„Ich hatte Todesangst“
Prozessauftakt gegen Norma-Räuber – Leutkircher Mitarbeiterinnen leiden noch immer unter Folgen des Überfalls
LEUTKIRCH/RAVENSBURG - Die Taten hat er im Wesentlichen eingeräumt. Jetzt geht es im weiteren Verlauf der Verhandlung vor dem Landgericht Ravensburg vor allem um eine Frage: Ist der Mann, der im April 2016 in Lindau und Leutkirch mit einer Pistole bewaffnet zwei Norma-Märkte überfallen hat, ein gefährlicher Wiederholungstäter oder ist er ein Mensch, der vor lauter Schulden kopflos diesen vermeintlichen Ausweg gesucht hat?
Fest steht: Für den 57-Jährigen geht es vor dem Landgericht in Ravensburg nicht nur um eine Verurteilung wegen schwerer räuberischer Erpressung, ihm droht die Sicherungsverwahrung. Am ersten Prozesstag hat der Angeklagte seine Taten bereut und wiederholt beteuert, dass von ihm nie eine Gefahr ausgegangen sei.
Als er den Gerichtsaal betritt, versteckt er sein Gesicht hinter Akten. Seine Zurückhaltung legt der Mann aus dem Landkreis Göttingen erst ab, als die Fotografen den Saal verlassen. Er äußert sich sprachgewandt zu den Vorwürfen und gibt zu, im April 2016 zuerst einen Norma-Markt in Leutkirch überfallen zu haben und drei Tage später einen in Lindau. Doch das waren nicht seine ersten Vergehen. Der Mann ist einschlägig vorbestraft, er wurde in Deutschland 2005 wegen räuberischer Erpressung zu sechs Jahren und drei Monaten verurteilt, 2016 hat ihn ein österreichisches Gericht zu neun Jahren wegen weiterer schwerer Raub- und Erpressungsdelikte verurteilt. Er hatte dort offenbar zwischen November 2014 und März 2016 verschiedene Supermärkte, ein Postamt und eine Bank überfallen. Diese Strafe sitzt er derzeit in Deutschland ab.
Der Weg in die Kriminalität
sagte der Angeklagte, der mit einer Pistole zwei Norma-Märkte überfallen hat.
schien bei dem Angeklagten nicht vorgezeichnet, wie Richter Franz Bernhard darlegte. Der Angeklagte hatte ein intaktes Elternhaus, absolvierte nach der Realschule eine Ausbildung zum Industriekaufmann und holte dann sogar das Fachabitur nach. Auch beruflich lief es: Nach zwei Jahren bei der Bundeswehr arbeitete er erfolgreich für eine Softwarefirma im Außendienst, entschied sich dann aber für die Selbstständigkeit, wo er allerdings mit häufig wechselnden Geschäftsideen sein Geld verdiente.
„Sie haben einen bürgerlichen Hintergrund, fast immer Arbeit gehabt, trotzdem weist das Bundeszentralregister Betrugstaten und schwere räuberische Erpressung auf“, sagte Richter Bernhard und hakte nach: „Wie erklären Sie sich das?“Der Angeklagte berichtete, dass die Geschäfte nicht immer einfach waren. Die Eröffnung zweier Sportgeschäfte endete 1994 mit der Insolvenz und 240 000 Euro Schulden. Auch das gemeinsame Unternehmen mit seinem Bruder in der Baubranche war nach dessen Tod vorbei. Die Schulden stiegen bis 800 000 Euro Euro, die Gläubiger wollten ihr Geld. Der erste Überfall folgte 2003 – und der Angeklagte musste ins Gefängnis.
Obwohl er 2013 wieder eine neue gewinnbringende Geschäftsidee hatte, diesmal im Bereich der Landwirtschaft, bekam er seine Schulden nicht in den Griff. Die Kunden verweigerten die Vorkasse, erste Betrugsanzeigen gingen ein, weil er die versprochene Ware nicht ausliefern konnte.
Er versuchte, in der Spielbank an Geld zu kommen. „Ich habe nur noch Probleme gesehen“, sagte er, der „wenig klare Gedankengänge“gehabt haben will und nur eins wusste: ,„dass ich wieder eine Dummheit machen muss, um an Geld zu kommen.“
Bei dem Überfall will der Angeklagte aber nicht mit der Pistole auf die Verkäuferinnen gezielt haben. „Ich wollte den Eindruck erwecken, dass nichts passiert“, sagte der ehemalige Sportschütze und beteuerte, dass kein Magazin in der Pistole gewesen sei, das habe er in der Hosentasche getragen. „Es war mir wichtig, dass nichts passiert.“
Die Zeuginnen sind indes traumatisiert. „Ich hatte Todesangst“, sagte eine Angestellte des Leutkircher Marktes. Der Angeklagte habe gedroht, sie zu erschießen. Bis heute habe sie Alpträume, könne im Dunkeln nicht raus. Sie war ebenso wie ihre Kollegin in psychologischer Behandlung. Die leidet seither unter Migräneanfällen.
„Wenn es dunkel wird, bekomme ich kurz vor 20 Uhr ein komisches Gefühl.“
„Ich wollte den Eindruck erwecken, dass nichts passiert“,
Der Prozess wird am heutigen Freitag fortgesetzt. Weitere Verhandlungstermine am Ravensburger Landgericht sind am 27., 28. und 29. November jeweils um 8.30 Uhr. Ein Video dazu gibt es unter schwäbische.de/normaräuber