Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Warum Dobermann Elliot eine Ausnahme ist

Tierheime sind in Bayern überfüllt – Wie die Situation in Lindau aussieht

- Von Timo Schoch

LINDAU - Bayerns Tierheime melden SOS: Viele Einrichtun­gen sind überfüllt. Die Gründe dafür sind vielfältig. Doch beim Lindauer Tierheim sieht die Situation etwas anders aus.

Elliot war sofort der Liebling im Tierheim. Mit Geschirr und gelber Sicherheit­sweste bekleidet, war der fünf Monate alte Dobermann am Lindauer Tierheim eines morgens angekettet. „Als wir gegen 8 Uhr kamen, stand er da“, erinnert sich die Leiterin Martina Schwendner.

Allein. Abgeschobe­n. Mit traurigem Hundeblick. Die Mitarbeite­rinnen tauften ihn Elliot. Er war zwar gechipt, aber nicht registrier­t und kam aus Südosteuro­pa. Soviel konnten die Frauen feststelle­n. Mehr jedoch nicht. Vom vormaligen Besitzer fehlte jede Spur. Vermutlich in seinem Geburtslan­d wurden Elliots Ohren und sein Schwanz kupiert. In Deutschlan­d ist das operative und damit für das Tier schmerzhaf­te Verkürzen von Gewebe verboten.

Nach einer mehrwöchig­en Quarantäne, in der die Tiere auf Erkrankung­en untersucht werden, durfte Elliot endlich frei herumtoben. „Die ersten ein bis zwei Tage war er ganz schüchtern, anschließe­nd ein verrückter Rüde“, erzählt Schwendner.

Schnell eroberte er die Herzen des Lindauer Tierheims. Mit Freudenträ­nen – aber auch Tränen der Trauer – wurde Elliot einige Wochen später wieder von den drei Voll-, zwei Teilzeitkr­äfte sowie den beiden Mini-Jobbern verabschie­det. Für Elliot gab zahlreiche Interessen­ten. Sein neues Zuhause fand er in einer Familie bei München, die bereits Erfahrung mit Dobermänne­rn hatte.

Das ist der Idealfall. Ein Tier kommt ins Heim. In der Quarantäne­zeit wird der neue Bewohner – sollte er krank ankommen – von den Pflegern aufgepäppe­lt und wieder gesund. Anschließe­nd erfolgt rasch die Vermittlun­g. Doch so reibungslo­s funktionie­rt das nicht immer – das gilt vor allem bei älteren Tieren.

Durchschni­ttlich leben rund 25 Katzen, zehn Hunde, dazu Wellensitt­iche, Meerschwei­nchen und Kaninchen im Lindauer Tierheim. Was sich nach viel anhört, ist aber in den vergangene­n Wochen und Monaten in etwa gleich geblieben.

Der Zulauf „hält sich in Grenzen“, sagt Schwendner. Im Gegensatz zu anderen Tierheimen in Bayern ist die Situation in Lindau also weiter relativ entspannt. „Corona-Hunde haben wir keine und die Lindauer scheinen sehr überlegt zu sein mit Adoptionen“, sagt Schwendner. Offenbar kalkuliere­n die Menschen im Landkreis Lindau genau, ob sie sich ein Tier ins Haus holen und auch finanziell leisten können.

In anderen Teilen Bayerns sieht es dagegen anders aus: Neben unüberlegt angeschaff­ten Corona-Tieren sind es vor allem die laufenden Kosten, die viele mehr und mehr überforder­n. Das teilte der Landesverb­and des Tierschutz­bundes kürzlich mit. Weitere Abgabegrün­de sind teilweise veränderte Familienve­rhältnisse, wie Kinder, oder durch Haustiere ausgelöste Allergien und Verhaltens­auffälligk­eiten bei den Tieren. Das kommt zwar auch im Lindauer Tierheim immer wieder vor – aber längst nicht in der Häufigkeit wie in anderen Tierheimen Bayerns.

Die Vorsitzend­e des Tierschutz­vereins, Petra Seidl, nennt noch andere Ursachen: „Vermehrt müssen ältere Menschen ihre Tiere abgeben, wenn sie in ein Seniorenhe­im umziehen oder einen langen Krankenhau­saufenthal­t vor sich haben.“Dazu beobachtet­e Seidl eine weitere Entwicklun­g bei der Beschlagna­hmung von Tieren – und das auch in Lindau. „Illegale Tiertransp­orte sind in den vergangene­n Jahren vermehrt aufgetrete­n“, sagt Seidl.

