Gewerbeaufsicht kontrolliert zu selten
567 Beamte kommen auf 500 000 Betriebe, von denen nur sechs Prozent besucht wurden
STUTTGART (tja) - Gewerkschaften und Beamte werfen der Landesregierung vor, zu wenig für den Arbeitsschutz in Baden-Württemberg zu tun. So wurden 2017 nur sechs Prozent aller Betriebe auf Verstöße gegen entsprechende Bestimmungen kontrolliert. Das geht aus Zahlen des Wirtschaftsministeriums hervor. Der Gewerkschaftsbund fordert daher 1000 neue Stellen. Michael von Koch, Landeschef der Gewerkschaft der Gewerbeaufsichtsbeamten, sieht darüber hinaus große Defizite bei der Organisation. Weil die zuständigen Ämter bei den Landkreisen angesiedelt seien, gebe es Interessenskonflikte. Landräte wünschten sich gute Stimmung in der Wirtschaft. Das vertrage sich nicht mit Kontrollen.
STUTTGART - Zu lange Arbeitszeiten, gefährliche Arbeitsbedingungen am Bau: Solche Verstöße sollen Beamte der Gewerbeaufsicht kontrollieren. Doch Betriebe in BadenWürttemberg müssen keine große Angst haben. 2017 kontrollierten Beamte im Land 30 693-mal, ob dort Vorgaben zum Arbeitsschutz eingehalten wurden. Damit wurden höchstens sechs Prozent der rund 500 000 Betriebe kontrolliert. Die Zahl der verhängten Bußgelder und Anordnungen sinkt seit Jahren. So wurden 2016 nur etwa halb so viele Maßnahmen gegen Betriebe ergriffen wie 2008. Das Problem ist bekannt, Grüne und CDU haben Besserung versprochen. Mit Erfolg?
Verwaltungsreform als Auslöser
Auslöser der Schwierigkeiten war die Verwaltungsreform der schwarzgelben Regierung 2005. Die Gewerbeaufsichtsämter unterstanden vorher direkt dem Land. 2005 gingen sie in die Verantwortlichkeit der Landkreise über. Eigentlich soll möglichst wenig Nähe zwischen Kontrolleuren und zu Kontrollierenden herrschen. Doch laut Michael von Koch sieht die Realität anders aus. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Gewerbeaufsichtsbeamten im Land sagt: „Unsere Kollegen berichten immer wieder von Versuchen, auf ihre Arbeit Einfluss zu nehmen.“Ein Landrat, der wiedergewählt werden möchte, habe es eben nicht gern, wenn in seinem Beritt Unternehmen zu hart angegangen würden. In einem Gutachten für das Umweltministerium berichtete ein Beamter: „Ich arbeite in einem Landkreis, in dem die Hausspitze Wirtschaftsförderung großschreibt. Dies verträgt sich mit der Gewerbeaufsicht nicht. Im Ergebnis wird die Gewerbeaufsicht möglichst entmachtet.“
Hinzu kommt eine weitere Änderung. Früher gab es Spezialisten für die verschiedenen Aufgaben der Gewerbeaufsicht. Diese wacht nicht nur darüber, dass Betriebe ihre Mitarbeiter unter angemessenen Bedingungen arbeiten lassen. Vielmehr kontrollierten sie auch, ob zum Beispiel Lärm und Giftstoffe entweichen. Seit 2005 nehmen die Beamten in den Landkreisen alle Aufgaben gleichberechtigt wahr. Mitarbeiter der Behörden beklagen die Konsequenzen. In einem Gutachten für das Umweltministerium heißt es: „Signifikante Teile der Befragten“(35 Prozent) bestätigten, dass die Fachkenntnis für den vertretenen Bereich oft gar nicht vorhanden sei. In einem Bereich, in dem es Tausende von Vorschriften gibt, seien Generalisten oft überfordert.
Als Reaktion auf das Gutachten genehmigten Grüne und CDU der gesamten Umweltverwaltung 225 neue Stellen. Diese kann Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) 2018 und 2019 besetzen. Allerdings sind längst nicht alle neuen Mitarbeiter für die Gewerbeaufsicht vorgesehen. Wie viele und für welche Bereiche, ist laut Ministerium noch offen. Einige Landkreise loben die Maßnahme. Das Land habe die Probleme erkannt, Besserung sei in Sicht, sagen die Landratsämter Ravensburg und Ostalb. Andere, wie der Landkreis Sigmaringen, teilen mit, man gehe davon aus, dass die zusätzlichen Stellen eher für andere Bereiche der Verwaltung gedacht seien als für die Gewerbeaufsicht.
Wer genauer nachforscht, bekommt Probleme mit dem Datenmaterial. Das liegt daran, dass Arbeitsschutz und andere Aufgaben der Gewerbeaufsicht von denselben Mitarbeitern wahrgenommen werden. In den Bundesstatistiken steht Baden-Württemberg daher gut da, nimmt man nur die Zahl der Kontrolleure bei der Gewerbeaufsicht. Während andere Bundesländer in Statistiken nur jene Kontrolleure ausweisen, die allein für Arbeitsschutzkontrollen zuständig sind, zählt Baden-Württemberg einfach alle Mitarbeiter der Gewerbeaufsicht. Aktuell sind das laut Landesregierung 567. Doch Michael von Koch schätzt: „Davon arbeitet nur jeder Dritte für den Arbeitsschutz.“Das Wirtschaftsministerium geht davon aus, dass etwa 40 Prozent der Zeit für den Arbeitsschutz verwendet werden. Doch selbst mit diesem Anteil steht Baden-Württemberg im Ländervergleich sehr schlecht da. Damit erfüllt es außerdem internationale Vorgaben nicht, denen sich Deutschland verpflichtet hat.
„Wir befürchten, dass die neuen Gewerbeaufsichtsbeamten vor allem im technischen Umweltschutz eingesetzt werden“, so Jendrik Scholz vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Diese Befürchtungen teilen auch Insider. „Die Bemühungen der Ministerien waren bisher nicht erfolgreich. Das Umweltministerium hat gut verhandelt, aber das zusätzliche Personal geht am Arbeitsschutz vorbei“, kritisiert ein hochrangiger Vertreter der staatlichen Gewerbeaufsicht.
„Unsere Kollegen berichten immer wieder von Versuchen, auf ihre Arbeit Einfluss zu nehmen.“Michael von Koch, Gewerkschafter für die Gewerbeaufsichtsmitarbeiter
DGB fordert deutlich mehr Stellen
Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) sieht Bedarf für weitere Änderungen, ging allerdings beim Stellenpoker in den letzten Finanzverhandlungen leer aus. „Wir wollen den Arbeitsschutz noch weiter stärken“, teilt eine Sprecherin mit. Deshalb lege das Ministerium im Herbst einen Reformvorschlag vor.
Dem DGB reicht das nicht: Er fordert kurzfristig weitere 500 neue Stellen, mittelfristig noch einmal so viele. Die Industrie- und Handelskammern dagegen sind sehr zufrieden: „Uns liegen keine Erkenntnisse vor, dass die Gewerbeaufsicht dem nicht gerecht wird“, so eine Sprecherin der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart.