Das große Pflücken
Olivenöl ist ein Stück italienische Lebensart – Als Erntehelfer in Umbrien erfährt man, warum das „grüne Gold“so wertvoll ist: Es steckt viel Arbeit dahinter
Wenn es Spätherbst wird in Italien, bricht in vielen ländlichen Gebieten plötzlich große Geschäftigkeit aus: Leitern werden aus Schuppen geholt und große Netze herbeigeschleppt. Die Familien kommen zusammen, Helfer eilen hinzu – selbst aus Deutschland – und gemeinsam geht es hinaus in die klaren und oft noch angenehm warmen Oktoberund Novembertage: Die Olivenernte beginnt. Mediterranes Olivenöl ist berühmt und begehrt. Doch das „grüne Gold Italiens“macht auch eine ganze Menge Arbeit.
Der Duft wilder Minze liegt in der Luft. Von der sonnenbeschienenen Anhöhe schweift der Blick über Pinien, Zypressen und sanfte Hügel, hinter denen nur wenige Kilometer entfernt der Lago Trasimeno liegt. Doch für Panorama-Träumereien ist an diesem Montagvormittag nicht viel Zeit. Denn direkt vor der Nase baumeln Hunderte kleine Früchte im Baum, die geerntet werden wollen. Christiane Schaper greift beherzt in die Zweige und pflückt sie mit schnellen, geübten Bewegungen. Auf ihrem Gesicht liegt ein glückliches Lächeln, wie man es dieser Tage in vielen Gesichtern der Gegend sehen kann.
Jede Olive zählt
Die Olivenernte bedeutet zwar körperliche Arbeit, scheint aber gleichzeitig auch eine Magie auszustrahlen: Die alten, knorrigen Bäume mit ihren grünen und schwarzen Früchten, aus denen sich das wertvolle Öl mit dem charakteristischen Geschmack pressen lässt, sind ein Sinnbild für die italienische Lebensart. Olivenöl aus Bella Italia ist nicht nur in Deutschland begehrt, auch die Italiener selbst feiern jedes Jahr die neue Ernte: Es gibt Verkostungen, Olivenfeste – und natürlich immer wieder Geheimtipps, wo die wirklich allerbeste und reinste Qualität zu bekommen ist.
Christiane Schaper besitzt zwar einen deutschen Pass, kennt das Oliven-Glücksgefühl aber schon sehr lange: Seit 20 Jahren lebt die gebürtige Hechingerin zusammen mit ihrem Mann Haimo Peters in Umbrien. Gemeinsam hat das Paar in der Nähe von Perugia einen alten Hof wiederaufgebaut, auf dem Grundstück stehen rund 100 Olivenbäume. Im Herbst schart das Ehepaar eine Gruppe Helfer um sich und macht das, was man als Wahl-Italiener mit großem Eifer tut: Man stürzt sich in die Ernte.
Und die hat – will man gute Qualität erzielen – viel mit Handarbeit zu tun, erklärt Haimo Peters. Zwar gebe es elektrisch betriebene Rechen an langen Stielen, die schnelle Rüttelbewegungen machen und so die Oliven vom Baum schütteln. „Aber das tut den Bäumen nicht gut, und außerdem können die Früchte dabei beschädigt werden“, erklärt er. Und kaputte Oliven fangen schnell an zu gären, was zur Folge haben kann, dass das Öl ranzig wird. Also werden große Netze unter den Bäumen ausgebreitet und die Oliven von Hand gepflückt oder von den Ästen abgestreift. Erntehelferin Bettina wagt dabei abenteuerliche Klettermanöver im Baum, um auch noch das letzte Exemplar am äußersten Ast zu erhaschen. Man wird doch sehr schnell angesteckt vom Erntefieber.
Ist ein Baum abgeerntet, schüttet das Helferteam die Früchte aus dem Netz in eine große Kiste. „Wow, sieht das schön aus“, ruft einer und zückt die Handykamera. In der Kiste glänzen grüne, violette und schwarze Oliven um die Wette. Die Farbschattierungen Haimo Peters lebt auf einem alten Hof in Umbrien, zu dem auch 100 Olivenbäume gehören
zeugen von verschiedenen Reifegraden, haben aber auf die Qualität des Öls keinen Einfluss. Und schon ist eines der großen Rätsel gelöst, das die Erntehelfer vor ihrem ersten Einsatz beschäftigte: Nein, es gibt keine separaten Bäume für grün und schwarz, es wächst alles bunt durcheinander.
Dass die Sache mit dem Öl auch eine durchaus ernste Angelegenheit ist, erfahren wir am nächsten Tag: Mit dem Auto bringen Haimo und Christiane die gefüllten Kisten zu einer Ölmühle, wo die Früchte – übrigens mitsamt dem Kern – gepresst werden. Dass die Oliven nur kaltgepresst, also in der Mühle nicht auf mehr als 27 Grad erwärmt werden, ist Ehrensache.
Die richtige Ölmühle zu finden, deren Betreibern man vertrauen kann, hat mit ganz anderen Dingen zu tun: Es wird von Mühlen berichtet, deren Mitarbeiter heimlich Öl von ihren Kunden „abzweigen“. Geschichten machen die Runde von Oliven, die nicht schnell genug verarbeitet und deshalb ranzig werden. Manchmal fliegen Panscher auf, die gutes mit schlechtem Öl strecken und so größere Gewinne einstreichen. Das „grüne Gold“ist wertvoll – für einen halben Liter guter Qualität zahlen Kunden rund zehn Euro – und deshalb ist es ratsam, darauf aufzupassen.
Probieren in der Ölmühle
Wie das geht, zeigt der Blick ins Innere einer Mühle: Auf schmalen Holzbänken sitzen italienische Männer und Frauen, die ihre Ernte abgegeben haben und nun jeden Verarbeitungsschritt mit Argusaugen beobachten. Es scheint, als ließen sie auch nicht eine einzige Olive aus den Augen, bis das aus den Früchten herausgepresste grün-goldene Öl in ihre mitgebrachten Kanister fließt – auf die sie schon ihren Namen geschrieben haben und die sie mit festem Griff umschlossen halten. Neben der Holzbank steht ein kleiner Grill, auf dem Weißbrotscheiben geröstet werden können. So wird direkt vor Ort das neue Öl mit einer typischen Bruschetta verkostet.
Für Unkundige kann eine solche Degustation direkt nach dem Pressen einen Überraschungseffekt bereithalten: Das Öl schmeckt intensiv nach Olive und dabei recht bitter und scharf, weil Oliven phenolische Verbindungen enthalten, die sich im Öl erst nach und nach zersetzen. Diese Bitterstoffe sind nicht nur gesund und verleihen dem „grünen Gold“seine charakteristische Note, sie sind vor allem ein Qualitätsmerkmal für die Hochwertigkeit eines Olivenöls, wie Haimo Peters erklärt.
Er empfiehlt seinen Erntehelfern, die den herben Geschmack nicht mögen, das Öl, das sie mit nach Hause nehmen, einfach ein paar Wochen „reifen“zu lassen, dann entwickle es einen ausgewogenen und milderen Geschmack. Und so gibt es in der kalten Winterzeit in der einen oder anderen deutschen Küche eine kleine Erinnerung an sonnige italienische Herbst- und Erntetage.
Den Weg von der Frucht zum Öl zeigt ein Storytelling, das zu sehen ist unter: www.schwäbische.de/olivenernte