Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Warum neue Schulden nicht die Lösung sind
Bund will Wirtschaft mit Sondervermögen zu Schwung verhelfen – Neue Studie stellt dies infrage
BERLIN - Mittlerweile scheint auch der Wirtschaftsminister den Ernst der Lage erkannt zu haben. Selbst als immer mehr Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlagerten, der Nettokapitalabfluss aus Deutschland einen historischen Höchststand erreichte und die Hilferufe aus den Wirtschaftsverbänden unüberhörbar wurden, träumte Robert Habeck noch vom grünen Wirtschaftswunder. Doch spätestens in der vergangenen Woche kam der Minister in der Realität an. Wachgerüttelt hatten ihn die einmal mehr nach unten korrigierten Wirtschaftsaussichten: In der Herbstprognose ging die Bundesregierung noch von einem Wachstum im Jahr 2024 von 1,3 Prozent aus, mittlerweile wurde die Erwartung auf 0,2 Prozent eingedampft. Damit findet sich die Bundesrepublik in der Schlussgruppe der entwickelten Wirtschaftsnationen wieder. Das sei „dramatisch schlecht“, sagte Habeck. Und: „So können wir nicht weitermachen.“
Alle scheinen sich einig, dass es so nicht weitergeht. Doch wie es weitergeht, darüber scheiden sich die Geister. Habeck will der Wirtschaft frisches Geld zur Verfügung stellen, das über Schulden finanziert werden soll: entweder über eine Reform der Schuldenbremse oder über ein (ebenfalls schuldenfinanziertes) zweckgebundenes Sondervermögen. Unterstützung für dieses Anliegen erhält Habeck nicht nur aus der SPD, sondern auch von der Wirtschaftsweisen Monika Schnitzer, die die Bundesregierung als Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung berät.
Schnitzer setzt sich für eine Reform der Schuldenbremse ein: „Wir wollen die Flexibilität erhöhen und Spielräume schaffen, so dass man zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben tätigen kann, ohne dabei die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen auszuhöhlen.“Ohne eine Reform würde die Schuldenquote in den nächsten Jahrzehnten viel stärker sinken als nötig.
Allerdings ist für eine solche Reform eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag notwendig. Deshalb brauchen SPD und Grüne die Zustimmung von Union und FDP, die beide eine Lockerung der Schuldenbremse ablehnen. Finanzminister Christian Lindner (FDP) betrachtet die Einhaltung der Schuldenbremse als ein „Gebot der Klugheit“. Denn „sonst müssten wir irgendwann Sparpakete schnüren oder die Steuern erhöhen, nur für die Schulden der Vergangenheit“. Dieser Sichtweise schließen sich mittlerweile immer mehr Wirtschaftsexperten an. „Die deutsche Schuldenbremse zwingt die Politik, Prioritäten zu setzen. Gleichzeitig lässt sie dem Staat hinreichenden Spielraum
für Verschuldung, die wirtschaftlich sinnvoll sein kann“, sagte Clemens Fuest, Präsident des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, in der vergangenen Woche.
In einer gemeinsamen Studie mit Niklas Potrafke, Leiter des Ifo-Zentrums für Öffentliche Finanzen, führt Fuest zwei Gründe für diese Aussage an: Erstens hätten empirische Studien gezeigt, dass Länder mit wirksamen Schuldenregeln ein um 0,5 Prozentpunkte höheres Wirtschaftswachstum hätten als Länder ohne Schuldenregeln. Und zweitens reduziere eine Schuldenbremse die Risikoprämien von Staatsanleihen um rund 1,5 Prozentpunkte. Je stabiler die Staatsfinanzen, desto geringer sind die Schuldzinsen, die ein Staat zahlen muss. „Dies bedeutet, dass die Finanzpolitik weniger öffentliche Mittel zur Zinstilgung auf Staatsschulden bereitstellen muss und die Mittel für andere Vorhaben verwendet werden können, wie beispielsweise Investitionen in den Klimaschutz“, schreiben Fuest und Potraf ke in ihrer Studie. Dies sei gerade in Zeiten steigender Zinsen besonders relevant. „Wenn die Politik Haushaltsdefizite, Verschuldungsquoten sowie Risikoprämien auf Staatsanleihen begrenzen und das Wirtschaftswachstum stärken möchte, dann sollte sie an einer wirksamen Verschuldungsregel festhalten.“Mit einem starken
Wirtschaftswachstum steigen auch die Staatseinnahmen, was eine hohe Staatsverschuldung tragfähig macht. Doch in Anbetracht der vielen Baustellen, die die Bundesrepublik in den kommenden Jahren, vielleicht Jahrzehnten, abzuarbeiten hat, steht genau dieses Wachstum infrage. Daher drängen nicht nur FDP und Union, sondern auch viele Wirtschaftsvertreter darauf, die Ausgabenseite, und hier insbesondere den Sozialetat, besser zu kontrollieren. So sagte die Präsidentin des Verbands Die Familienunternehmer, Marie-Christine Ostermann, dass „Steuersenkungen zum größeren Teil durch strukturelle Änderungen im Haushalt erwirtschaftet werden müssen“. Mit anderen Worten: Finanzspritzen für die Wirtschaft müssen durch Einsparungen bei den Konsumausgaben erfolgen, nicht durch eine Aufnahme weiterer Schulden – alles andere sei in Anbetracht der Gesamtgemengelage zu riskant. Hier drängt sich zunehmend die Frage auf, warum es der Politik so schwerfällt, mit dem auch innerhalb der Schuldenbremse üppigen Haushaltsbudget auszukommen.
Die Schuldenfrage wird nicht nur die Ampel-Koalition, sondern auch zukünftige Bundesregierungen beschäftigen. Dabei ist eines klar: Derzeit gibt es nicht viele Dinge, die für die Bundesrepublik sprechen. Ob bei Bildung, Rente, Gesundheit, Pflege, Infrastruktur, Bürokratie oder Verteidigung: Überall brennt es lichterloh. Die moderate Staatsverschuldung ist die letzte Bastion der Stärke, die Deutschland noch hat – und gleichzeitig ein Puffer für die nächsten Krisen, an denen es derzeit keinen Mangel zu geben scheint. Daher ist es verwunderlich, warum gerade junge Bürger die Staatsverschuldung, ähnlich wie den Klimaschutz, nicht als Thema der Generationengerechtigkeit verstehen. Denn höhere Schulden und damit höhere Zinslasten sind eine Bedrohung für den Wohlstand zukünftiger Generationen. Und die Vergangenheit hat gezeigt, dass sozialer Frieden in Zeiten sinkenden Wohlstands keineswegs selbstverständlich ist.