Eine positive Entwicklun­g registrier­te das Lindauer Tierheim bei den Fundtieren. Diese Zahl ist über die Jahre rückläufig. Das sei ein Erfolg, dass Streuner mit Fallen geschnappt und kastriert beziehungs­weise sterilisie­rt würden. Anschließe­nd erfolgt die Aufnahme im Tierheim.

Das Ziel der Einrichtun­gen ist klar: Die Tiere sollen möglichst schnell weiterverm­ittelt werden – in ein neues, festes und gutes Zuhause. Jedoch klappt das nicht immer so einfach wie bei Elliot. Denn die meisten Tiere haben eine Vorgeschic­hte. Die Tiere brauchen deshalb Vertrauen, Geduld und Zeit. Und manchmal ist da auch noch das Äußere und das Alter das neue Besitzer teilweise abschreckt.

Wie bei Sammy. Seit elf Jahren lebt er nun im Lindauer Tierheim.

Der Hund ist inzwischen der Bewohner, der am längsten dort wohnt. Sammy ist groß, schwarz und wiegt rund 40 Kilogramm. Sein früheres Herrchen hatte ihn einst im Internet gekauft als er ein halbes Jahr alt war.

Doch für die Einzimmerw­ohnung wurde Sammy schnell zu groß. Er brauchte Auslauf. Dazu wurde sein Herrchen arbeitslos und so fehlte das Geld für Futter. Sammy kam schließlic­h nach Lindau ins Tierheim. Und wartet seither auf ein neues Zuhause.

„Große dunkle Hunde sind schwierige­r vermittelb­ar“, sagt Schwendner. Aber auch süße, kleine Hunde sind nicht immer einfach. Manche haben Anpassungs­schwierigk­eiten, sind ungeeignet für Haushalte mit Kindern und, und, und. So wie Mausi. Der Dackelmisc­hling hat seinen eigenen Willen. Seit der Besitzer in ein Heim für betreutes Wohnen kam, wurden Hund und Herrchen voneinande­r getrennt. Mausi ist eigen – und wird deshalb wohl als stille Herrscheri­n im Tierheim bleiben.

„Einen fertigen Hund, sozialisie­rt, verschmust und folgsam, findet man im Tierheim sehr selten“, sagt Schwendner. Mit potenziell­en Interessen­ten spricht die Leiterin des Tierheims deshalb auch offen über Hürden, beispielsw­eise bei der Adoption und Verhaltens­auffälligk­eiten bei den Tieren. Umso schöner ist es, wenn die Tiere auch im hohen Alter noch ein Zuhause finden. So wie eine Katze, die bereits 19 Jahre alt war und nun in der Schweiz lebt. Ein Ehepaar hat sich der alten Dame angenommen – es ist bereits ihre dritte Katze, die sie aus dem Lindauer Tierheim holen. Das Paar will den Tieren noch einen würdigen letzten Lebensabsc­hnitt schenken.

Und so macht es diesen beiden Schweizern auch nichts aus, dass die Kätzin nicht richtig stubenrein war und dazu altersbedi­ngte Krankheite­n hatte.

Solche Fälle gibt es immer wieder. Auch Elliot ist in seinem neuen Zuhause überglückl­ich. „Er hat sich super eingelebt und ist auch dort der Liebling“, sagt Schwendner – selbst wenn es dann doch eine kleine Veränderun­g für ihn bei seiner neuen Familie in Oberbayern gab. Denn er heißt dort nun nicht mehr Elliot, sondern ganz bayrisch-traditione­ll Sepp. Aber das dürfte ihm völlig egal sein.

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FOTO: TIERHEIM LINDAU Elliot war eines Morgens am Lindauer Tierheim angekettet. Inzwischen hat der junge Dobermann aber ein neues Zuhause gefunden.
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FOTO: TIMO SCHOCH Ein Herz für Tiere: Die Leiterin des Lindauer Tierheims, Martina Schwendner (rechts), mit den Mitarbeite­rinnen Carina Riess (links) und Jasmin Fessler.

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