Corona heizt Streit um Prostitution neu an
Während Bordellbetreiber auf schnelle Wiedereröffnung drängen, fordern Politiker ein endgültiges Sexkaufverbot
BERLIN - Die Situation in der Sexarbeitsbranche sei „katastrophal“, sagt Susanne Bleier-Wilp vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BESD). Seit Mitte März ist Prostitution in Deutschland coronabedingt verboten. Während Branchenvertreter wie Bleier-Wilp auf eine schnelle Lockerung des Verbots drängen, will eine Gruppe von 16 Bundestagsabgeordneten das glatte Gegenteil: Nämlich ein über Corona hinausgehendes generelles Sexkaufverbot für Deutschland. Auch diese halten die Situation in der Rotlichtszene für „katastrophal“. Doch aus ganz anderen Gründen.
In einem Brief an die für mögliche Corona-Lockerungen im Sexgewerbe zuständigen Ministerpräsidenten der Länder fordern die Parlamentarier ein Prostitutionsverbot nach dem in Schweden entwickelten „nordischen Modell“. Dort ist der Kauf sexueller Dienstleistungen untersagt, bei aufgedecktem Verstoß zahlt der Freier. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier spricht sich für dieses Modell aus.
Den 2002 legalisierten deutschen Umgang mit der Prostitution hält die Politikerin für grundfalsch. Dieser führe zu Menschenhandel, unwürdigen Akkord-Sexdiensten zu Ramschpreisen und zur hunderttausendfachen Ausbeutung junger Frauen vor allem aus Südosteuropa. „Die Frauen werden gedemütigt und kaputt gemacht. Sie haben Traumata wie Folteropfer oder Holocaust-Überlebende“, sagt Breymaier. Und der Umgang vermittle auch ein falsches Bild. „Es geht mir auch um die Botschaft: Die lautet, sobald ich 20 Euro auf den Tisch lege, kann ich mit einer Frau machen, was ich will. Das kann nicht sein“, sagt die SPD-Politikerin.
Breymaier gehört mit ihrer Meinung zu einer Minderheit. Die Bundesregierung setzt weiter auf den deutschen Weg – und will Prostitution weiter erlauben. „Ein Verbot der Prostitution oder des Sexkaufs würde an der realen Situation nichts ändern, sondern lediglich den Eindruck erwecken, dass die Prostitution eingedämmt worden sei, weil Prostituierte von öffentlich zugänglichen Plätzen ferngehalten würden“, erklärt ein Sprecher von Familienministerin Franziska Giffey auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Die durch ein Verbot in die Illegalität verdrängte Sexarbeit sei für die Prostituierten möglicherweise gefährlicher.
Ähnlich argumentiert Susanne Bleier-Wilp vom BESD. Sie sieht in der Corona-Krise eine Gelegenheit für die Kritiker, die Branche aus der Öffentlichkeit zu drängen. „Die Prostitutionsgegner sehen das Sexverbot als Wunderpille, um ihre moralischen Vorstellungen durchzusetzen. Dabei zeigen zahlreiche Studien aus den Ländern, in denen das Sexverbot gilt, dass Gewalt gegen Sexarbeiterinnen zugenommen hat“, sagt Bleier-Wilp.
Sie wirft Breymaier vor, ein Zerrbild der Branche zu zeichnen. Zwar gebe es Menschenhandel und Ausbeutung. Doch die überwiegende Mehrzahl der Prostituierten arbeite freiwillig, viele auch nebenbei. Zwar gehe es darum, Geld zu verdienen. Doch dies geschehe eben meist nicht unter Zwang. Vielmehr wollten viele nun auch wieder an die Arbeit. Dies gelte besonders für Osteuropäerinnen, die nach Schließung der Bordelle ohne Arbeit, soziale Sicherung und Obdach daständen. Manche sollen bei ihren Freiern gestrandet sein. Unter anderem in Mannheim verteilen Helfer Zahnbürsten, Reis und Tampons.
Doch die beste Hilfe sei legale Arbeit, glaubt Bleier-Wilp. Und hier gebe es Möglichkeiten. Denn warum sollte eine Massage aus gesundheitlichen Gründen erlaubt, eine aus erotischen aber verboten sein? „Wir fordern, dass zumindest körpernahe Dienstleistungen wie Tantra-Massagen wieder erlaubt werden. Dazu haben wir ein entsprechendes Hygienekonzept erarbeitet“, sagt BleierWilp. In dem Konzept wird unter anderem eine Mundschutzpflicht vorgeschlagen. Am Montag bekam die Forderung Rückenwind: Ein Gericht im nordrhein-westfälischen Gelsenkirchen erlaubte einem Studio Tantra-Massagen. Der Unternehmerverband Erotikgewerbe Deutschland (UEGD), eine Lobbyorganisation der Bordellbetreiber, fordert eine schnelle Rückkehr zur „Normalität“. „Wenn die Politik untätig bleibt, begünstigt sie letztendlich Zwangprostitution und Menschenhandel“, heißt es vom UEGD.
Für die Kritiker sind BESD und UEGD ein Feigenblatt mit wenigen Mitgliedern. Die meisten Prostituierten in Deutschland sind weder Mitglied noch behördlich registriert. Nur 33 000 Sexarbeiter verfügen bislang bundesweit über den eigentlich obligatorischen „Hurenpass“, dabei wird die Gesamtzahl auf zwischen 100 000 und 400 000 geschätzt.
Für Breymaier zeigen die Zahlen, dass der deutsche Weg nicht funktioniert. Die Frauen hockten wegen Corona auf der Straße, obwohl sie eigene Wohnungen haben müssten. Und längst schüttelten Nachbarländer den Kopf über den „Puff Europas“. Die SPD-Politikerin ist sich sicher, dass dies nicht ewig so bleibt: „Wir verteidigen in Deutschland dieses irre System. Es wird aber der Tag kommen, an dem wir unseren Kindern erklären müssen, was wir zugelassen haben“, sagt sie.