Abhilfe schafft nur ein Abriss
Bewohner in Friedrichshafen kämpfen gegen unzumutbare Zustände in Unterkunft
FRIEDRICHSHAFEN - Hilferuf aus der Eintrachtstraße 18 und 22 in Friedrichshafen. Die Wohnungen, in denen die Stadt Menschen unterbringt, die von Obdachlosigkeit bedroht sind, befinden sich zum Teil in einem desolaten Zustand. Stadt und Städtische Wohnungsbaugesellschaft kennen die Probleme zum Teil, sehen aber auch die Bewohner in der Mitverantwortung.
Alltag in der Eintrachtstraße: Schimmel blüht in allen Ecken, Ölöfen sind defekt beziehungsweise fehlen ganz, Türen schließen nicht, Klingeln sind außer Betrieb, Unrat stapelt sich im Hof, in Laubengängen und Treppenhäusern. Kein Ort, wo man sich aufhalten mag, geschweige denn wohlfühlen kann. Im Gegenteil: „Hier wirst du krank“, sagt eine Mutter, die ihr drei Monate altes Kind auf dem Arm hat.
Bianca G. lebt mit drei ihrer fünf Kinder seit einem Jahr hier. Nach der Trennung von ihrem Mann sei ihr nichts anderes übrig geblieben, als sich in eine Notunterkunft einweisen zu lassen. Zuständig dafür ist das Amt für Bürgerservice, Sicherheit und Umwelt (BSU). Von Juni bis Dezember 2016 sei sie in der Ittenhausener Straße in Ailingen untergebracht gewesen – mit ihren 15-, 13- und elfjährigen Kindern zu viert in einem Zimmer. „Die ganze Zeit war ich auf der Suche nach einer richtigen Wohnung“, sagt die 35-Jährige. Doch als Alleinerziehende mit fünf Kindern habe man schlechte Karten.
Als das BSU ihr schließlich die Wohnung in der Eintrachtstraße anbot, habe sie sich gesagt: „Besser als gar nichts oder gar auf der Straße sitzen.“Die etwa 60 Quadratmeter große Vier-Zimmer-Wohnung sei in einem schlechten Zustand und teilweise vermüllt gewesen. Aber sie habe alles rausgeschafft, gebrauchte Möbel besorgt und sich auf die Zusicherung des BSU verlassen, dass die gröbsten Schäden beseitigt würden. Ein ganzes Jahr ist nun vergangen und geschehen sei nichts. Der Schimmelbefall werde immer schlimmer, im Kinderzimmer tropft das Wasser von der Decke, und einen Kellerschlüssel habe sie bis heute nicht. Deshalb müsse sie die ganze Wohnung mit Strom heizen, denn der Öltank befinde sich im Keller.
Schimmlige Ecken
Eine E-Mail mit Fotos von schimmligen Fensterbrüstungen, Zimmerecken und Decken an den OB und an die „Schwäbische Zeitung“brachte Bewegung in die Sache. Daraufhin sei ein Herr vom BSU da gewesen und habe sich den Zustand der Wohnung angeschaut. Dann sei das Angebot beziehungsweise die Aufforderung gekommen, in eine andere Wohnung in der Löwentaler Straße umzuziehen. Die Drei-Zimmer-Wohnung sei zwar in Ordnung, doch mit drei Kindern – ein 15-jähriges Mädchen und zwei Jungen – werde sie dort nur schwer zurechtkommen. Ihre beiden vierund achtjährigen Kinder, die noch beim Vater leben, zu sich zu nehmen, könne sie vergessen. Das sei auf den schätzungsweise 50 Quadratmetern schlichtweg nicht möglich. Also doch in der Eintrachtstraße bleiben? Das will Bianca G. auf keinen Fall. Sie werde also nach Weihnachten umziehen. An die Zusicherung des Amtes, dass es nur eine Übergangslösung sei, kann sie aber nur schwer glauben.
Das Paar in dem Haus in der Eintrachtstraße unter ihr kämpft seit Jahren gegen den Schimmelbefall. Er wasche regelmäßig die befallenen Stellen ab und behandle sie mit AntiSchimmel-Spray, sagt der Mann, der vor drei Monaten Vater wurde. Aber das sei eine Sysiphusarbeit, vor allem in der kalten Jahreszeit. „Der Schimmel kommt nach wenigen Tagen wieder“, so der Mann. In einer anderen Wohnung, in dem ein Paar mit zwei Kindern lebt, scheint der Kampf aussichtslos. Wo man hinschaut, schimmlige Wände und Decken. Xmal hätten sie den Schimmel entfernt, die Wand behandelt und neu gestrichen, aber es halte nicht lange. Die Feuchtigkeit sei einfach nicht rauszubekommen. Eine Alternative hätten sie bisher nicht gefunden. Dreimal seien sie bei Bewerbungen durchgefallen.
