Reformation in einfacher Sprache
Mannheimer Ausstellung weist auf die Vielfalt der Bekenntnisse im Südwesten hin
MANNHEIM - Die Reiss-EngelhornMuseen sind für spektakuläre Ausstellungen bekannt. Zur Zeit präsentieren sie (verlängert bis 29. November) unter dem Titel „Die Päpste“1500 Jahre europäische Geschichte mit vielen exquisiten Exponaten. Nun hängen sie noch eine kleine Schau über die Reformation an. Die auftrumpfende Geste des Rufzeichens im Titel „Reformation! Der Südwesten und Europa“deutet an, dass hier eine Erfolgsgeschichte erzählt werden soll.
Die Mannheimer Ausstellung hat zwei Besonderheiten: Sie richtet sich an Jugendliche, und sie wendet sich dem Südwesten zu. Vom Plakat grüßen vier Herren in mittelalterlicher Gelehrtenrobe: Philipp Melanchthon, Martin Bucer, Johannes Brenz und ganz hinten, klein, Johannes Calvin. Luther fehlt. Das ist natürlich Absicht, erklärt Museumsdirektor Alfried Wieczorek. In den Mittelpunkt gestellt werden sollen die Reformatoren, die im Südwesten gewirkt haben. Die Ausstellung umfasst die Gebiete des heutigen Baden-Württemberg, freilich ohne den Teil südlich der Donau. Sprich: Oberschwaben fehlt. Dabei hätte es doch gerade aus dem habsburgischen Vorderösterreich interessante Aspekte gegeben, wie sich reformatorisches Gedankengut in einem katholischen Umfeld behaupten kann oder eben nicht.
Beleuchtet werden die reformatorischen Entwicklungen in der Markgrafschaft Baden, im Herzogtum Württemberg und in der Kurpfalz. Am 18. April 1518 kam Martin Luther nach Heidelberg und stellte in der Universität seine Ideen zur Reformierung von Kirche und Glauben vor. Zuhörer dieser als „Heidelberger Disputation“bekannt gewordenen Vorlesung sollen damals einige der jungen Theologen gewesen sein, die ihrerseits zu maßgeblichen Reformatoren des Südwestens wurden: Martin Bucer in Straßburg, Johannes Brenz und Johann Isenmann in Schwäbisch Hall, Erhard Schnepf in Württemberg, Martin Frecht in Ulm, Theobald Billicanus in Nördlingen und Franciscus Irenicus in Baden.
Inspiriert von Street Art
Historiker und Kirchengeschichtler erläutern im Katalog die reformatorischen Prozesse und spüren dem Einfluss Luthers, Zwinglis und Calvins nach. Volker Leppin erörtert ausführlich die Heidelberger Disputation; Christoph Strohm schildert die komplizierte Situation in der Kurpfalz; Johannes Ehmann analysiert die Konflikte zwischen lutherischem, reformiertem und katholischem Bekenntnis in der Markgrafschaft Baden.
All das sind aber Themen des Katalogs. Denn Ideen lassen sich beschreiben, ihre Darstellung in einer Ausstellung ist schwierig. Und gegen die prunkvollen Schätze der Renaissancepäpste, die zwei Stockwerke tiefer inszeniert werden, tut sich die karge Reformations-Schau schwer. Sie folgt auch einem ganz anderen Konzept. Ziel der Kuratorinnen ist es, die Reformation als „junge Bewegung“für ein junges Publikum „jung“darzustellen.
So ließen sie sich von Street Art inspirieren. Graffiti an den Wänden mit spärlichen Texten und jeweils ein paar ausgewählte Exponate sollen zum Beispiel Frömmigkeit an der Schwelle zur Neuzeit, den Übergang vom Luthertum zum Calvinismus oder die württembergische Kirchenordnung illustrieren. So weist auf der einen Seite ein Andachtsbild aus dem Jahr 1500 mit Christus als Schmerzensmann auf den Ablass hin, den die Betenden erwerben konnten, wenn sie davor niederknieten. Nebenan kommt aus dem Kopierer ein Ablassblatt. Damit kann man ein aktualisiertes Sündenregister abarbeiten. Zum Beispiel: „Im Geschäft probiert, aber online bestellt“, „beim Shitstorm mitgemacht“, „im Discounter statt im Laden um die Ecke eingekauft“.
Unkritischer Blick auf Luther
Die Reduktion von Komplexität hat ihre Grenzen. Im Beitrag über den protestantischen Bildersturm wird der Begriff der „Reinigung der Kirche“übernommen. Beim Thema „Bauernkrieg“fehlt der Hinweis, dass Luther den Widerstand der Bauern schroff zurückwies. Die Säkularisation von Klosterund Kirchengut durch die protestantischen Herren klingt ganz harmlos: „Nonnen und Mönchen geht es doch nur um das eigene Seelenheil. Kann Gott das wollen?“, heißt es in dem betreffenden Wandtext. Die Antwort wird in eine rhetorische Frage verpackt: „Darf der Herzog nicht als Landesvater das Allgemeingut verwalten und zum Wohl aller einsetzen?“
Reformation in einfacher Sprache. Aber auch in einfachen Gedanken?
500 Jahre Reformation
Die Ausstellung hinterlässt einen ambivalenten Eindruck. Einerseits ist man dankbar für die reiche Differenzierung im Regionalen und damit auch für die Abgrenzung von der immer noch notorischen preußischen Luther-Perspektive anderer Ausstellungen in diesem Jahr. Andererseits erstaunt dann doch, wie distanzlos und unkritisch der Blick auf Luther ausfällt. Im letzten Raum liegen große Würfel am Boden. Auf ihnen stehen Begriffe, die die Kuratorinnen für „die Früchte der Reformation“halten: „Diskurs“, „Aufwertung“, „Entwicklung“, „Dynamik“oder „Selbst“. Ordnet man sie korrekt an, ergeben sie ein Bild – es ist das Porträt Martin Luthers.
Reformation! Der Südwesten und Europa. Bis 2. April in den ReissEngelhorn-Museen in Mannheim. Di-So 11 - 18 Uhr, Telefon (0621) 293 3771. www.rem-mannheim.de Der Katalog ist im Verlag Schnell und Steiner erschienen, 256 Seiten, im Buchhandel 24,95 Euro.