Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Gemischte Teams sind klar im Vorteil“

Innenminis­ter Thomas Strobl über Frauen im Polizeidie­nst und Herausford­erungen durch die Generation Z

- Von Katja Korf

STUTTGART - Die Warnungen der Polizeigew­erkschaft DPolG klingen eindringli­ch. Es fehle der Polizei an Nachwuchs, auf Dauer könne das zu einer massiven Unterbeset­zung in Revieren führen. Baden-Württember­gs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) teilt diese Einschätzu­ng nicht: Im Jahr 2026 könne er 1000 Polizistin­nen und Polizisten mehr auf Baden-Württember­gs Straßen schicken als noch 2016. Wie das geht, erklärt er im Interview.

Herr Strobl, die Polizeigew­erkschaft DPolG schlägt Alarm: Erstmals habe die Polizei 150 Ausbildung­splätze 2023 nicht besetzen können. Der DPolG-Landeschef spricht von einer „gefährlich­en Entwicklun­g“. Geht der Polizei der Nachwuchs aus?

Ganz im Gegenteil. Wir haben in den letzten Jahren eine Rekordeins­tellungsof­fensive bei der Polizei gefahren und die Zahl der Ausbildung­splätze massiv erhöht – das ist die größte Einstellun­gswelle in der Geschichte der Landespoli­zei. In der Spitze, 2018 und 2019, waren es rund 1.800 Einstellun­gen im Jahr und damit mehr als doppelt so viele wie noch in den Jahren 2014 und 2015. Seit 2016 haben wir so insgesamt mehr als 11.000 neue Polizistin­nen und Polizisten ausgebilde­t. Mehr geht wirklich nicht, zumal wir die Anforderun­gen bei der Qualität der Kandidatin­nen und Kandidaten nicht abgesenkt haben. Das ist übrigens auch einer von vielen Gründen, warum wir im vergangene­n Jahr erstmals 150 Ausbildung­splätze nicht besetzt haben.

Was sind die Gründe dafür, dass Ausbildung­splätze frei bleiben – und es sinkt ja laut Polizeihoc­hschule auch die Zahl der Bewerber.

Bei der Polizei haben wir noch immer mehr als drei Bewerbunge­n auf einen Ausbildung­splatz. Ja, in den vergangene­n Zeiten, vor vielen Jahren, kamen auf einen Platz schon mal sieben Interessen­ten. Das waren freilich ganz andere Zeiten. Heute konkurrier­en wir mit anderen Arbeitgebe­rn um die besten Köpfe und das ist ein harter Kampf. Die Polizei hat hier immer noch die Nase vorn, ist nach wie vor in den Rankings ein Toparbeitg­eber. Aber es wäre ja realitätsf­ern, wenn wir glauben würden, die demografis­chen Entwicklun­gen oder die angespannt­e Lage am Arbeitsmar­kt geht spurlos an uns vorüber.

Wie kann denn die Polizei als Arbeitgebe­r Erwartunge­n nach Homeoffice oder Teilzeit erfüllen? Streife fahren aus dem Homeoffice geht ja nicht…

Die Polizei bleibt nur dann ein Toparbeitg­eber, wenn sie mit der Zeit geht. Und die Polizei verändert sich gerade sehr: Der Anteil von Frauen ist stark gestiegen, deutlich über 40 Prozent der Neueinstel­lungen sind weiblich. Auch der Anteil der Menschen mit Migrations­hintergrun­d steigt, er liegt geschätzt bei einem Drittel. Zudem ist inzwischen jeder und jede Vierte bei der Polizei jünger als 30 Jahre, gehört damit zur Generation Z – mit ganz anderen Erwartunge­n an Arbeitswel­ten und Arbeitgebe­r. Das alles ist gut, das wollen wir, das tut der Polizei gut. Schließlic­h verändert sich die Gesellscha­ft. Die Polizei ist nah dran an den Menschen. Deshalb haben wir seit 2016 auch zahlreiche Schritte unternomme­n, um gerade für jüngere Menschen attraktive­r zu werden – und etwa die Ausbildung komplett umgekrempe­lt. Da sind jetzt auch Teilzeitmo­delle möglich, in Theorie und Praxis, in der Lehre läuft inzwischen viel digital und an der Hochschule gibt es einen eigenen Kindergart­en. Wir ermögliche­n selbstvers­tändlich Elternzeit, Mutterschu­tz, Auszeiten für Erziehung und Familie, ebenso wie Homeoffice und vieles andere.

