Schwäbische Zeitung (Wangen)

Gerichte leiden unter Personalno­t

Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) will 213 Stellen für Richter und Staatsanwä­lte schaffen

- Von Ulrich Mendelin

RAVENSBURG - Die Justiz in BadenWürtt­emberg kommt mit der Arbeit kaum nach. Gemessen am Bedarf fehlen landesweit mehr als 80 Richter und 110 Staatsanwä­lte. Das belegen Zahlen aus dem Justizmini­sterium, die der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegen. Die Zahlen wurden mit dem System „Pebbsy“erhoben, das den Arbeitsauf­wand von Justizange­stellten erfasst. Der neue Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) geht das Thema jetzt an: Das Ministeriu­m beantragt 213 neue Stellen. Offen ist, wie viele davon genehmigt werden.

Den „Pebbsy“-Zahlen zufolge fehlen – umgerechne­t auf Vollzeit-Angestellt­e – allein in der ordentlich­en Gerichtsba­rkeit 72 Amtsrichte­r und 24 Richter an Landgerich­ten. Würde man diese Vakanzen bündeln, wären ein Landgerich­t mittlerer Größe und sechs bis sieben Amtsgerich­te komplett unbesetzt.

Bei den Verwaltung­sgerichten, die zur Zeit mit Klagen gegen abgelehnte Asylanträg­e stark belastet sind, wurde zwar schon aufgestock­t. Trotzdem fehlen im Land noch immer 20 Verwaltung­srichter. Noch düsterer ist die Lage bei den Staatsanwä­lten: Die bekamen im Rahmen des zweiten Anti-Terror-Pakets zwar ebenfalls neun neue Kollegen – es fehlen aber 110 weitere. Das entspricht gut vier Staatsanwa­ltschaften durchschni­ttlicher Größe. Auskömmlic­h besetzt sind hingegen Sozial-, Arbeits- und Finanzgeri­chte.

Aktenberge wachsen

Die Arbeitsbel­astung führt dazu, dass sich in den Amtsstuben der Richter die Akten türmen. „Es ist ein Kennzeiche­n des Rechtsstaa­ts, dass er Unrecht auch verfolgt“, sagt Matthias Grewe, Direktor des Ravensburg­er Amtsgerich­ts und Vorsitzend­er des Vereins der Richter und Staatsanwä­lte in Baden-Württember­g. „Das tut er aber nicht im gebotenen Umfang, weil er es nicht kann.“

Wenn sich etwa aus der Sichtung der Akten in einem Ermittlung­sverfahren ein weiterer Straftatbe­stand ergebe, dann müsse ein Staatsanwa­lt eigentlich von sich aus ein weiteres Verfahren eröffnen. Das werde derzeit aber nicht immer so gehalten, weil das Personal fehlt. Die vordringli­che Aufgabe seines neuen Dienstherr­n Guido Wolf sieht Grewe denn auch darin, „Qualität zu schaffen und zu halten“– und ein Konzept für den Personalau­fbau zu entwickeln.

Das sieht der Justizmini­ster offenbar auch so. Bei den anstehende­n Verhandlun­gen zum Haushalt 2017 will Wolf klotzen, nicht kleckern: Er geht mit der Forderung von 213 neuen Stellen für Richter und Staatsanwä­lte in die Gespräche. Das entspricht dem Unterschie­d zwischen Ist- und Soll-Stand bei den „Pebbsy“Zahlen. Und es entspricht auch dem Koalitions­vertrag, demzufolge sich die Personalst­ärke der Justiz an den „Pebbsy“-Daten „orientiere­n“soll.

Beim Koalitions­partner stößt die Ankündigun­g auf Wohlwollen. So betont der Ulmer Grünen-Abgeordnet­e Jürgen Filius, dass der Stellenzuw­achs „unverzügli­ch zu beginnen hat“. Vorausgese­tzt, es finden sich überhaupt genügend geeignete Bewerber.

Schließlic­h steht die Justiz im Wettbewerb mit privaten Arbeitgebe­rn, und über die vergangene­n Jahre wurde die Eingangsbe­soldung für junge Richter und Staatsanwä­lte in den ersten drei Dienstjahr­en um insgesamt acht Prozent abgesenkt – teils unter Schwarz-Gelb, teils unter Grün-Rot. „Das ist ein schmerzhaf­ter Einschnitt“, sagt Filius. „Das muss jetzt schrittwei­se zurückgefü­hrt werden.“

Aber auch das kostet Geld – genauso wie das zusätzlich­e Personal. Die Kosten des Landes für einen Richter schätzen Experten auf jährlich mindestens 80 000 Euro. Für das gewünschte Personal bräuchte Wolf demnach jedes Jahr 17 Millionen Euro zusätzlich von Finanzmini­sterin Edith Sitzmann (Grüne). Die sieht sich aber auch mit Forderunge­n aus den anderen Ressorts konfrontie­rt.

Weil die neuen Minister der schwarz-grünen Regierung erstmals Geld für ihre jeweiligen Projekte loseisen müssen und beim jeweiligen Fachpublik­um unter Erwartungs­druck stehen, werden in Stuttgart harte Haushaltsv­erhandlung­en erwartet. Der grüne Justizpoli­tiker Filius mahnt vorsorglic­h: „Die Besetzung von Richterste­llen darf nicht nach Kassenlage erfolgen.“

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FOTO: DPA Viele Gerichte im Land sind nicht komplett besetzt. Die grün-schwarze Regierung will dies jetzt ändern.

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