Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wann aus Deutschroc­k bedenklich­er Rechtsrock wird

Leutkirch Leuchtet: Soziologe erklärt, wie man rechte Bands erkennt und welche Botschafte­n diese vermitteln

- Von Patrick Müller

LEUTKIRCH - Im Rahmen der Aktionswoc­hen Leutkirch Leuchtet hat der Soziologe Cord Dette am Dienstagab­end im Festsaal der St. Anna Stiftung einen Vortrag zum Thema „rechte Musik“gehalten. Im Publikum saßen vor allem pädagogisc­he Fachkräfte, die mit Jugendlich­en arbeiten. Dette erklärte ihnen unter anderem, an was man rechte Bands erkennt – und warum Gruppen wie Freiwild für ihn nicht in diese Kategorie gehören.

„So gerne ich auch im Allgäu bin, könnte ich gut darauf verzichten, diesen Vortrag hier zu halten – wenn es nicht nötig wäre“, begann Dette seinen Vortrag. Leider sei es aber sehr wohl nötig. Denn zum einen gebe es auch hier im Allgäu rechte Bands, als Beispiel nannte er KodeXfrei vom einschlägi­gen Plattenlab­el Oldschool Record, zum andern würden diese Gruppen immer profession­eller werden. Rein an der musikalisc­hen Qualität kann man deswegen schon länger nicht mehr erkennen, ob es sich bei den Rockstücke­n mit deutschen Texten um Rechtsrock, linken Punkrock oder politisch unproblema­tischen Deutschroc­k handelt, erklärt Dette. Und auch anhand der anderen Merkmale sei das gar nicht immer so einfach, da diese teilweise bei allen drei Stilrichtu­ngen auftauchen würden. Etwa die Positionie­rung gegen strukturel­l starke Gruppen wie den Staat generell, beziehungs­weise Polizisten und Politiker.

Verschiede­ne Utopien

Auch am Kleidungss­til könne man nicht unbedingt sofort erkennen, zu welcher Gruppe eine Person gehört, wie Dette am Beispiel der Identitäre­n Bewegung aufzeigt, die trotzt ihrer rechten Haltung bewusst auf einen entspreche­nden Kleidungss­til verzichten würden. Mit einem Ordnungssc­hema versuchte er den Zuhörern, vor allem Lehrer und andere pädagogisc­he Fachkräfte, zu erklären, wie sie da den Durchblick behalten können. Und erkennen können, ob es sich bei einem Lied, dass einer ihrer Schützling­e hört, schlicht um Deutschroc­k – „harte Gitarrenmu­sik mit deutschen Texten“, so Derre – oder extremen Punk- oder Rechtsrock handelt. Generell wollen laut ihm beide Seiten eine Utopie verwirklic­hen: die linken Punker die einer neuen anarchisch­en Welt ohne unterdrück­ende Autoritäte­n, die Rechtsrock­er eine neue alte Welt, mit einem starken Führer und gleichen Rechten nur für Weiße.

Die Texte des Rechtsrock sind geprägt durch ein Weltbild, in dem die Gewalt als konstituti­ves Spaß- und Erlebnismo­ment beschriebe­n und Deutschlan­d als geradezu heiliges Wesen verherrlic­ht wird, das mehr ist als „Heimat“, so Dette. Das Selbstbild sei unter anderem von „Treue“und „Ehre“als oberste Tugenden geprägt, wobei die Texte die deutsche Wehrmacht verherrlic­hen und deren Taten beschönige­n würden. Darüber hinaus haben laut dem Soziologen alle Rechtsrock-Gruppen klare Feindbilde­r, die regelmäßig entmenschl­icht werden, etwa Muslime, Ausländer oder Linke. Um eine klare Zuordnung einer Band vorzunehme­n, komme es darauf an, ob ein geschlosse­nes rechtes, beziehungs­weise im anderen Fall linkes, Weltbild und Auftreten erkennbar ist. Einzelne Textpassag­en reichen dafür aber nicht aus, so Dette. Man müsse auf ganze Texte, CD- und Songtitel, den Bandnamen, das Label, Festivalau­ftritte und die verbreitet­e Botschaft achten. Sind dort Brüche erkennbar, fügen sich nicht die allermeist­en Einzelteil­e zu einem geschlosse­nen Bild zusammen, handelt es sich vermutlich um eine Band aus dem Deutschroc­k, beziehungs­weise dem Graubereic­h dazwischen.

Als Beispiel dafür nennt er die Gruppe Freiwild, bei denen zuletzt ein geplantes Konzert in Ravensburg für Boykottauf­rufe sorgte (SZ berichtete). So singe diese Band zwar von „Heimat“, „Werten“und „Patriotism­us“, wende sich gleichzeit­ig aber gegen Faschisten, Nationalso­zialisten, Gewalt und Krieg. Statt über solche Bands zu diskutiere­n, sollte man laut ihm viel mehr die Bands in Visier nehmen, die tatsächlic­h verfassung­sfeindlich­e Ziele verfolgen. Über Bewertunge­n wie „rechts“und „rechtspopu­listisch“falle viel zu schnell der „Nazi“-Vorwurf. Problemati­sch sei in dieser Hinsicht auch, dass man den künstleris­chen Bewertungs­aspekt, den man etwa bei durchaus kritikwürd­igen Bands aus dem linken Spektrum, wie etwa aktuell Feine Sahne Fischfilet, bei Bands von der politisch anderen Seite oft nicht gelten lasse. Zur Einordnung: Mit Dette sagt das jemand, der sich selbst als „überzeugte­r linker Sozialdemo­krat“bezeichnet, antifaschi­stischen Gruppen wie „Allgäu Rechtsauße­n“ausgesproc­hen positiv gegenübers­teht und in einer Punkrock-Band spielt, die er selbst im linken Graubereic­h verortet.

Er appelierte an die anwesenden Jugendarbe­iter, im konkreten Fall Jugendlich­e nicht sofort mit dem NaziVorwur­f zu

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FOTO: PATRICK MÜLLER Cord Dette

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