Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Wenn wir die großen Probleme der Welt bewältigen wollen, brauchen wir die Wissenschaft“
Helmuth Trischler war 34 Jahre lang Forscher am Deutschen Museum in München. Ihn faszinieren Wissenschaft und Technik, und er fordert energisch, sie in den Dienst der Menschen und der Erde zu stellen.
Das große Ziel des Deutschen Museums ist es, den Besuchern ein Verständnis von Technik zu vermitteln.
Deshalb war und bin ich hier auch genau am richtigen Ort, das fasziniert mich heute noch. Wir haben eine Brückenfunktion für Natur- und Geisteswissenschaft wie etwa die Geschichte. Wenn wir die großen Probleme der Welt bewältigen und die notwendige ökologische Transformation gestalten wollen, dann brauchen wir die Wissenschaft, technische Innovation und zugleich die Einbindung und die Beteiligung der Gesellschaft. Im abgekapselten akademischen Raum und aus der besserwisserischen Perspektive schaffen wir das nicht, ebenso wenig wie es die Gesellschaft ohne Wissen und Technik schafft.
An was arbeitet Ihre Forschungsabteilung konkret?
Im Museum muss viel gemacht werden, von dem der Besucher oft überhaupt nichts weiß. Wir forschen etwa über die Konservierung und die Restaurierung der Objekte. Die müssen ja so lange und gut erhalten werden wie möglich. Beispielsweise die Brillen in der Optik-Ausstellung oder Raumanzüge mit ihren speziellen Verbundwerkstoffen. Die Flugzeuge sollen nicht aus Altersschwäche zusammenbrechen, sondern weiter erforscht werden, die scannen wir etwa mittels Computertomografie, also CT. Wir wissen oftmals gar nicht richtig, wie deren Innenleben aussieht. Wir wollen solche Objekte so weit wie möglich mit Methoden untersuchen, die sie nicht zerstören.
Das Deutsche Museum liegt auf einer Insel, nämlich der Museumsinsel, das war einst eine Kiesbank in der Isar. Diese Insel wird von etwa 620 Beschäftigten betrieben. Wie ist es auf dieser Insel?
Wir sind zwar eine Insel, aber alles andere als abgeschottet. In manchen Monaten kommen mehr als 100.000 Besucher, rund 20.000 Schulklassen sind es im Jahr.
Was finden Sie an Technik und Naturwissenschaft interessant?
Wir leben in einem Technikzeitalter und haben eine riesige Sphäre von Technik gebildet, eine Technosphäre. Es gibt mittlerweile 120 Millionen verschiedene Arten von technischen Objekten auf der Welt, man kann auch Spezies sagen. Hier auf dem Tisch, an dem wir sitzen, haben wir schon mal drei davon: ein Handy, einen Kugelschreiber und ihr älteres Aufnahmegerät. Die Diversität der Technik ist viel höher als die Biodiversität. Mittlerweile sind ein paar Millionen biologische Arten bestimmt, vielleicht gibt es auch 30 oder 50 Millionen auf der Erde – aber auf keinen Fall 120 Millionen. Es ist faszinierend, welche technische Sphäre mit welcher enormen Bedeutung wir aufgebaut haben.
Befassen sich die Menschen und die Gesellschaft zu wenig mit Technik? Und werden mögliche Gefahren von neuer Technik übertrieben und die Chancen nicht genug gewürdigt?
Es gibt eine Mär, einen Mythos von der Technikfeindlichkeit Deutschlands. Wir würden alles ablehnen und so weiter. Wenn man Studien dazu anschaut, dann zeigt sich, dass wir einen reflektierten Umgang mit Technik haben und über einen verantworstärkere tungsvollen Gebrauch reden. Die Großtechniken, die anonymen und schwierigen Techniken, werden hinterfragt. Die Debatte über die Kernenergie zeigt, wie reif wir im Umgang damit sind – sie wurde in der gesamten Gesellschaft geführt. Heute geschieht das wieder beim Thema Künstliche Intelligenz (KI). Da wird berechtigterweise viel über Verantwortung und Ethik geredet.
Ihre bedeutendste Ausstellung war 2014 zu sehen, sie hieß „Willkommen im Anthropozän“. Was versteht man darunter?
Der Begriff Anthropozän meint das neue geologische Zeitalter, das vom Menschen ganz massiv bestimmt wird. Dieses hat etwa um 1950 begonnen. Der Mensch ist zum großen Faktor geworden, der die Erde ständig umwälzt – durch Technik, durch immer