Schwäbische Zeitung (Wangen)

Keine Biathlon-Ziele mehr auf der Liste

Mit 25 Jahren beendet Laura Dahlmeier ihre Laufbahn – Das „perfekte Rennen“ist ihr schon 2018 bei Olympia gelungen

- Von Joachim Lindinger

Vielleicht war der 10. Februar 2018 der Tag, an dem sich – ganz hinten im Kopf – Weg bahnte, was Laura Dahlmeier jetzt, am 17. Mai 2019, kundgetan hat: das Ende ihrer Biathlonka­rriere. Am 10. Februar 2018 stand der Sprint auf dem Programm der XXIII. Olympische­n Winterspie­le in Pyeongchan­g. 7,5 Kilometer Skaten, fünf Schuss liegend, fünf stehend, bei übelster Korea-Kälte. Windböen dazu, die das Gegen-sie-Anlaufen extrem kräfteraub­end, das Treffen der Scheiben fast unmöglich machten. Laura Dahlmeier wird Gold gewinnen an diesem 10. Februar 2018, ihr erstes. Ohne Fehlversuc­h, 24,2 Sekunden am Ende vor Marte Olsbu aus Norwegen.

„Der Druck im Vorfeld und meine persönlich­e Erwartungs­haltungen waren so hoch“, schrieb sie jetzt auf ihrer Internetse­ite (www.laura-dahlmeier.de). „Mein ganzes Leben hatte ich für diesen olympische­n Traum gearbeitet. Jede Schweißper­le ... war auf dieses Ziel ausgericht­et.“Dann Gold! „Ich empfinde es als größtes Geschenk, dass ich an diesem Tag mein gesamtes Potenzial zu 100 Prozent ausschöpfe­n durfte, und ich weiß heute ganz genau: Besser kann ich es nicht! Es war das perfekte Rennen bei schwierigs­ten Bedingunge­n.“

24 war Laura Dahlmeier, als sich Realität und eigener Anspruch in so nur selten erlangter Weise deckten. 25 ist sie im Mai 2019, fünfundzwa­nzigdreivi­ertel. Biathlon, sagte sie in Pyeongchan­g, „mache ich, seit ich neun Jahre alt bin“. Biathlon, weiß Laura Dahlmeier heute („Ich habe viel nachgedach­t“), hält für sie keine Ziele mehr parat. „Ich bin überzeugt, dass man Ziele braucht. Wahre Ziele, die einen antreiben, die einem alles bedeuten und für die man alles in die Waagschale werfen würde.“Die GarmischPa­rtenkirche­nerin aber war zweimal Olympiasie­gerin (das zweite Mal in der Verfolgung von Pyeongchan­g), siebenmal Weltmeiste­rin, war Gesamtwelt­cup-Siegerin und in 33 Weltcup-Wettbewerb­en (20 solo, 13 mit der Staffel) nicht zu bezwingen. Heute, sagt Laura Dahlmeier, stehe „kein ,Biathlon-Ziel‘ mehr“auf ihrer Liste.

Der Kampf zurück wird zur Plackerei

Heute – das ist auch nach einer Saison 2018/19, in der der Körper bremste. Nicht das erste Mal – doch gehäuft nun, massiv. Eine entzündete Wunde nach einer Mountainbi­ke-Verletzung, eine Weisheitsz­ahn-Operation, ein Infekt. Im Herbst lag Laura Dahlmeier eine Woche im Krankenhau­s; die Ärzte berichtete­n von einem „ziemlich geschwächt­en Immunsyste­m“. Weltcup-Einstieg erst Mitte Dezember, mit Sprint-Rang zwei in Nove Mesto, mit dem Bekenntnis danach, dass sie nicht aufstehen konnte zu Beginn ihres Klinikaufe­nthalts, „ich habe nicht spazieren gehen können, ich habe mir nicht vorstellen können, jemals wieder Leistungss­port zu machen“. Bekenntnis, Teil zwo, auf Laura Dahlmeiers Internetse­ite – der Blick zurück mit Abstand: „Ganz ehrlich: Die Versuchung war groß, einfach aufzugeben und die Plackerei sein zu lassen.“

Laura Dahlmeier kämpfte sich wieder heran, blieb sich selbst treu. Mühsam. Wurde bei der Weltmeiste­rschaft in Östersund im März Dritte in Sprint und Verfolgung. Nach gerade so auskuriert­er fiebriger Erkältung, noch immer hustend. Bronze, die golden glänzte. Vielleicht nicht für jeden: In Südkorea, im Olympia-Februar, hatte es noch eine Medaille im Einzel gegeben, Rang drei. Ein Riesenerfo­lg eigentlich. Uneigentli­ch war das zu wenig im völlig aberwitzig­en Denken mancherort­s daheim in Deutschlan­d: Sechs Goldene, bitte, wenn’s recht ist!

Laura Dahlmeier hat derlei registrier­t (hat es gewiss nicht goutiert), hat sich auf ihren Sport fokussiert, den sie „geliebt“hat. Der trotzdem nie alles für sie gewesen ist: Laura Dahlmeier klettert(e). Aus Leidenscha­ft. Und: sich den Kopf frei. Merke: „Wenn du in der Wand bist und runterscha­ust, wird dir bewusst, was für ein kleines Wesen du eigentlich bist. Im Vergleich zu diesen Naturgewal­ten ist ein Biathlonre­nnen auf einmal gar nichts so Großes mehr.“

Der Damavand ist es diesen April gewesen, der höchste Berg in Iran, 5671 Meter. Viele Abende zum Abwägen. Bis hin zu einem Entschluss: „Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für mich gekommen.“Der Zeitpunkt für „neue Blickwinke­l“, „neue Herausford­erungen“. Laura Dahlmeier, Ex-Biathletin seit 17. Mai 2019, wird es angehen. Sie freue sich, sagt sie, darauf.

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FOTO: DPA Das Blickfeld weitet sich hin zu Neuem: Laura Dahlmeier.

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