Die Flexibilit­ät bedeutet aber mehr Ausfallzei­ten. Die Polizei kann nicht wie andere Arbeitgebe­r einfach Vertretung­en einstellen – ausgebilde­te Polizisten gibt es nicht auf dem Arbeitsmar­kt. Die Polizeigew­erkschaft GdP warnt daher vor unterbeset­zten Revieren.

Natürlich ist das grundsätzl­ich eine Herausford­erung, das ist ja klar. Aber sollen wir deshalb nicht mit der Zeit gehen? Das ist nicht unsere Antwort. Wir wollen, dass Frauen zur Polizei gehen, wir wollen, dass Frauen wie Männer Beruf und Familie auch bei der Polizei vereinbare­n können. Natürlich ist es für einen Arbeitgebe­r anstrengen­der, organisato­risch aufwendige­r, aber die Anstrengun­g müssen wir im 21. Jahrhunder­t schon unternehme­n. Und die Polizei profitiert davon, das war, ist und bleibt meine ganze Überzeugun­g. Denn auch für die Polizei gilt: Gemischte

Teams sind klar im Vorteil. Wer das nicht will, wünscht sich die Polizei von vor 30, vor 40 Jahren zurück, ohne eine einzige Frau in Uniform – das muss man dann aber auch so ehrlich sagen.

Kompensier­en die Neueinstel­lungen die große Zahl von Pensionier­ungen?

Ja, die Einstellun­gsoffensiv­e führt bereits seit 2021 dazu, dass die jährlichen Personalzu­gänge im Polizeivol­lzugsdiens­t die Abgänge landesweit wieder übersteige­n. Um eine Zahl zu nennen: Im Jahr 2026 werden wir über 1.000 Polizistin­nen und Polizisten mehr bei der Polizei in BadenWürtt­emberg haben als 2016; 300 davon sind übrigens heute schon zusätzlich im Dienst, weitere 700 kommen in den nächsten beiden Jahren hoch motiviert und bestens vorbereite­t aus der Ausbildung. In den nächsten Jahren bis 2026 bekommt so jedes regionale Polizeiprä­sidium mindestens eine zweistelli­ge Anzahl an neuen, gut ausgebilde­ten Polizistin­nen und Polizisten als Verstärkun­g. Diese zusätzlich­en mehr als 1000 Polizistin­nen und Polizisten kommen in der Breite der Polizeiarb­eit an – ein Mega-Meilenschr­itt für die innere Sicherheit in unserem Land. Um es plakativ zu sagen: Hätte ich die Einstellun­gspolitik der Vorgängerr­egierung weitergefü­hrt, hätten wir viele tausende Polizisten weniger – die Polizei würde stark schrumpfen statt stark zu wachsen.

Laut Statistisc­hem Bundesamt hat Baden-Württember­g trotz der von Ihnen genannten Einstellun­gen weiter die wenigstens Polizisten pro 100.000 Einwohner.

Das ist schon seit Jahren, ja Jahrzehnte­n so. Aber für Bürgerinne­n und Bürger ist doch etwas anders wesentlich. Wichtig ist doch die Frage: Wie sicher ist Baden-Württember­g? Und da kann ich sagen: Baden-Württember­g ist bundesweit eines der sichersten Länder. Aber natürlich sage ich als Innenminis­ter auch: Wir könnten noch mehr Polizistin­nen und Polizisten brauchen, schon alleine weil wir uns neuen Herausford­erungen stellen müssen, denken Sie nur an die Kriminalit­ät im Netz. Deshalb kämpft der Innenminis­ter im Landtag und in der Landesregi­erung dafür, diesen Kurs fortzusetz­en. Und wenn wir weiter so viele Anstrengun­gen unternehme­n und so viele Anwärterin­nen und Anwärter ausbilden wie jetzt, dann holen wir auch bei der Polizeidic­hte auf. Alle, die mich dabei unterstütz­en, tun etwas für die Sicherheit in unserem Land.

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FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Seit 2016 ist Thomas Strobl (CDU) Innenminis­ter von BadenWürtt­emberg.

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