Großdemonstration in Barcelona für Spaniens Einheit
Widerstand gegen katalanische Separatisten wächst – Puigdemont droht Festnahme
MADRID/BARCELONA - Nach dem vorläufigen Höhepunkt der Katalonien-Krise mit der Entmachtung der Separatisten sind am Sonntag Hunderttausende Menschen in Barcelona für die Einheit Spaniens auf die Straße gegangen. Die Organisatoren sprachen von „mehr als einer Million Teilnehmer“, die Polizei in Barcelona schätzte die Zahl auf 300 000. Die befürchteten Proteste der Sympathisanten der von Madrid abgesetzten Regierung von Carles Puigdemont blieben sowohl in der katalanischen Hauptstadt als auch in anderen Gebieten Kataloniens aus. Offiziell hatte die Amtsgeschäfte des Regionalpräsidenten am Samstag Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy übernommen.
Viele Demonstranten forderten die Festnahme von Puigdemont. Man wolle dafür arbeiten, dass es zu einer Versöhnung zwischen Unionisten und Separatisten komme und in der Region im Nordosten Spaniens in Zukunft Besonnenheit und ein friedliches Zusammenleben herrschten, teilte die prospanische Sociedad Civil Catalana (SCC) mit, die zu der Kundgebung aufgerufen hatte. Demonstranten schwenkten spanische und katalanische Flaggen. Der Protest blieb meist friedlich.
Kurz nachdem das katalanische Parlament am Freitag für einen Prozess zur Loslösung von Spanien und zur Gründung eines unabhängigen Staates gestimmt hatte, kam die Wendung im Konflikt. Der spanische Senat machte mit der Billigung des nie zuvor angewandten Verfassungsartikels 155 den Weg für die Entmachtung der Regionalregierung in Barcelona und für Neuwahlen am 21. Dezember frei. Am Samstag wurde die Autonome Gemeinschaft unter Zwangsverwaltung gestellt.
Die täglichen Amtsgeschäfte in Katalonien soll Rajoys Vize Soraya Sáenz de Santamaría übernehmen. Madrid werde mit „Intelligenz und Gemeinsinn“in Katalonien vorgehen, sagte Regierungssprecher Iñigo Méndez de Vigo. Überharte Polizeieinsätze wie am Tag des verbotenen Unabhängigkeitsreferendums, soll es nicht mehr geben.
Puigdemont hatte am Samstag angedeutet, dass er seine Amtsenthebung durch die Zentralregierung nicht anerkennt. Er rief zum friedlichen „demokratischen Widerstand“auf. Am heutigen Montag dürfte die Luft für ihn dünner werden. Generalstaatsanwalt José Manuel Maza will vor dem Obersten Gerichtshof in Madrid Klage gegen den Ex-Ministerpräsidenten und weitere Verantwortliche erheben. Wird die Klage angenommen, könnte der liberale Politiker festgenommen werden. Sollte er verurteilt werden, drohen ihm bis zu 30 Jahre Haft.
MADRID - Ein Meer von spanischen Fahnen wehte am Sonntag in den Straßen der katalanischen Regionalhauptstadt Barcelona. Geschätzte 300 000 Menschen demonstrierten im Stadtzentrum gegen die rechtswidrige Unabhängigkeitserklärung der inzwischen abgesetzten Separatistenregierung. „Wir sind alle Katalonien“, stand auf einem Transparent am Kopf des Protestzuges. Und: „Für das Zusammenleben!“Mehrere Redner warfen den Separatisten vor, die katalanische Gesellschaft gespalten und die spanische Region in eine schwere Krise getrieben zu haben.
Der einseitige Unabhängigkeitsprozess habe „Leid und Traurigkeit“in die Gesellschaft gebracht, sagte Albert Rivera, Chef der liberalen und in Katalonien geborenen Partei Ciudadanos. Nun, nach der Zwangsentmachtung der Separatisten durch die spanische Regierung, müsse es darum gehen, „die Katalanen wieder zu versöhnen“. Er rief die Bürger dazu auf, bei der von Madrid durchgesetzten Neuwahl am 21. Dezember „massenhaft an die Urnen zu gehen“. Katalonien habe eine neue Chance bekommen, eine Regierung zu wählen, „die für alle Katalanen eintritt“.
In dem Demonstrationszug sah man neben spanischen Fahnen auch viele katalanischen Banner und auch Flaggen der EU. Viele Menschen hielten Schilder in Herzform hoch, auf denen die Farben Spaniens, Kataloniens und der EU leuchteten. „Es lebe Spanien“(„Viva España“), riefen die Menschen immer wieder. Zu der Kundgebung hatte nicht nur die Bürgerinitiative „Katalanische Zivilgesellschaft“aufgerufen, sondern auch die konservative Volkspartei, die Sozialisten und die Liberalen stützten den Protest. Die am Freitag von den Separatisten verabschiedete Unabhängigkeitserklärung sei ein „Angriff auf die Demokratie“, hieß es im Kundgebungsmanifest.
Stimmungswechsel
Es ist das zweite Mal, dass das prospanische Lager in Katalonien Muskeln zeigt. Bereits am 8. Oktober hatten 350 000 Menschen in Barcelona gegen die Unabhängigkeitspolitik demonstriert. Dass sich ein Stimmungswechsel in Katalonien anbahnen könnte, spiegelt sich auch in einer neuen Umfrage der in Madrid erscheinenden Tageszeitung „El Mundo“wieder. Wenn die Befragung richtig liegt, würden die drei Separatistenparteien PDeCAT, ERC und CUP keine Mehrheit mehr im Parlament haben, sondern zusammengerechnet nur auf 42,5 Prozent der Stimmen kommen.
Spaniens konservative Regierung hatte am Freitagabend, nach der gegen die Verfassung verstoßenden Unabhängigkeitserklärung, mit drastischen Maßnahmen in den Konflikt eingegriffen: Die rebellische Regionalregierung von Carles Puigdemont wurde abgesetzt, das Parlament aufgelöst, und es wurde eine Neuwahl für 21. Dezember angesetzt. Zudem wurde beim Verfassungsgericht beantragt, den Abspaltungsbeschluss zu annullieren. Die Zwangsmaßnahmen sind von Spaniens Verfassung gedeckt und werden von einer großen Parteienkoalition in Spaniens Parlament aus Konservativen, Sozialisten und Liberalen mitgetragen.
Doch es schien am Wochenende nicht so, als ob sich Carles Puigdemont und seine Minister freiwillig zurückziehen wollten. Puigdemont rief am Samstag die Unabhängigkeitsbewegung zum „demokratischen Widerstand“gegen den von Madrid beschlossenen Eingreifplan auf. „Wir werden daran arbeiten, ein freies Land zu konstruieren.“Er gab indirekt zu verstehen, dass er sich weiterhin als Ministerpräsident sieht. Die schriftliche Fassung seiner TV-Ansprache war unterzeichnet mit „Carles Puigdemont, Regierungs-chef Kataloniens“.
Spaniens Regierung reagierte am Wochenende mit betonter Gelassenheit. Spaniens Vize-Regierungschefin Soraya Saénz de Santamaría, welche bis zur Wahl einer neuen Katalanen-Regierung die Funktionen Puigdemonts übernimmt, machte zudem klar, wie möglichem Ungehorsam in katalanischen Behörden und in der Verwaltung begegnet wird: Zunächst durch Gehaltsstopp und Sanktionen für renitente Angestellte. Und, wenn das nicht hilft, durch Entlassung.