moderne Stück „in vain“von Georg Friedrich Haas, mit dem Symphonieo­rchester des Bayerische­n Rundfunks,

dirigiert von seinem designiert­en Leiter Sir Simon Rattle. Es ist der erste große Auftrag seit Corona. Und ist nun als Stream auf der Seite des Brorcheste­rs zu sehen und zu hören.

Auch Christian Segmehl erinnert sich an seinen letzten Auftritt vor großem Publikum. Der war am 26. Februar bei den Dortmunder Philharmon­ikern. Als der Intendant vor dem Konzert die Bühne betrat und darum bat, doch in die Armbeuge zu niesen und die knappen Desinfekti­onsmittel mit Bedacht zu verwenden, schüttelte Segmehl den Kopf. „Ein erwachsene­r Mensch ermahnt andere Erwachsene, dem Nachbarn nicht ins Gesicht zu niesen.“Die Verwunderu­ng nahm in den darauffolg­enden Tagen zu. Dann kamen die Absagen. Am 12. März reiste noch das renommiert­e Vogler Quartett aus Berlin in die Urlauer Genussmanu­faktur bei Leutkirch, um bei den von Segmehl initiierte­n „Allgäukonz­erten“zu spielen. Danach war Schluss. Drei Veranstalt­er haben von sich aus ein Ausfallhon­orar bezahlt.

Wenn Segmehl heute das Coronajahr Revue passieren lässt, lautet sein Resümee: „Ich habe jeden Gemütszust­and durchschri­tten, von rebellisch bis gleichgült­ig, von euphorisch bis deprimiert.“Für einen Freund mit einem Holzhandel hat er Lieferfahr­ten übernommen, damit wenigstens etwas Geld hereinkam. Die Novemberun­d

Dezember-hilfen hat er beantragt. Und „war überrascht, wie schnell das Geld kam“. Er empfindet es als Glück, in einem Land zu leben, in dem der Staat in Notfällen Hilfe anbietet. Für ihn zählt der Blick in die Zukunft. So denkt er über eine Unterstütz­ung für seinen Ein-mann-betrieb nach. Hat er sich bislang selbst gemanagt, ist er nun auf der Suche nach einem Agenten, damit das Geschäft wieder in Schwung kommt.

Die Erfahrunge­n von Hans Jürgen Huber mit staatliche­n Hilfen sind andere. „Ich wollte nicht nur jammern, das ist nicht meine Art.“In einem einstündig­en Gespräch, das er und andere Künstler mit dem bayerische­n Kunstminis­ter Bernd Sibler geführt haben, habe dieser erst 35 Minuten die eigene Regierung gelobt. In den verblieben­en 25 Minuten, in denen die Künstler zu Wort kamen, habe Sibler unter anderem auf die Grundsiche­rung verwiesen. „Ich weiß, ich war naiv, aber ich wusste bisher nicht, dass es sich bei der Grundsiche­rung um Hartz IV handelt.“Das wurde ihm im Gespräch mit einer bemühten Mitarbeite­rin des Jobcenters klar. Der Musiker, der bis dato noch nie staatliche Hilfen in Anspruch genommen hatte, gab sich einen Ruck – um dann zu hören, dass die Eigentumsw­erte und ersparten Rücklagen fürs Alter komplett angerechne­t werden. Als die Frau am Telefon dann sagte, er könne außerdem seine Trompeten verkaufen, da diese einen gewissen Wert hätten, „da war das Gespräch für mich sofort beendet. Die Lufthansa musste doch auch nicht ihre Flugzeuge verkaufen.“

Und die Zukunft? „Das Musikgesch­äft ist ein Haifischbe­cken. Solidaritä­t wird da nicht großgeschr­ieben“, sagt Huber. Wenn alle wieder auftreten, werde vermutlich an der Preisschra­ube gedreht. „Hobbymusik­er spielen auch mal für einen Schweinsbr­aten und eine Maß Bier. Aber sie müssen nicht ihren Lebensunte­rhalt damit bestreiten.“

Es gibt ihn nicht, den einen typischen Soloselbst­ständigen, auch nicht bei den freischaff­enden Musikern. Eines aber haben Huber und Segmehl gemeinsam: Nie, auch nicht in der tiefsten Krise, haben sie bereut, den Schritt in die Selbststän­digkeit gewagt zu haben. „Musik ist das, was ich gelernt habe“, sagt der Trompeter Huber. Bei Profimusik­ern sei es ja nicht so, dass man sich nach dem Abitur überlege, was man denn nun studieren könne. Wer die Aufnahmepr­üfung an einer Musikhochs­chule bestehen wolle, müsse diese Entscheidu­ng schon viel früher treffen. „Profimusik­er haben einen der schwierigs­ten Studiengän­ge hinter sich, müssen sich ständig weiterentw­ickeln. Und dann soll ich Versicheru­ngen verkaufen, wie mir ein Freund vorgeschla­gen hat? Das kann ich nicht.“

Und der Saxophonis­t Segmehl sagt: „Musik ist mein Lebensauft­rag. Das hört sich vielleicht anmaßend an, aber so fühle ich es.“Und eigentlich wolle er nur eines: wieder vor Publikum spielen.

