Krachende Niederlage für Theresa May
Die britische Premierministerin May scheitert krachend mit ihrem Deal zum EU-Austritt
Das britische Parlament hat das zwischen Brüssel und London ausgehandelte Brexit-Abkommen abgelehnt. Mit 432 zu 202 Stimmen votierten die Abgeordneten am Dienstagabend in London gegen den Deal von Premierministerin Theresa May. Die 62-Jährige erlitt damit die größte Niederlage in ihrer politischen Karriere. Die oppositionelle LabourPartei stellte sofort nach der Abstimmung einen Misstrauensantrag gegen die Regierung. May bot an, sich dem schon an diesem Mittwoch zu stellen.
LONDON - Großbritannien sieht sich mit der schwersten politischen Krise seit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert: Mit der überwältigenden Mehrheit von 432 zu 202 Stimmen hat das Unterhaus am Dienstagabend das Verhandlungspaket der konservativen Minderheitsregierung von Premierministerin Theresa May über den EU-Austritt abgelehnt. Neben der Opposition lehnten damit auch mehr als 100 Tory-Abgeordnete den Austrittsvertrag sowie die politische Zukunftserklärung ab. Damit steuert das Land 73 Tage vor dem geplanten Austrittstermin Ende März auf einen chaotischen Brexit („no deal“) zu.
„Das Unterhaus hat gesprochen und die Regierung wird zuhören“, teilte die Regierungschefin unmittelbar nach der Abstimmung mit. Sie kritisierte aber die Opposition für die jetzt entstandene Unklarheit. Ausdrücklich forderte sie Labour und die anderen Oppositionsparteien dazu auf, die Misstrauensfrage zu stellen. Davor war Labour-Chef Jeremy Corbyn bisher zurückgeschreckt.
Labour will Misstrauensvotum
Der 69-Jährige antwortete unmittelbar: Das Unterhaus solle der „völlig inkompetenten“Regierung am Mittwoch das Misstrauen aussprechen. Allerdings haben die konservativen Rebellen sowie die nordirische Unionistenpartei DUP Theresa May bereits vorab ihre Unterstützung zugesagt – weshalb Corbyns Antrag wenig Aussicht auf Erfolg hat.
Wirtschaftsverbände reagierten entsetzt auf die Ablehnung des Austrittsvertrages. „Wir brauchen sofort einen neuen Plan“, forderte Carolyn Fairbairn vom Unternehmerverband CBI. Die Finanzstabilität des Landes dürfe nicht durch einen hochriskanten politischen Poker aufs Spiel gesetzt werden, sekundierte Catherine McGuinness von der City of London. Der Verband der Lebensmittelproduzenten FDF wünscht sich eine Verschiebung des Austrittstermins.
Die Niederlage der Regierung hat historisches Ausmaß. So deutlich war eine britische Regierung seit den 1920er Jahren nicht mehr gescheitert. Damals kämpfte eine kurzfristige Labour-Minderheitsregierung ums Überleben. Gegen LabourPremier Tony Blair rebellierten im März 2003 139 Fraktionsmitglieder, als es um die britische Beteiligung am Irak-Krieg ging. Damals rettete den Regierungschef aber die ToryOpposition.
In den Stunden vor der Abstimmung hatte vor dem Palast von Westminster beinahe Volksfeststimmung geherrscht. Tausende von EU-Freunden forderten auf der Grünfläche vor dem Parlament ein zweites Referendum zur Korrektur des Volksentscheids, der im Juni 2016 mit 52 zu 48 Prozent den Austritt verfügt hatte. Hunderte von Brexit-Befürwortern warben mit Slogans wie „Austritt bedeutet Austritt“(Leave means Leave) und „Kein Deal, kein Problem“ (No deal, No problem) für ihre Sache und machten mit lautem Glockengebimmel auf sich aufmerksam. Immer wieder gab es freundschaftliche Diskussionen, keine Spur von der giftigen Atmosphäre von vergangener Woche, als Rechtsradikale prominente Abgeordnete und Journalisten als „Verräter“und „Nazis“beschimpft hatten.
Allerdings konnten sich die Befürworter eines harten Brexits sowie die Anhänger von Großbritanniens EU-Mitgliedschaft diesmal auch sicher sein, dass der Abend keine Entscheidung bringen würde. Die Stimmung in der Bevölkerung könnte sich sehr rasch ändern, wenn das Parlament tatsächlich den Kurs des Landes festlegen muss.
In normalen Zeiten müsste May nach einer solchen Niederlage zurücktreten. Doch das sind keine normalen Zeiten. Das Brexit-Votum aus dem Jahr 2016, bei dem eine knappe Mehrheit der Briten für den Austritt aus der EU gestimmt hatte, hat alte Gewissheiten über den Haufen geworfen.
Beobachter halten May für stur
May, so scheint es, wird nicht aufgeben. Sie wird wohl versuchen, mit Brüssel nachzuverhandeln – und den Deal dann erneut dem Parlament vorlegen. Wieder mit dem Kopf gegen die Wand, wie es britische Medien oft beschreiben.
Dabei wird die Zeit knapp. Immer näher rückt der Austrittstermin 29. März, der in Großbritannien sogar gesetzlich festgeschrieben wurde. Eine Verlängerung der Frist für den EU-Austritt lehnte May immer wieder vehement ab. Sollte es keine Einigung auf ein Abkommen mit Brüssel geben, droht der ungeregelte Austritt mit dramatischen Folgen für die Wirtschaft und viele andere Lebensbereiche.
Wenn man May etwas als Stärke auslegen will, dann ist es ihre Zähigkeit, trotz wiederholter Rückschläge an ihrem Amt festzuhalten. Doch längst halten Beobachter diese Widerstandsfähigkeit für gefährliche Sturheit.