Der Kirchenbrand gibt Rätsel auf
Zwei Feuer in zwei Gotteshäusern innerhalb weniger Stunden lassen im Kreis Ravensburg die Spekulationen blühen
RAVENSBURG - Fünf Tage nach dem Kirchenfeuer in der Ravensburger Unterstadt, bei dem am vergangenen Samstag die Flammen drei Meter hoch aus dem Dach von St. Jodok schlugen, bläst der Mitarbeiter einer Reinigungsfirma den Rauch seiner Zigarette in den Nachmittagshimmel und sagt: „Das hat einer angezündet, das ist völlig klar.“Kurze Pause, bevor er wieder reingeht, um gemeinsam mit neun weiteren Kollegen den groben Schmutz aus der Kirche zu schaffen. Neben ihm brummt ein Notstromaggregat vor sich hin. Im Inneren des Gotteshauses bewegen sich Gestalten in weißen Schutzanzügen, Atemmasken vor dem Mund. Noch immer hängt der Geruch von Verbranntem wie ein Schleier über dem Areal.
Warum er sich so sicher ist, dass es keine Erklärung für das Feuer außer Brandstiftung gibt? „Wir haben öfter solche Aufträge, zum Beispiel in Krankenhäusern. Wir wissen, wie so etwas aussieht, wenn es zum Beispiel ein Kabelbrand oder was Ähnliches war.“Ein Sprecher des zuständigen Polizeipräsidiums Konstanz sagt dazu der „Schwäbischen Zeitung“: „Wir führen die Ermittlungen ergebnisoffen nach allen Richtungen.“Daher sei es auch nicht möglich, irgendetwas zu bestätigen oder zu dementieren. „Dafür ist es einfach noch zu früh.“
Zuerst brennt ein Sofa
Nach bisherigen Erkenntnissen ist an besagtem Samstag Folgendes in der Kirche aus dem 14. Jahrhundert passiert: Ausgehend von einem Sofa samt Sitzgruppe, haben die Flammen von den Sitzmöbeln über ein Bild an der Wand zu einer Zwischendecke aus Holz geschlagen, bevor sie schließlich auf das Dach übergingen. Binnen kürzester Zeit hat sich die Altstadt mit beißendem Rauch gefüllt. Das kann auch die freundliche Bedienung eines unmittelbar benachbarten Cafés bestätigen: „Ich wollte gerade Pause machen, als ich das Feuer bemerkt habe.“Sie sei sofort zum Eingang der Kirche gelaufen, um zu sehen, ob sich noch jemand im Innern befindet. „Bei mir war noch ein Mann, der ist sogar in die Kirche hineingelaufen.“Sie selbst habe am Eingang gewartet und den Mann dann dazu bewogen, sich auch wieder schnell in Sicherheit zu bringen, was dieser dann auch getan habe. Im Anschluss seien auch schon Feuerwehr und Rettungskräfte eingetroffen. Zwischenzeitlich hat das Technische Hilfswerk (THW) ein Gerüst im Kircheninnern aufgebaut, um die Decke und das Dach abzustützen.
„Jetzt, wo es gebrannt hat, interessieren sich so viele Leute für die Kirche wie seit Jahrzehnten nicht mehr“, sagt eine Rentnerin auf ihrem Spazierweg, die angibt, der Kirchengemeinde St. Jodok persönlich verbunden zu sein, aber nicht gern mit Namen in der Zeitung steht. Während sie spricht, verlangsamt ein Auto seine Fahrt. Das Fenster öffnet sich und ein Mann macht mit dem Handy einen Schnappschuss von der Kirche. Ein älterer Herr, der sich persönlich ein Bild der Schäden machen möchte, sagt mit verschwörerischer Miene: „Die Gedanken sind frei.“Man könne sich seinen Teil ja denken, nur sagen dürfe man es nicht laut. In seiner Kirchengemeinde Eschach habe es zwar noch nicht gebrannt. Die Opferstöcke seien aber auch schon aufgebrochen worden. „Wer weiß schon, was die Erntehelfer da so machen“, spekuliert der Rentner und sagt auf die Frage, was er denn konkret für einen Verdacht habe, noch einmal: „Die Gedanken sind frei.“
„Viel schlimmer wäre es gewesen, wenn die großen Statuen von Jakob Russ Schaden genommen hätten.“
Im Zusammenhang mit Schlier?
