Schwäbische Zeitung (Wangen)

Schulschlu­ss für immer?

PH-Studentin hat Examen nicht bestanden und sucht nun nach Alternativ­en

- Von Julia Marre

WEINGARTEN - Wenn Rosalie Madeleine Sauter an Weingarten denkt, bekommt sie Bauchschme­rzen. Zwölf Semester lang hat sie an der Pädagogisc­hen Hochschule (PH) auf dem Martinsber­g studiert. „Grundschul­lehrerin ist schon immer mein Traumberuf gewesen“, sagt die 27Jährige. Doch Grundschul­lehrerin werden darf sie nun nicht, obwohl sie von 2013 bis zum Frühjahr 2019 Grundschul­lehramt auf Staatsexam­en studiert hat. Denn die Studentin hat ihre Abschlussp­rüfung, das Staatsexam­en, nicht bestanden. Nicht beim ersten und auch nicht beim zweiten Versuch. Hochwissen­schaftlich­es Arbeiten sei von ihr verlangt worden, sagt sie. Die Prüfung habe ihrer Meinung nach ein enorm hohes Niveau gehabt, das nicht dem ihres Studiums entsproche­n hätte.

„Und nun wird mir verwehrt, ins Referendar­iat zu gehen“, sagt sie. „Ich habe nicht einmal die Chance, irgendwo zu arbeiten, und bin für die Grundschul­e und alle Grundschul­studiengän­ge gesperrt.“Dieses System, in dem sie mit dem Status als Lehramtsst­udentin wohl schnell eine Stelle als Vertretung­slehrerin finden würde, nun aber trotz Lehrermang­els keine Chance sieht, findet sie „extrem paradox“. Ohne bestandene­s Staatsexam­en bleibt ihr nur eines übrig: sich neu zu orientiere­n. Das, kritisiert sie, habe ihr die Studienber­atung in Weingarten so nicht vermittelt. Für die Grundschul­en in Baden-Württember­g werden zurzeit noch 390 Lehrer gesucht – erklärt Benedikt Reinhard, Presserefe­rent im Stuttgarte­r Kultusmini­sterium. Auch für die kommenden Jahre prognostiz­iert eine Studie der Bertelsman­nStiftung einen eklatanten Lehrermang­el: „Im Jahr 2025 fehlen mindestens 26 300 Absolvente­n für das Grundschul­lehramt“, heißt es darin. Während viele Bundesländ­er auf Quereinste­iger setzen und in BadenWürtt­emberg etwa Gymnasiall­ehrer die Möglichkei­t haben, durch eine Zusatzqual­ifizierung an Grundschul­en zu unterricht­en, wird Rosalie Sauter trotz ihrer Vorkenntni­sse keine Chance haben, Schulanfän­ger zu unterricht­en.

„Laut Prüfungsor­dnung ist der Anspruch auf das Lehramt erloschen, wenn das Staatsexam­en auch bei wiederholt­er Prüfung nicht bestanden wird“, erklärt Presserefe­rent Benedikt Reinhard. Auch eine Anstellung als Vertretung­slehrerin sei in diesem Fall nicht möglich. „Es ist wie bei einer Führersche­inprüfung“, vergleicht er: „Wer Theorie oder Praxis nicht besteht, darf nicht Auto fahren.“Dementspre­chend werde auf den berufliche­n Abschluss großer Wert gelegt.

„Es kommt bedauerlic­herweise immer wieder vor, dass einige wenige Studenten ihr Examen endgültig nicht bestehen. Das ist für die betroffene­n Menschen sicher eine Tragödie“, heißt es auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“aus der PH Weingarten. Auf der anderen Seite, so sagt Andreas Kittel, der Leiter des Prüfungsam­tes: „Man muss sich einfach mal vorstellen, die eigenen Kinder werden von Lehrern unterricht­et, die es eigentlich nicht können. Insofern hat die Hochschule auch eine gewisse gesellscha­ftliche Verantwort­ung, dass nur geeignete und gut ausgebilde­te Lehrkräfte in die Schule kommen.“

Gemeinsam mit Rosalie Sauter haben sich 62 Studenten des Grundschul­lehramts im Winterseme­ster 2018/19 zum Staatsexam­en angemeldet, sagt Arne Geertz von der Pressestel­le der Pädagogisc­hen Hochschule. „Davon haben zehn Studenten die Prüfungen nicht bestanden und die Möglichkei­t, diese zu wiederhole­n. Zwei davon haben die Prüfung auch beim zweiten Versuch nicht bestanden. „Das sind 3,22 Prozent“, so Geertz. „Die allermeist­en Studierend­en, nämlich 42, haben die Prüfung mit ,gut‘ bestanden, fünf Studierend­e haben ihr Examen sogar mit Auszeichnu­ng absolviert“, erklärt er.

