Schwäbische Zeitung (Wangen)

Die Sache mit der Verantwort­ung

Lars Eidinger in „All My Loving“: Episodenfi­lm mit überrasche­nden Einsichten

- Von Andrea Barthelemy

Dass man auch als Erwachsene­r seine Familie nie ganz los wird, stets Bruder oder Tochter bleibt, ist eine Binsenweis­heit. Auch der neue Film „All My Loving“von Edward Berger erzählt von den Kräften, die erwachsene Geschwiste­r auf der Suche nach Lebenssinn binden und abstoßen. In ruhigen Bildern fließen die Episoden dahin, bohren dabei zwar nicht immer erfolgreic­h in die Tiefe, aber in den Momenten, wo dies gelingt, schürfen sie Gold.

Stefan (Lars Eidinger), Julia (Nele Mueller-Stöfen) und Tobias (Hans Löw) sind alle um die 40, eigentlich bürgerlich arriviert, aber definitiv nicht glücklich und einander in freundlich­em Desinteres­se verbunden. Nur der labile Zustand der alternden Eltern zwingt sie sich zusammenzu­raufen.

Stefan ist ein Hedonist mit schnell wechselnde­n Freundinne­n, kaum älter als seine Teenagerto­chter. Nach einem Hörsturz kommt er nur schwer damit klar, dass er seinen Beruf als Pilot nicht mehr ausüben kann. Also schlüpft er weiter in seine Pilotenuni­form, um in Bars Frauen abzuschlep­pen. Familiäre Verantwort­ung? Erst mal Fehlanzeig­e. Nur den Hund seiner Schwester versorgt er für ein paar Tage, als sie zu einem langen TurinWoche­nende aufbricht, um eine schwelende Ehekrise zu heilen. Sich um Menschen kümmern, das tut vor allem Tobias – allerdings im Übermaß. Als Hausmann und Dauerstude­nt versorgt er drei kleine Kinder, während seine Karrierefr­au Geld verdient. Das nagt. Tobias fährt immer zu den Eltern, bietet Hilfe an und lässt sich vom dominanten Vater demütigen. Schließlic­h aber ist auch er es, der beim Vater ist, als dieser stirbt.

Das ist der Moment, wo sich die zuvor zusammenha­nglos wirkenden Geschwiste­rgeschicht­en zu verweben beginnen: Verletzung­en werden sichtbar, aber auch Versuche, sich ihnen zu stellen und Verantwort­ung zu übernehmen. Der überrasche­nde vierte Teil des Films markiert diesen Punkt, von dem aus alle Mitglieder dieser Familie versuchen, neu aufzubrech­en. Ob das gelingt? (dpa)

All My Loving. Regie: Edward Berger. Mit Lars Eidinger, Nele Mueller-Stöfen. Deutschlan­d 2019. 116 Minuten. FSK ab 12.

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FOTO: JENS HARANT/DPA Stefan (Lars Eidinger) wird nicht damit fertig, dass er nicht mehr als Pilot arbeiten kann. Seine Tochter Vicky (Matilda Berger) durchschau­t seine Ausweichma­növer.

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