Die Fantasie der Menschen wird auch durch den Umstand angefacht, dass es am Samstag nicht nur in einer Ravensburger Kirche gebrannt hat, sondern auch in der Pfarrkirche St. Martin in Schlier. Einem Ort, der rund sechs Kilometer von St. Jodok entfernt liegt. Nach Angaben der Polizei muss in Schlier zwischen 9.45 Uhr und 11 Uhr ein Plakat gebrannt haben, das dort an eine Stellwand geheftet war. Offenbar ging es von alleine wieder aus. Inwieweit diese beiden Feuer im Zusammenhang stehen, ist im Augenblick noch unklar. Der Sprecher vom Polizeipräsidium Konstanz sagt dazu ohne Andreas Schmauder, Stadtarchivar, über die kunsthistorischen Verluste
konkret zu werden: „Die Ermittlungen laufen. Im Augenblick gibt es noch keine neuen Erkenntnisse.“
Von Gerüchten, Vermutungen und Mutmaßungen abgesehen, gibt es von offizieller Behördenseite bis Redaktionsschluss keine handfesten Erkenntnisse über die genaue Ursache für den Brand in Ravensburg. Zumindest keine, die sie auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“öffentlich gemacht hätten. Ob es sich um einen extremistischen Anschlag gehandelt haben könnte – von welcher Gruppierung auch immer – ist zwar Gegenstand von Spekulationen. Der baden-württembergische Verfassungsschutz bleibt in seinen Angaben aber sehr allgemein und gibt auf Nachfrage an, dass solche Attacken, sollte es eine gewesen sein, sehr selten seien. „Weder Rechts- noch Linksextremisten haben in der jüngsten Zeit Attacken auf Kirchen verübt.“
Nachdem glücklicherweise keine Menschen beim Brand in Ravensburg verletzt worden sind, beziffern die Behörden den entstandenen Sachschaden auf rund zwei Millionen Euro. Bis die Kirche wieder voll nutzbar ist, wird nach Schätzungen mindestens ein ganzes Jahr vergehen.
Andreas Schmauder, der Direktor des Ravensburger Humpis-Museums und Stadtarchivar sagt: „Das war schon brutal.“Allerdings sei der abgebrannte Seitenaltar kunsthistorisch betrachtet nicht von sehr großer Bedeutung. „Gläubige sehen diesen Verlust vielleicht ganz anders“, räumt Schmauder ein und bezeichnet die Kirche St. Jodok als Hort bedeutenderer Kunstschätze, die aber zum allergrößten Teil von Feuerwehrleuten aus dem Gotteshaus gerettet worden seinen. „Viel schlimmer wäre es gewesen, wenn die großen Statuen von Jakob Russ, einem Ravensburger Meister, Schaden genommen hätten.“Dabei handelt es sich um die Darstellung der Mutter Gottes und Johannes, geschaffen aus Lindenholz. Lediglich der Sockel einer Figur weise leichte Brandspuren auf.
Andreas Schmauder lobt die Arbeit der Ravensburger Feuerwehr ausdrücklich. Denn gerade die kunsthistorischen Russ-Statuen seien hochsensibel. Das sehr alte Lindenholz könne nicht nur ausgesprochen leicht Feuer fangen und damit unwiederbringlich zerstört werden. „Wasser ist genauso schlimm.“Denn wenn die Feuerwehr mit Löschwasser gearbeitet hätte, wäre das womöglich fatal ausgegangen: Denn gemäß Andreas Schmauder quillt insbesondere so altes Lindenholz auf, was den historischen Farbauftrag zerstören kann. „Aber unsere Einsatzkräfte haben sehr umsichtig gehandelt“, lobt Schmauder. Zum Einsatz gegen die Flammen kam überwiegend Schaum. Die geretteten Kunstwerke müssen nun behutsam von Ruß und Staub befreit werden, denn die Rückstände des Brandes sind aggressiv und greifen die empfindliche Farboberfläche der Bilder und Skulpturen an.
Neugierige strömen zur Kirche
Wie lange die Reinigungsfirma mit ihren zehn Mitarbeitern noch in St. Jodok zugange sein wird, bis irgendwann die eigentliche Beseitigung der Schäden beginnt, kann der junge Mann am Ende seiner Zigarettenpause auch nicht sagen. Er zuckt mit den Schultern, während der Strom von Neugierigen vor der Kirche nicht abreißt. Ein älteres Ehepaar wagt sich vorsichtig an den Seiteneingang heran. „Mein Gott“, entfährt es der Frau und hält sich die Hand vor dem Mund, als sie ins Innere blickt. Und der Mann fragt: „Wer macht denn sowas?“