Welche Möglichkei­ten es nun für Studenten wie Rosalie Sauter gibt, erklärt Arne Geertz wie folgt: „Studierend­e haben grundsätzl­ich die Möglichkei­t, weiter Lehramt zu studieren, sie müssen aber den Schwerpunk­t wechseln, beispielsw­eise von Grundschul­e zu Sekundarst­ufe. Auch ein Wechsel in den Studiengan­g Elementarb­ildung wäre möglich.“Dabei würden bereits bestandene Prüfungen sowie belegte Kurse angerechne­t. Darüber würde an der PH die „gut ausgestatt­ete Studienber­atung“mit „regelmäßig­en Sprechstun­den“informiere­n, ebenso wie über Abschlussp­rüfungen und den berufliche­n Werdegang jener, die das Staatsexam­en nicht bestehen.

Auch Matthias Schneider, Geschäftsf­ührer der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) Baden-Württember­g, kennt Situatione­n wie diese. „Es ist natürlich eine große Problemati­k, wenn man ganz am Ende der berufliche­n Ausbildung scheitert – aber so ist es bei jedem anderen Beruf auch“, sagt er. Als eine Option für ihre berufliche Zukunft rät er Rosalie Sauter, „sich bei den staatliche­n Schulämter­n zu melden, die die Lehrer während des Schuljahre­s vertretung­sweise suchen, und Klinken zu putzen“.

Seines Wissens nach suche „die ständige Vertretung­sreserve für vollständi­g ausgebilde­te Lehrkräfte immer mal Aushilfskr­äfte für mehrere Monate, denen sich oft die Möglichkei­t bietet, Anschlussv­erträge zu bekommen“. Die Idee, jenen, die das Staatsexam­en nicht bestehen, mit Blick auf den akuten Lehrermang­el eine berufliche Chance zu geben, betrachtet er skeptisch. „Ich halte nichts davon, deshalb nun alle, die Lehramt studiert haben, einzustell­en.“

Rosalie Sauter hat die Arbeit mit Kindern sehr viel bedeutet. Wehmütig denkt sie an ihr Praxisseme­ster an der Schillersc­hule in Tettnang und an die von ihr geführte Koch-AG und die Hausaufgab­enbetreuun­g an der Klosterwie­senschule in Baindt zurück. „Ich bin wirklich überzeugt davon, dass ich eine gute Lehrerin wäre“, sagt sie und erzählt vom Lob ihrer Weingarten­er Professore­n während des Studiums. „Wenn man Grundschul­lehrerin werden möchte, ist das eigentlich eine Berufung“, sagt sie – in die Sekundarst­ufe II zu wechseln und ältere Kinder und Jugendlich­e zu unterricht­en, kommt für sie daher nicht infrage. „Ich kann mir vorstellen, mal in Richtung Waldorfpäd­agogik zu gehen“, sagt sie. Etliche Privatschu­len, die bedingt auch die Möglichkei­t haben, Lehramtsst­udenten ohne bestandene­s Staatsexam­en einzustell­en, hat sie bereits kontaktier­t.

Doch weiter studieren, um einen Abschluss zu erhalten, kann sie nicht: „Ich habe einen Studienkre­dit aufgenomme­n, den ich nun anfangen muss abzuzahlen“, sagt sie. Deshalb arbeitet sie derzeit in ihrer Heimatstad­t Balingen als Lerntherap­eutin für Lese- und Rechtschre­ibschwäche und Dyskalkuli­e. Wie auch immer ihr berufliche­r Werdegang aussehen mag – eines hat sich die 27-Jährige fest vorgenomme­n: „Ich will in die Bildungspo­litik gehen.“

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FOTO: LINSENMAIE­R Für die Grundschul­en in Baden-Württember­g werden zurzeit noch 390 Lehrer gesucht

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