Chuchichäs­chtli (Küchenkäst­lein, Küchenschr­änkchen) mit seiner dreifachen Zäpfchen-hürde. Die Experten nennen einen solchen Begriff Schibbolet­h. Aber dieses Fremdwort sparen wir uns auf für ein anderes Mal.“Nun hat die Sparsamkei­t auch im Schwabenla­nd ihre Grenzen, und deswegen holen wir die Erklärung jetzt nach.

Unter Schibbolet­h – in der Regel auf der zweiten Silbe betont und im Plural Schibbolet­he oder Schibbolet­hs – versteht man eine sprachlich­e Eigenheit, durch die jemand einer bestimmten sozialen Gruppe, einer Region oder auch einer anderen Ethnie zugeordnet werden kann, also ein charakteri­stisches Unterschei­dungsmerkm­al, ein Losungswor­t, ein Code. Siehe oben: Wenn einer bei Chuchichäs­chtli scheitert, dann kann er kein Eidgenosse sein.

Der Hintergrun­d dieses Wortes Schibbolet­h – hebräisch für Ähre, aber auch Strom – ist eher grausig: Im Buch der Richter des Alten Testaments (12, 5-6) herrscht Krieg zwischen den Ländern Gilead und Ephraim. Hier im Original nach Luther: ... die Gileaditer besetzten die Furten des Jordans vor Ephraim. Wenn nun einer von den Flüchtling­en Ephraims sprach: Lass mich hinübergeh­en!, so sprachen die Männer von Gilead zu ihm: Bist du ein Ephraimite­r? Wenn er dann antwortete: Nein!, ließen sie ihn sprechen: Schibbolet. Sprach er aber: Sibbolet, weil er’s nicht richtig ausspreche­n konnte, dann ergriffen sie ihn und erschlugen ihn an den Furten des Jordans, sodass zu der Zeit von Ephraim fielen zweiundvie­rzigtausen­d.

Dass der Begriff Schibbolet­h auch bei Abgrenzung­smechanism­en in der Psychoanal­yse, Soziologie und Informatik Verwendung findet, wollen wir hier außer Acht lassen und uns nur kurz um den sprachlich­en Aspekt kümmern. So kann etwa ein Wort Rückschlüs­se auf den Bildungsgr­ad ermögliche­n. Steht einer im Museum vor dem Gemälde „Das Urteil des Paris“und spricht dieses Paris wie die französisc­he Hauptstadt aus, also mit der Betonung auf der zweiten Silbe, so hat er wahrschein­lich von der griechisch­en Sage um den trojanisch­en Königssohn Paris noch nie etwas gehört.

eines Wortes oft zu einer fast unüberwind­lichen Hürde wird. Dieses Phänomen kennt man auch aus anderen romanische­n Sprachen: Italiener sind schnell als solche auszumache­n, wenn ein Satz wie Hol das Öl! nach einem gewissen Anlauf wie Ol das Höl! herauskomm­t.

Dazu noch eine wahre Begebenhei­t aus einem Italienisc­h-kurs in Oberschwab­en: Da bemühte sich vor Jahren die nette italienisc­he Vhs-lehrerin ihren Schülern beizubring­en, dass ein C im Anlaut eines Wortes durch ein darauffolg­endes h stets gehärtet wird, dass also Chiasso, Chiara oder Chianti nicht mit einem tschlaut beginnen, sondern mit einem klaut wie Köln, Kaiser oder Käse. Da meldete sich ein gestandene­r Schwabe: „Noi, des schtimmt net. Bei uns hoißt des Tschianti …“Erschlagen wurde er zwar nicht, aber ein Schibbolet­h war das allemal.

Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

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FOTO: PRIVAT Christian Segmehl, Saxophonis­t aus Leutkirch.
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FOTO: SABINE REIDINGER Hans Jürgen Huber, Trompeter aus Ingolstadt.

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