24 Notwohnungen seien derzeit in der Eintrachtstraße vom BSU belegt, teilt die Pressestelle im Rathaus auf Anfrage mit. Hier wie auch in anderen Objekten gebe es immer wieder Probleme mit Schimmelbildung, räumt die Sprecherin der Stadt, Andrea Kreuzer, ein. Das Problem sei teilweise dadurch hervorgerufen, dass die Bewohner die Wohnungen nicht ausreichend lüften, so Kreuzer. Teilweise liege es aber auch am Zustand der Gebäude, weshalb diese in der Eintrachtstraße ja auch abgerissen werden sollen. Das bestätigt auch die Städtische Wohnungsbaugesellschaft (SWG), der die Wohngebäude gehören. „Wir lassen die Leute nicht allein. Wenn uns Fälle von Schimmelbildung bekanntgemacht werden, versuchen wir Abhilfe zu schaffen oder die Bewohner in andere Wohnungen umzusetzen“, versichert die Sprecherin der Stadt.
Stadt: In gutem Zustand
Offenbar versucht man, die maroden Häuser Zug um Zug frei zu machen. Während das Haus Nr. 22 noch voll belegt ist, habe man für drei Familien aus dem Haus Nr. 18 andere, qualitativ bessere Wohnungen gefunden. Dass die Bianca G. angebotene Ersatzunterkunft zu klein ist, sieht man bei der Stadt anders: Sie sei ausreichend groß und in gutem Zustand.
Die Hoffnung auf eine Beseitigung der seit vielen Jahren in der Eintrachtstraße herrschenden Missstände haben die Betroffenen längst aufgegeben. Der Hausmeister wisse nicht, wo anfangen und aufhören, im Sozialbüro Brennessel halte kein Mitarbeiter lange durch. Das Büro ist mit einer 0,5 Stelle ausgestattet, die derzeit allerdings nicht besetzt sei, so Kreuzer. Die Lücke werde durch stundenweise Vertretung vor Ort kompensiert.
Auch bei der SWG weiß man um den desolaten Zustand der Häuser in der Eintrachtstraße. Eine Sanierung sei nicht mehr angezeigt. „Wenn uns Probleme mit Schimmel gemeldet werden, reagieren wir“, sagt Geschäftsführer Paul Stampfer. Im Falle der von der Stadt belegten Wohnungen sei das BSU aufgefordert, sich an die SWG zu wenden. Grundsätzlich seien Ursachen von Schimmelbefall unterschiedlich, sodass man sich jeden Einzelfall ansehen müsse. Aber meist spiele das Nutzerverhalten eine entscheidende Rolle, sagt Stampfer. Es könne sein, dass im selben Haus das Problem in der einen Wohnung auftritt, in der anderen nicht.
Abhilfe versprechen in der Eintrachtstraße nur Abriss und Neubau. Das wurde bereits im Wohnungsbericht 2013 festgestellt. Die seit 2015 laufenden Planungen werden nun konkreter. Auf dem freien Gelände zwischen Eintrachtstraße, Wittenwiesenstraße und Messestraße plant die SWG den Bau von 92 Wohnungen. Den Satzungsbeschluss für den Bebauungsplan hat der Gemeinderat am 20. November gefasst. „Wir sind dabei, den Planentwurf zu erstellen und wollen nächstes Jahr den Bauantrag einreichen“, sagt Stampfer. Wenn alles gut geht, könnte Ende 2018, Anfang 2019 mit dem Bau begonnen werden.
Geplant sind 46 öffentlich geförderte Wohnungen, die Leuten mit Wohnberechtigungsschein vorbehalten sind. Weitere 46 Wohnungen seien frei finanziert und würden zu moderaten Mietkonditionen angeboten, versichert Stampfer. Zehn Wohnungen wolle das BSU als Notwohnungen nutzen. Rechnet man mit einer Bauzeit von zwei Jahren, stünde Ersatz für die maroden Unterkünfte frühestens 2021 zur Verfügung.